Stadt für Menschen statt für Autos

Linke-Politikerinnen kämpfen für den Rückbau der A100, die Beton-Schlucht füllen sie bei einem Stadtspaziergang mit sozialen Visionen

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Blick auf die Baustelle: Günter Ehlers hofft, dass der Weiterbau der A100 verhindert werden kann.
Blick auf die Baustelle: Günter Ehlers hofft, dass der Weiterbau der A100 verhindert werden kann.

»Highway to Hell« hat jemand mit riesigen Buchstaben an die Betonwand am Ende der Autobahnbaustelle der A100 an der Kiefholzstraße in Alt-Treptow gesprüht. 25 Menschen beugen sich über das Geländer der Mathilde-Rathenau-Brücke und blicken auf sehr viel Asphalt. Im Hintergrund sind Kräne zu sehen. »Vor fünf Jahren hatten wir noch die Hoffnung, den Autobahnbau stoppen zu können. Jetzt sind hier schon Unmengen an Beton und CO2 verbaut«, sagt Tim Lehmann zu der Gruppe. Wenn es nach dem Stadtplaner und Mobilitätsforscher ginge, könnte das hier ganz anders aussehen.

Katalin Gennburg, Stadtentwicklungsexpertin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und direkt gewählte Vertreterin aus dem Bezirk Treptow-Köpenick, hält Bilder von Hochhäusern und Radschnellwegen in die Höhe. Sie gehören zur Machbarkeitsstudie für einen Postautobahn-Wohnungsbau, die Lehmann zusammen mit der Stadtsoziologin Kerstin Stark 2017 erstellt hat.

Die beiden haben ehrenamtlich ausgerechnet, wie viele Wohnungen anstelle der A100 auf der Betonschneise des 16. und 17. Bauabschnitts entstehen könnten. 7,6 Kilometer vom Dreieck Neukölln bis zur Storkower Straße, 53 Hektar bestes Bauland mitten in der Stadt. Bei einer mit Friedrichshain-Kreuzberg vergleichbaren Bevölkerungsdichte könnten dort 18 Hochhäuser mit 8800 Wohnungen für 22 000 Menschen errichtet werden. Wäre der Kiez autofrei, gäbe es außerdem genug Platz für Grünflächen, Spiel- und Sportplätze sowie Fahrradstraßen.

»Wir fühlten uns ein bisschen dazu berufen. Es rief einfach danach, das mal durchzuspielen«, sagt Lehmann zu »nd«. Denn in Berlin herrscht Wohnungsnot, gleichzeitig würden Raum und Geld für »diese irrsinnige Autobahn« verschwendet. Die Kosten werden wahrscheinlich an die Milliarden gehen – die »könnte man doch für viel schönere Dinge verwenden«, bedauert er.

Natürlich sei das »nur ein Gedankenspiel, aber ein enorm wichtiges, weil es zeigt, welche Fragen beantwortet werden müssen«, sagt Katrin Lompscher, bis 2020 Stadtentwicklungssenatorin der Linken, zu »nd«. Ihrer Ansicht nach ist die A100 »ein Projekt von gestern« und »nicht zu Ende gedacht«. Um das deutlich zu machen, luden Lompscher, Gennburg und Lehmann am Donnerstagabend zum Stadtspaziergang »A100 zurückbauen« entlang der Baustelle ein.

Am Startpunkt beim Wahlkreisbüro der Linken in der Moosdorfstraße zeigt Katalin Gennburg an einer Karte den Verlauf der Stadtautobahn und welche Kieze von Abgasen und Lärm betroffen sein werden. Es gebe überhaupt kein Verkehrskonzept für den Treptower Norden. »Schulkinder werden alle über die Autobahn zur Schule gehen müssen – das hat nie jemanden interessiert«, kritisiert sie.

Auch in ihrer Partei habe es lange die Hoffnung gegeben, dass mit der A100 der Verkehr im Südosten entlastet werden könnte. »Aber Probleme mit der Autobahn mit einer weiteren Autobahn zu bekämpfen, ist eine blöde Idee«, sagt sie. Mit dieser Meinung habe sie sich in der Treptower Linken schließlich auch durchgesetzt.

Anschließend führt sie die Gruppe über einen behelfsmäßig wirkenden Gehsteig entlang des Treptower Parks; die Straße wird ohne Fußgängerübergang gequert, über eine Schotterpiste geht es schließlich zum Parkcenter an der Elsenstraße. Dort soll der 16. Bauabschnitt enden und der Autobahnverkehr in der Kreuzung stranden. »Jetzt die Zauberfrage: Wie soll das gehen? Es gibt keine Antwort darauf. Vielleicht: Der Markt wird es regeln«, scherzt die Linke-Politikerin.

Briti Beneke von der Bürger*inneninitiative A100, die am Spaziergang teilnimmt, befürchtet eine »Salamitaktik«. Die Lösung für die unzureichende Abfahrt des 16. Abschnitts werde der Weiterbau sein. »Jeder Bauabschnitt bedingt den nächsten«, sagt sie zu »nd«. Sie lebt ganz in der Nähe und hat Angst davor, die Autobahn künftig fast vor der Haustür zu haben. »Wir haben einen schönen kleinen Park an der Frankfurter Allee. Der soll komplett zur Autobahn werden«, sagt sie.

Weiter geht es durch das Parkcenter in die Beermannstraße, »die Straße des Widerstands«, wie Katalin Gennburg sagt. Hier seien bereits zwei Wohnhäuser für die A100 abgerissen worden. »Deshalb will ich ja nur mal daran erinnern, dass Enteignungen beinahe täglich stattfinden«, sagt die Bauexpertin. Am Ende der Straße wird eine Leiter an den Zaun gestellt, auf die alle mal raufklettern und einen Blick auf die Baustelle werfen können, die unmittelbar an die Wohnhäuser angrenzt. Katrin Lompscher erzählt von erfolgreichen Vorbildern für Autobahnrückbauten, zum Beispiel in Paris. Den ersten Rückbau habe es schon vor über 50 Jahren in Portland in den USA gegeben. Berlin hänge also weit zurück, »deshalb müssen wir uns sputen«, findet die ehemalige Bausenatorin.

Nächster Stopp ist ein Zugang zur Baustelle von der Elsenstraße aus, über den im vergangenen Jahr Aktivist*innen von Ende Gelände und Sand im Getriebe die A100 besetzt hatten. Katalin Gennburg setzt beim Kampf gegen die Autobahn große Hoffnung in die neue Generation der Klimabewegung. »Die Aktivist*innen haben ihren Aktionskonsens verschärft und intervenieren bewusst gegen den Autokapitalismus«, sagt sie zu »nd«. Solche »radikalen Lösungen« werden ihrer Ansicht nach gebraucht. Auch sie führt die Gruppe nun selbstbewusst an Baggern, Bauarbeiter*innen und Gerätschaften vorbei zum Rand des riesigen Betonkraters.

Die Idee, Verkehrsinfrastrukur für Wohnbau zu nutzen, sei eigentlich nichts Ungewöhnliches, erklärt Stadtplaner Tim Lehmann an der letzten Station an der Mathilde-Rathenau-Brücke. Ein Beispiel sei das Schumacher-Quartier am ehemaligen Flughafen Tegel. Dagegen hält er es für unrealistisch, dass der im 17. Bauabschnitt geplante Autobahntunnel an der Neuen Bahnhofstraße am Ostkreuz überhaupt gebaut werden kann, solange die umliegenden Häuser bewohnt sind. »Ich bin sicher, dass es daran scheitert. Die Frage ist nur, wann sich das jemand eingesteht«, sagt er zu »nd«.

Die meisten Teilnehmer*innen des Spaziergangs scheinen Hoffnung zu haben, dass sich der Weiterbau verhindern lässt, hinsichtlich des Rück- und Wohnungsbaus herrscht jedoch weniger Zuversicht. »Nicht mal Tempo 100 setzt sich durch, da kann man echt den Glauben verlieren«, sagt Ulrike Ehlers zu »nd«. Sie lebt in Alt-Treptow und meint, eigentlich müsste sie für den Weiterbau sein, da ihre Wohngegend zum jetzigen Stand sehr verkehrsbelastet sei. »Aber jeder Quadratmeter Beton ist zu viel«, findet sie. Außerdem wohne ihr Sohn an der Elsen-, Ecke Kiefholzstraße, in die sich nach den Bauplanungen künftig der Verkehr ergießen könnte. Ihr Mann, Günter Ehlers, fand an dem Spaziergang besonders interessant, »wie ungelöst das eigentlich alles ist«. Deshalb sei es gut, »mit welcher Haltung Politiker sich kümmern und nicht locker lassen«, sagt Ulrike Ehlers über Katalin Gennburg. Die Linke-Politikerin ist als Bewohnerin der Moosdorfstraße selbst Betroffene des Autobahnausbaus. Sie kämpft weiter für ein Berlin mit starken Nachbarschaften, guter Infrastruktur, ohne Renditestreben – und ohne A100.

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