Linke will keine Visabeschränkungen für Russen

Kriegsgegner und junge Menschen aus Russland sollen unkompliziert nach Deutschland einreisen dürfen

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.
Estland hat bereits Beschränkungen für Russen beschlossen. Nun wollen andere EU-Länder nachziehen. Die Linke erinnert die Bundesregierung an ihren Koalitionsvertrag und fordert Visaerleichterungen.
Estland hat bereits Beschränkungen für Russen beschlossen. Nun wollen andere EU-Länder nachziehen. Die Linke erinnert die Bundesregierung an ihren Koalitionsvertrag und fordert Visaerleichterungen.

Seit beinahe 200 Tagen führt der Kreml in der Ukraine Krieg. Seit dem 24. Februar agiert die Regierung um Wladimir Putin auch im eigenen Land immer repressiver und verfolgt all jene, die sich gegen den Krieg aussprechen und für Betroffene einsetzen. Mit der Sperrung des Luftraums hat die Europäische Union die Ausreise aus Russland erheblich erschwert. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte zwar in den vergangenen Wochen immer wieder, dass der Krieg von der Regierung und nicht den Menschen in Russland ausgehe, doch insbesondere die baltischen Länder sowie Polen und Tschechien wollen die Russ*innen für die Verbrechen ihres Präsidenten bestrafen. Sie fordern einen Stopp der Visavergabe an russische Bürger*innen und verweigern ihnen teilweise bereits die Einreise. Die sollen lieber ihre Regierung stürzen, als in Europa Urlaub machen, heißt es im Baltikum. Am Dienstag beschloss die Bundesregierung, ein Abkommen mit Russland über die erleichterte Erteilung von Visa auszusetzen.

Damit verstößt die Ampelkoalition gegen ihre eigenen Ansprüche. Im Mai hatte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Klausurtagung des Bundeskabinetts all jenen, die Russland verlassen, einen Arbeitsplatz angeboten, denn man könne die Menschen in Deutschland »gut gebrauchen«. In der Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke heißt es aus der Bundesregierung jetzt, Russ*innen müssten Voraussetzungen erfüllen, um ein Arbeitsvisum in Deutschland zu erhalten. Das gelte auch für Journalist*innen sowie Medien- und Kulturschaffende. Oppositionelle und gefährdete Personengruppen sollen »im Einzelfall« Visa bekommen. Praktisch bedeutet das für die Betroffenen enormen Aufwand, ihre »Opposition« den deutschen Behörden nachzuweisen. Viele Visaverfahren schleppen sich bereits seit Monaten.

Bemühungen der Bundesregierung für den Schutz von in Russland gefährdeten Menschen sind selbstverständlich zu begrüßen, meint der europapolitische Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, Andrej Hunko, gegenüber dem »nd«. Allerdings seien diese unzureichend. Hunko kritisiert etwa »die verengte Sicht in Deutschland auf die russische Zivilgesellschaft«. Die sei viel größer als die Opposition und regierungskritische Journalisten und umfasse auch alle russischen Schüler und Studenten. Hunko verweist zudem auf die Situation von Kriegsdienstverweigerern aus Russland und der Ukraine. In Russland häuften sich in letzter Zeit Berichte von einzelnen Soldaten und ganzen Einheiten, die den Kriegseinsatz in der Ukraine verweigern und dafür im Gefängnis landen. Laut Auskunft der Bundesregierung können die Betroffenen einen Asylantrag stellen, sobald sie in Deutschland sind. Hunko fordert hingegen ein Sonderaufnahmeprogramm, »das gezielt die Kriegsgegner aus diesen Ländern unterstützt«.

Im Zuge des Krieges hat die Bundesregierung von ihrem Vorhaben eines visafreien Verkehrs von Russland nach Deutschland für Menschen unter 25 Jahren Abstand genommen. Der Austausch und die Begegnung zwischen jungen Menschen beider Länder bleibe ein wichtiges Anliegen, heißt es auf die Anfrage hin. Angesichts der aktuellen Lage seien weitere Gespräche über Visaerleichterungen derzeit jedoch nicht geplant. Hunko mahnt, die Regierung solle ihrem Koalitionsvertrag nachkommen und »den visafreien Reiseverkehr aus Russland nach Deutschland zumindest für junge Menschen endlich ins Leben rufen«. Generell, so der europapolitische Sprecher, dürfe es keine Visabeschränkungen für Russ*innen geben. Auch die Europäische Union diskutierte am Dienstag, Russ*innen unter 25 von den Sanktionen auszunehmen.

Der Linke-Abgeordnete André Hahn sieht auch an anderer Stelle Handlungsbedarf. Die Antwort auf die Kleine Anfrage zeige deutlich, wie dringend die Bundesregierung einen Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft benötige, betont Hahn gegenüber »nd«. Zuletzt hatte der SPD-Politiker Johann Saathoff den Posten bis Dezember 2021 inne. Vor einer Neubesetzung müsse die Aufgabenbeschreibung angepasst werden, erklärte die Regierung Anfang August auf Hahns Anfrage.

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