• Politik
  • Sozialproteste wegen Preisanstieg

Druckmittel der Gewerkschaften

Über die Protestpläne von Verdi und Co, Lohnrunden und Streiks

Gewerkschaften sind stark genug, um große politische Proteste zu organisieren. Die beiden größten Gewerkschaften, IG Metall und Verdi, haben nun angekündigt, dies zu tun, wenn die Bundesregierung die Menschen angesichts der massiv gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise nicht ausreichend entlastet.

Die Regierungskoalition will demnächst ein neues Entlastungspaket wegen der extrem steigenden Energiepreise vorlegen: Die Arbeiten dazu würden »bald« abgeschlossen, sagte Kanzler Olaf Scholz am Mittwoch nach einer Kabinettsklausur. An diesem Samstag ist dazu ein Treffen der Spitzen von SPD, Grünen und FDP geplant.

Die Gewerkschaft Verdi werde die Beschlüsse bewerten, »danach entscheiden wir, was wir tun«, erklärt ihr Sprecher Günter Isemeyer. Derzeit sei Verdi mit anderen Gewerkschaften und Sozialverbänden im Gespräch, um sich auf die kommenden Wochen vorzubereiten. »Dazu gehört auch, Demonstrationen im Laufe des Herbstes zu organisieren. Die werden dann notwendig, wenn die Bundesregierung die Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend entlastet«, sagte Verdi-Chef Frank Werneke der »Augsburger Allgemeinen« vom Freitag. Und sein Pressesprecher ergänzt: »Wir sind sehr schnell handlungsfähig.«

Kurze Zeit später sagte auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann der Deutschen Presse-Agentur: »Wir spekulieren jetzt nicht über einen ›heißen Herbst‹, werden unsere Mitglieder aber dann zu Protesten aufrufen, wenn keine ausreichenden Entlastungsschritte beschlossen werden.«

Offen ist, was genau die Gewerkschaftsspitzen vorhaben. Am Donnerstag hatte jedenfalls ein IG-Metall-Sprecher erklärt, seine Organisation plane aktuell keine zentralen Demonstrationen. Man versuche alles, um über Lobbyarbeit zu erreichen, dass die Politik ein Paket schnürt, das die Menschen entlastet, hieß es Mitte der Woche aus einem IG-Metall-Bezirk.

Verdi fordert – ähnlich wie andere Gewerkschaften – insbesondere eine weitere Energiepauschale von 500 Euro für Beschäftigte, Studierende, Rentner*innen und Sozialtransfer-Empfänger*innen. Sie sollte steuerpflichtig sein, damit Menschen mit niedrigen Einkünften netto das meiste Geld erhalten. Die Preise für Strom und Gas müssten zudem für einen Grundbedarf gedeckelt werden. Wichtig seien Entlastungen, die »auf Dauer« tragen, so Verdi-Sprecher Günter Isemeyer.

In einzelnen Regionen planen Gewerkschaften bereits jetzt Protestaktionen. So ruft der DGB Hessen-Thüringen zusammen mit dem Bündnis #nichtmituns für Sonntag, den 11. September zu einer landesweiten Demonstration für Thüringen in Erfurt auf. Unter dem Motto »Wir frieren nicht für Profite« fordert der DGB neben dem Energiepreisdeckel einen Mietendeckel, einen Inflationsausgleich und eine Übergewinnsteuer.

Auch im Verdi-Bezirk Berlin-Brandenburg liefen derzeit die Debatten, etwa über eine Kundgebung in Berlin, sagt Verdi-Bezirksleiter Frank Wolf »nd.DieWoche«. »Die Gespräche sind noch am Anfang, aber wir wollen etwas tun. Klar ist, dass wir das auf eine breite Basis stellen möchten.« Während manche Gewerkschafter fürchten, dass Rechtsextreme gerade lokale Proteste für ihre Zwecke nutzen, betont Wolf: Viele Mitglieder, die unter den hohen Preisen leiden, wollten auf die Straße gehen und »wir wollen die Straße nicht Rechten wie der AfD überlassen«.

Jenseits all dessen verfügen Gewerkschaften über ein anderes, starkes Mittel, um wenigstens für tarifgebundene Beschäftigte mehr Geld durchzusetzen: Lohnverhandlungen und Streiks. Verdi strebe in Tarifrunden generell Reallohn-Steigerungen an, sagt Isemeyer. Bei einem Preisanstieg um rund acht Prozent ist das schwieriger als früher. Die jüngsten Abschlüsse für das Bodenpersonal bei der Lufthansa und Beschäftigte an Seehäfen hätten jedoch gezeigt, »dass wir durchaus gut aufgestellt sind«, sagt der Verdi-Sprecher. So steigen die Gehälter für Angestellte am Check-In um 13,6 bis 18,4 Prozent, allerdings über die gesamte Laufzeit des Tarifvertrags von 18 Monaten. Seehafen-Beschäftigte erhalten rückwirkend ab Juli in der sogenannten Ecklohngruppe 7,9 bis 9,4 Prozent mehr Geld. In beiden Fällen haben Beschäftigte mit Arbeitskämpfen Druck gemacht. Nun streiken Lufthansa-Piloten für 5,5 Prozent mehr Geld in diesem Jahr und einen automatischen Inflationsausgleich im nächsten Jahr.

In der ungleich größeren Metall- und Elektroindustrie sind ab Ende Oktober Warnstreiks möglich. Bereits jetzt mobilisiert die Gewerkschaft, so ist in Bremen Mitte September eine große Kundgebung anlässlich der ersten Verhandlungsrunde geplant. Bei Verdi stehen Ende des Jahres Lohnverhandlungen mit der Post und im öffentlichen Dienst an. Beides seien Bereiche, in denen Beschäftigte durch Streiks etwas erreichen können, formuliert Isemeyer.

Trotz alldem werden die Gehälter von vielen Beschäftigten nicht so stark steigen wie die Preise, etwa weil viele Unternehmen gar nicht tarifgebunden sind. Im zweiten Quartal dieses Jahres sanken die Bruttomonatsgehälter nach Abzug der Inflation im Schnitt um 4,4 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt diese Woche mit. Für Menschen wie Studierende und Grundsicherungs-Empfänger können Gewerkschaften in Tarifrunden ohnehin nichts erreichen. Auch darum pochen sie auf staatliches Handeln.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -