Werbung

Indigenes Land im Visier der Investoren

In Honduras will die linke Regierung die Sonderwirtschaftszonen entmachten

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 6 Min.
Blick in die Zukunft: Visualisierung der künftigen Zede, bisher stehen nur zwei der Bungalows.
Blick in die Zukunft: Visualisierung der künftigen Zede, bisher stehen nur zwei der Bungalows.

Das Donnern eines Presslufthammers hängt in der Luft, das Klappern von Stahlelementen wird vom kreischenden Geräusch einer Flex übertönt. Hin und wieder sind die Rufe der etwa 30 Bauarbeiter zu hören, die an dem vierstöckigen Rohbau auf der honduranischen Karibikinsel Roatán arbeiten.

Es geht zügig voran auf der Baustelle, die von einem hölzernen, blauen Bauzaun und einer kleinen Hütte geschützt ist. An der hängt die hochauflösende Kamera, darunter das Schild mit dem Hinweis »Wir schaffen Arbeitsplätze für Inselbewohner. Wir glauben an Privatbesitz. Wir achten alle Gesetze. Beteiligt Euch!« Unterzeichnet ist der Hinweis am Straßenrand mit Próspera. So heißt die Sonderwirtschaftszone für Entwicklung und Anstellung (Zede), die eine Gruppe von radikal-libertären Investoren (politisch-wirtschaftliche Denkrichtung, die gegen jegliche staatliche Regulierung eintritt, d. Red.) auf der honduranischen Karibikinsel Roatán gegründet hat.

Trotz der Annullierung der grundlegenden Gesetze über die Sonderwirtschaftszonen durch das honduranische Parlament im April dieses Jahres wird kräftig investiert, so Venessa Cárdenas Woods. Die afrohonduranische Frau wohnt nur einen Steinwurf von der Zede Próspera entfernt – in Crawfish Rock. In dem beschaulichen Dorf mit rund 600 Einwohner*innen und einem von bunten Holzhäusern eingefassten Dorfplatz, wo oft im Sand gekickt wird, geht die Angst vor den Investoren um. Ein Grund dafür ist die Baustelle, ein anderer die Tatsache, dass sich in den vergangenen Monaten auch andere Unternehmen der Zede Próspera anschlossen und so dafür sorgten, dass das libertäre Modellprojekt eher wächst als wie von der neuen progressiven honduranischen Regierung angestrebt, abgewickelt wird.

In Crawfish Rock wird der Fortschritt beim Modellprojekt genauso registriert wie die Tatsache, dass mit Hochdruck gebaut wird, ohne dass die lokalen Verantwortlichen reagieren. »Es wird nicht beobachtet und dokumentiert, wie es eigentlich angesichts eines drohenden Gerichtsverfahrens sein sollte«, kritisiert Cárdenas Woods. Sie ist erst 2020 durch eine Freundin, wie Woods auch im Gemeinderat aktiv, auf die Zede Próspera und deren Pläne aufmerksam geworden. »Angie James schickte mir per Whatsapp die ersten Infos. Heute wissen wir alle in Crawfish Rock, dass die Pläne zum Ausbau von Próspera unsere Grundstücke beinhalten. Dagegen wehren wir uns«, sagt Woods.

Woods hält genauso wie ihre Mitstreiterin Melissa Martínez hin und wieder bei der Baustelle an, um zu inspizieren, wie schnell es dort vorangeht. Auch den Strandabschnitt, der mit Stacheldraht und dem Hinweis »Private Property – No trespassing« (Privateigentum – kein Durchgang) versehen ist, betreten die beiden Frauen ohne Scheu. Von dort ist zumindest einer der luxuriösen hölzernen Bungalows zu sehen, von denen bisher zwei existieren und etliche weitere geplant sind. Die Entwürfe gehen auf den international bekannten Architekten Zahra Hadid zurück. Bisher soll die Zede Próspera 22,5 Hektar gekauft haben, aber laut den Plänen sind mehr als 300 Hektar Land im Visier der Investoren – darunter auch das gesamte Dorf Crawfish Rock.

Die Bewohner*innen von Crawfish Rock sind nie gefragt worden, ob sie von den Investoren geschluckt werden wollen. Da es sich um eine Gemeinde von Black Indigenous People of Color handelt, hätten die Bewohner*innen vorab gefragt und informiert werden müssen. Das schreibt die jüngst von Deutschland ratifizierte Konvention 169 zum Schutz indigener Völker der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo) vor, die auch Honduras unterzeichnet hat.

Die Regierung von Honduras hatte die Ilo-Konvention unter der Regierung des mittlerweile unter Anklage wegen Drogenschmuggel in den USA inhaftierten Ex-Präsident Juan Orlando Hernández komplett ignoriert- Systematisch hat Hernández für die Zedes geworben – auch in Deutschland. Bis März 2021 gehörte Tum International, ein Tochterunternehmen der Technischen Universität München, zu den Kooperationspartnern der Zede Próspera – zog sich jedoch aufgrund der Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen aus dem Projekt zurück, so steht es in einer Presseerklärung.

An der Zede Próspera sind viele Unternehmen beteiligt. Die Gründung wurde zwar erst 2020 bekannt, die Charta aber schon 2017 in der honduranischen Botschaft in Washington unterzeichnet. Sie ist so etwas wie die Verfassung einer Zede und enthält weitreichende Rechte: Sie legt die autonome Struktur im Staatsgebiet von Honduras fest. Sie fixiert de facto einen Staat im Staat mit eigener Regierungsstruktur, mit Treuhandfonds, eigener Besteuerung, Mechanismen zur Streitbeilegung, Schiedsgerichten und vielem mehr. Die Zede hat eigene Sicherheitsregelungen, Aufenthaltsrechte und ein eigenes Strafrechtssystem sowie das Recht auf die Einführung einer eigenen Währung. Alles per Gesetz legalisiert. »Selbst Überflugrechte werden«, so der honduranische Jurist Joaquín Mejía »von der Zede eigenständig vergeben – meistbietend«.

Der einstimmige Parlamentsbeschluss zur Annullierung der Zede-Gesetzgebung vom 21. April steht bisher nur auf dem Papier. Klar ist, es dürfen keine weiteren Zedes gegründet werden. Doch wie mit den bestehenden umgegangen werden soll und ob und wie sie rückgängig gemacht werden können, ist rechtlich noch ungeklärt. Dafür hat die honduranische Präsidentin Xiomara Castro mit Francisco García den Experten beauftragt, der in Honduras zu den Zonen für ökonomische Entwicklung und Anstellung (Zede) geforscht hat. Er soll nun die vorliegenden Dokumente auswerten, um potenziellen Klagen der Investoren Paroli bieten zu können.

Die beiden Aktivistinnen in Roatán wissen die Arbeit von Francisco García zwar durchaus zu schätzen, aber die Unsicherheit bleibt. »Alle Welt glaubt, dass mit der Annullierung der Gesetze alles gelöst ist, aber die Zede Próspera baut, hat angekündigt zu klagen und schafft vollendete Tatsachen«, kritisiert Venessa Cárdenas Woods. Melissa Martínez von der Garífuna-Organisation Ofraneh nickt zustimmend. Sie lebt in Punta Gorda, einem weiteren Fischerort an der Küste von Roatán, wo Landenteignung zu Lasten der afrokaribischen Ethnie der Garífuna üblich ist.

In Roatán finden immer wieder Aktionen statt, um Landrückgaben zu veranlassen. Ein zentraler Grund, weshalb Ofraneh den Protest gegen die Zede schon 2012 und 2013 mitinitiierte und bis heute an der gesamten Karibikküste mitträgt, wo Tausende von Hektar kollektiv genutzter Ländereien der Garífuna enteignet wurden. »Das Problem ist, dass die Investoren die Annullierung der Gesetze schlicht nicht akzeptieren, sie machen mit Hochdruck weiter und die regionalen Institutionen unternehmen nichts, um das zu unterbinden. Es wird zugeschaut, wie die Investoren agieren«, kritisiert die Ofraneh-Aktivistin.

»Wir müssen die Leute vor Ort, die ohnehin mit immer neuen Ferienanlagen, die den Zugang zum Meer einschränken, konfrontiert sind, wieder aufwecken. Während der Pandemie ist vieles eingeschlafen«, meint Martínez. Sie hat sich mehr von der neuen Regierung erhofft, kritisiert deren Passivität – nicht nur bei der Zede-Abwicklung, sondern auch bei der Landrückgabe an die Garífuna in anderen Fällen, wo bereits Urteile vorliegen. Eine Einschätzung, die Venessa Cárdenas Woods teilt. »Bauvorschriften, die für den Rest der Insel gelten, werden bei der neuen Próspera Baustelle anscheinend nicht eingehalten – da müsste es Handhabungen geben.« Melissa Martínez befürchtet zudem, dass auch die Enteignung von Grundstücken zugunsten der Zedes trotz des annullierten Gesetzes rechtlich damit nicht vom Tisch ist. »Das Problem ist, dass fast alles vollkommen intransparent ist.« Deshalb geht in Crawfish Rock auch weiterhin die Angst um, dass die Kaianlagen, die die Zede Próspera in ihren Plänen ausgewiesen hat, doch noch kommen könnten. Dann wäre der Zugang zum Strand für die Menschen vom Crawfish Rock Geschichte.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.