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Bessere Literatur

Der Himmel über Franken ist schön, derzeit. Aber was passiert mit Winnetou in den »Nürnberger Nachrichten«?

  • Jürgen Roth
  • Lesedauer: 4 Min.
Also, der Himmel in Franken (hier über der Vogelsburg) ist doch recht ansehnlich
Also, der Himmel in Franken (hier über der Vogelsburg) ist doch recht ansehnlich

Hat die westliche Menschheit ihr Hirn endgültig versengt? Beziehungsweise versenkt? Ich weile seit zwei Wochen wieder in Franken, bei meinen Eltern. Vor Ort sein, so ein uncooler Quatsch eben, Influencer bin ich nicht, man wischt mal die Treppe oder bringt den Müll raus.

Der Himmel über Franken ist im Moment sehr geraten. Morgens schaut er aus, als habe ihn irgendwer gewienert. Blank wölbt er sich, schön beschirmt er dich. Drüber muss ein güt’ges Wesen wohnen. In Neuendettelsau, ich habe es ausgerechnet, laufen zu dreiundneunzig Prozent Deppen herum, aber das macht nichts, denn der Franke frönt seiner Doofheit, ohne jemandem auf die Nerven zu fallen. Mein Freund Hermann Peter Piwitt sagt, er möge die Franken, da sie keine Imperialisten seien.

Vorhin erzählte mir jemand im Wirtshaus, dass er gestern auf der Kirchweih einen bereits ziemlich präzise angebahnten, ja praktisch total eingetüteten Geschlechtsverkehr schließlich nicht habe vollziehen können, weil er noch eine Maß habe saufen wollen. So ist der Franke. Er hat Prioritäten. Mitunter erbricht sich der Himmel über Franken und schüttet neunzig Liter pro Quadratmeter aus. Dann läuft die Suppe in den Keller und man feudelt. Die Natur handelt, wie sie handelt, und der Mensch greift zum Putzeimer. In anderer Hinsicht habe ich auch keine Beschwerden vorzubringen, die Vögel im Garten bedürfen keiner genaueren Beaufsichtigung.

Das eine Problem ist allerdings, dass es hier einen Fernseher gibt, aus dem die Einmeinung schallt. Das andere Problem ist, dass es hier eine Zeitung mit dem Titel »Nürnberger Nachrichten« gibt, in der nicht bloß das in der Chefetage festgeschraubte Genie Alexander Jungkunz jeden Tag Tinte abschlägt, ein Mann, der mir dermaßen dumm dünkt, dass man ihm drei Büchner-Preise auf einen Hieb verleihen sollte.

Einen solchen Autoren vertrüge vermutlich jede Zeitung. Aber jetzt hob ein weiterer Großkopf namens Armin Jelinek sein Haupt und skribierte anläßlich der nicht einmal lächerlichen Winnetou-Angelegenheit auf die Seite zwei, der Buchverlag Ravensburger habe sein »Engagement« in Sachen Indianerverachtung »nach öffentlicher Kritik nun gestoppt. Gut so«. Die Begründung des Hochkulturkommissars: »Denn Kunst muss sich trotz der großen Freiheit, die sie hierzulande genießt, immer der gesellschaftlichen Bewertung stellen.«

Muss sie das? Hat Kunst nicht stets impliziert: »Ihr könnt mich mal! Ich muss gar nichts müssen!« Hätte Flaubert unter den Augen des Reichsliteraturverwesers Jelinek eine Periode schreiben dürfen? Wäre unter ihm je ein Poem von Heine erschienen? Was ist mit all den Häretikern, die uns durch dieses Jammertal begleiten? Tolstoi? Frauenversklaver. Shakespeare? Antisemit. Voltaire? Religionsschänder. Wer richtet darüber? Wer entscheidet, dass Kunst »trotz der großen Freiheit«, die sie offenbar aus den Händen der »Nürnberger Nachrichten« empfängt, ihre »gesellschaftliche Angemessenheit«, ihre »soziale Verantwortung« unter Beweis stellt? Frau Bürger von nebenan? Karl Hüttler vom Stammtisch? Mein Friseur? Claudia Roth?

Die Idiotie, die in diesen höllischen »Nürnberger Nachrichten« wütet, nimmt in den nächsten Zeilen ein Ausmaß an, das ich Schwachmat mir nicht auszumalen in der Lage gewesen wäre: »Es gibt heutzutage wirklich keinen Grund mehr« – die Reste des Regenwaldes abzuholzen? Ach was: »Aus rein kommerziellen Interessen die mit Klischees vollgestopften Geschichten Mays kritiklos immer neu zu erzählen.«

Gibt es heutzutage womöglich wirklich keinen Grund mehr, aus rein kommerziellen Interessen die Welt mit den »Nürnberger Nachrichten« zu verpesten? Und was treibt diese neomaoistischen Jelineks an, mich unter dem dreckig jovialen, hoffärtigen Vorwand von Liberalität ständig erziehen zu wollen? »Natürlich darf man die Winnetou-Bücher und -Filme auch heute noch mögen und sich dabei an die eigenen Jugendtage erinnern, als man sie unter der Bettdecke verschlungen hat [die Filme, logisch]. Aber genauso sollten wir dafür sorgen, dass unsere Kinder bessere Literatur zu lesen bekommen.«

Spricht da Papst Gregor IX.? Und wer hat Kriterien für »bessere Literatur« in petto? Und wie lauten die? Und was wären die Folgerungen? Bundesligaromantabellen? Svevo liegt aufgrund des Torverhältnisses knapp vor Henscheid! Lyrik-Rankings? Rilke hängt Hesse wegen einer Motorausbaustufe im diesjährigen »Focus«-Poll klar ab! Dramenlisten? Wedekind wird in Anbetracht seiner miserablen Wurfquote vom Spielplan gestrichen!

Könnte man nicht einfach die Goschen halten? Der Himmel über Franken ist doch recht ansehnlich. Reicht ja.

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