- Politik
- Linke-Demo in Leipzig
Hitziger Montag auf Leipzigs Straßen
Mehrere Tausend Menschen auf Linke-Demo gegen steigende Preise. Rechte Demo wird blockiert
Die gute Nachricht voran: Linke und rechte Demonstrant*innen blieben am Montagabend in Leipzig sichtbar getrennt. Versuche von Rechtsextremen, die Linke-Demonstration gegen die aktuelle Preisexplosion für sich zu vereinnahmen, wurden unterbunden. Erst recht bildete sich keine Querfront. Und: Die Demokrat*innen waren in der Überzahl.
Mehrere Tausend Menschen gingen am Montagabend in Leipzig gegen steigende Preise in Folge des Ukraine-Krieges auf die Straße. Die Linke hatte zur Kundgebung auf dem Augustusplatz aufgerufen und allerhand Prominenz mitgebracht: Ko-Parteichef Martin Schirdewan, die Ko-Fraktionsvorsitzende aus dem Bundestag Amira Mohamed Ali, den Leipziger Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann und den früheren Fraktionschef im Bundestag Gregor Gysi. Dieser griff die Ampel-Regierung in seiner Rede scharf an: »Unsere Bundesregierung ist in Wirklichkeit überfordert. Sie kann mit der Situation überhaupt nicht umgehen.« Die Linke fordert einen Stopp der geplanten Gasumlage, einen Gas- und Strompreisdeckel, eine Übergewinnsteuer, Entlastungen für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen und eine Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel.
Auch fand Gysi klare Worte zur rechtsextremen Demonstration: »Mit diesem rechten Gesocks haben wir nichts zu tun, sie sind unerträglich«, grenzte er sich scharf von jenen etwa 1000 Demonstrant*innen ab, die sich auf der anderen Seite des Augustusplatzes versammelt hatten. Darunter die Kleinstpartei »Freie Sachsen« und ihr Chef Martin Kohlmann, Publizist Jürgen Elsässer, Holocaustleugner Nikolai Nerling und Ex-AfD-Politiker André Poggenburg. Die Rechten hatten versucht, eine Querfront auf der Demonstration zu bilden. Auf einem vorab von der »Freien Sachsen« verbreiteten Aufruf waren sogar die Namen Gysi und Pellmann abgedruckt – neben den erwähnten Protagonisten der rechten Szene. Damit hatten sie suggeriert, es handle sich um ein- und dieselbe Veranstaltung. Allerdings hatte das Landgericht Leipzig entschieden, dass die Kleinstpartei die Namen der Linke-Politiker löschen und den Aufruf richtigstellen muss.
Zunächst wurden beide Demonstrationen durch Absperrgitter und eine Straßenbahnlinie voneinander getrennt. Während auf der Linke-Demo die Redebeiträge gehalten wurden, wollten die Rechten dann auf den historisch bedeutsamen Leipziger Ring marschieren, wo 1989 die Massendemonstrationen gegen die DDR-Autokratie stattfanden. Allerdings kamen sie nur ein paar Meter weit, weil Antifaschist*innen eine Straßenblockade errichteten. Also drehten sie wieder um, ein Teil ging dann noch den Ring in entgegengesetzter Richtung entlang – allerdings wurden die Rechten auch beim zweiten Versuch von linken Demonstrant*innen gestört. Mehrfach kam es zwischen beiden Gruppen zu verbalen Auseinandersetzungen. Zeitweilig war die Atmosphäre angespannt, unter den Rechten war die Stimmung teilweise aggressiv. Nach verschiedenen Meldungen soll es vereinzelt auch zu Tätlichkeiten gekommen sein. Zuvor war es bereits am Rande der Linke-Kundgebung zu kleineren Scharmützeln gekommen, als Antifaschist*innen versuchten, jenen Personen den Zutritt zu verweigern, die sie als rechts einordneten.
Sören Pellmann, der für seine Partei bei der Bundestagswahl 2021 ein Direktmandat errungen hatte, was letztlich entscheidend war für den Wiedereinzug in Fraktionsstärke, war für seine Forderung nach linken Montagsdemos auch parteiintern kritisiert worden, weil dieser Begriff seit den verschwörungsideologischen Montagsmahnwachen von rechts besetzt ist. Nun konnte er als Erfolg verbuchen, dass die Anzahl der linken Demonstrant*innen überwog. »Ich ziehe eine positive Resonanz. Es war laut, es war bunt, es war auch ein klares Zeichen gegen rechts«, sagte Pellmann »nd«. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass antifaschistische Gruppen wie »Leipzig nimmt Platz« vor allem deshalb mobilisiert hatten, weil sie den Rechten nicht den Augustusplatz überlassen wollten – und nicht aufgrund der Linken. Die Linke-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel twitterte deutlich verhaltener als Pellmann: Dass die Veranstaltung »nicht zum Desaster« für die Linke geworden sei, sei »vor allem den außerparlamentarischen linken Gruppen zu verdanken«.
Die Anbiederung der extremen Rechten begann bereits bei der Musikauswahl: Bei der Kundgebung der »Freien Sachsen« vor dem Gewandhaus wurde das Lied vom »Kleinen Trompeter« gespielt, bevor deren Chef Martin Kohlmann ans Mikro trat. Es war Musik, die eigentlich eher auf Veranstaltungen der Linken zu erwarten wäre. Dieser suchten Kohlmann & Co. offensiv einen Schulterschluss aufzudrängen. Der Chemnitzer Anwalt warf der Bundesregierung vor, mit den Sanktionen gegen Russland einen »üblen Plan« zu verfolgen. Dessen Umsetzungen müsse man stoppen, und zwar »wenn es sein muss« auch gemeinsam mit der Linken. Jürgen Elsässer, Chef des völkischen Magazins »Compact«, beschwor eine »breite Volks- und Querfront«. André Poggenburg, früherer Fraktionschef der AfD im Magdeburger Landtag, mahnte, es dürfe in der aktuellen Krise »kein rechts und kein links, kein oben und unten« mehr geben: »Hört auf mit der Spalterei!«
Alle drei verwiesen auf eine Großdemonstration am Wochenende in Prag, bei der 70 000 Menschen gegen den Russland- und Krisenkurs der dortigen Regierung auf die Straße gegangen waren, und zwar auf Einladung extrem rechter Kräfte ebenso wie der Kommunistischen Partei. Elsässer sprach von der »Heldenstadt Prag«, Kohlmann appellierte: »Was in Prag geht, muss auch in Sachsen möglich sein.« Auffällig ist dabei, wie die Rechtsextremen versuchen, einen Keil in die Linke zu treiben und interne Differenzen über deren Kurs zu verstärken. Generell sei die Partei »wessifiziert und von der Nato durchseucht wie die Grünen«, wetterte Elsässer. Auch sie könne sich nicht zur Forderung nach einem Ende der Sanktionen »durchringen«, ätzte Kohlmann. Politikern wie Pellmann indes wird von den Rechten eine Umarmung aufgenötigt: Dieser repräsentiere den »besseren Teil« der Partei, der sich »für die Probleme des Volkes« interessiere, sagte Elsässer.
Als engste Verbündete im Geiste sieht man Sahra Wagenknecht, deren Name von den Teilnehmer*innen der Kundgebung in Sprechchören skandiert wurde. Linke Kritiker*innen der Ex-Fraktionschefin im Bundestag werfen dieser vor, dass sie Rechten dazu auch einen Anlass biete, da sie in Social-Media-Posts suggeriere, sie betrachte die Bundesregierung und eben nicht den Aggressor Wladimir Putin als hauptverantwortlich für die außen- und wirtschaftspolitische Entwicklung in Europa. Das Magazin »Compact« hatte sogar mit Wagenknechts Konterfei für die Veranstaltung geworben. Elsässer sieht Wagenknecht und andere »aufgeweckte Linke« in einem möglichen Bündnis mit »Patrioten« wie Björn Höcke, Querdenker*innen, rechten Gewerkschafter*innen und Medien. In Abwandlung eines Zitats von Karl Marx forderte er: »Patrioten und Proletarier, vereinigt euch«. Ein gemischtes Publikum hatte sich bei ihnen versammelt: Neben Männern in Shirts mit eindeutig rechtsextremen Botschaften fanden sich dort auch gewöhnlich gekleidete ältere Frauen.
Auch bei der Linke-Kundgebung waren verschiedene Milieus zusammengekommen: außerparlamentarische Gruppen wie »Wer hat, der gibt«, die sozialpolitische Forderungen in Richtung einer Umverteilung in den Fokus rücken, neben jüngeren Linksradikalen, die sich mit antifaschistischen Botschaften an der Frontlinie zu den Rechtsextremen postierten, und zumeist älteren Personen, die mittels entsprechender Schilder den Austritt aus der Nato verlangten. Manche Forderungen tauchten allerdings auf beiden Seiten auf, etwa die nach einer Öffnung der Erdgaspipeline Nordstream 2. Diese war auf Plakaten von Teilnehmer*innen der Linke-Demo zu sehen und stand ebenso auf dem Fronttransparent des Demonstrationszuges der Rechten, der einige Meter über den Ring zog, bevor dieser von Sitzblockaden der Antifa gestoppt wurde. Von der Linke-Bühne aus gab es für diese Forderung aber keinen Applaus: Auf ihrem Erfurter Parteitag im Juni hatte die Linke beschlossen, die Lieferung fossiler Energieträger stärker einzuschränken. Allerdings halten Abgeordnete wie Wagenknecht und Klaus Ernst an der Pipeline fest. Derweil werden die Inbetriebnahme von Nordstream 2 und ein Ende der Sanktionen gegen Russland in der Rechten als »Minimalkonsens« für das erhoffte gemeinsame Agieren gesehen.
Außenpolitisch dominierten in den Reden der Linken – neben einer Verurteilung des Angriffskrieges, wie ihn die Partei ebenfalls beschlossen hatte – eher klassische Sichtweisen: Frieden sei nicht gegen Russland möglich, man dürfe nicht den USA hinterherlaufen. Amira Mohamed Ali griff die nach »Spiegel«-Recherchen von prorussischen Troll-Accounts verkürzt verbreitete Rede von Außenministerin Annalena Baerbock auf, in der diese sagte, sie wolle die Ukraine unterstützen, »egal war meine deutschen Wähler denken«.
Irena Rudolph-Kokot, Sprecherin des Aktionsnetzwerks »Leipzig nimmt Platz«, übte hinterher im Gespräch mit »nd« Kritik an der Organisation: »Für die Rechten, die sonst immer montags mit 80 Leuten über den Ring wackeln und uns schon seit Monaten nerven, war das Aufwind.« Statt einer Demonstration einer Partei wünscht sich die SPD-Politikerin ein überparteiliches Bündnis gegen die hohen Preise. Zwar waren auch an diesem Montag überparteiliche Gruppen beteiligt, so der Verein Shia, der sich als Interessenvertretung von Alleinerziehenden versteht, und die linksradikale Gruppe Prisma als lokaler Ableger der Interventionistischen Linken. Gefehlt haben aber zum Beispiel Gewerkschaften und Klimagruppen. Ein solches Bündnis sei in Leipzig aber bereits in Planung, sagte Rudolph-Kokot.
Dass es zu einer Vermischung der Lager in Leipzig nicht kam, sieht auch David Begrich nicht als Pleite für die extreme Rechte. Viele der von ihr geäußerten Querfront-Forderungen seien ohnehin »bloße Rhetorik«, sagt der Soziologe vom Magdeburger Verein »Miteinander«. Kohlmann und Elsässer strebten kein tatsächliches gemeinsames Agieren mit der Partei Die Linke an, sondern suchten vielmehr »Brücken in das gegnerische Lager« zu schlagen. Ihr Ziel sei es, der politischen Linken die soziale Frage streitig zu machen und zu »entwenden«. Ob die Strategie fruchtet, ist nach Ansicht Begrichs nicht entschieden. »In der Großstadt Leipzig wird eine Querfront nicht entstehen«, sagt er. Für nicht ausgeschlossen hält er es aber, dass sie bei Protesten in kleineren Städten »von unten wächst«, wo sich Anhänger*innen beider Lager womöglich hinter ähnlichen Forderungen versammeln. Die »Deutungshoheit« über den Protest wird nach seiner Einschätzung erlangen, wer »am lautesten die Forderung nach einem Ende der Sanktionen und einer Öffnung von Nordstream 2 artikuliert«. Deren Popularität sei in einem speziellen ostdeutschen Verhältnis zu Russland begründet, an das die »Freien Sachsen« wie auch die AfD anknüpften und das »im Westen kein Mensch versteht«. Elsässer brachte das auf die Formel, man wolle »die guten Seiten der DDR« bewahren.
Mit Blick auf die Kundgebung der Linken und deren Ziel eines »heißen Herbstes« warnte Begrich vor allzu großer Euphorie. Zwar sei es »wichtig und richtig« gewesen, eine solche Veranstaltung anzusetzen. Begrich hält auch die Wahl des Wochentags für legitim. Montagsdemonstrationen seien in Ostdeutschland »die zentrale Deutungsvorlage« für Protest; den Versuch, sich diesen anzueignen, »halte ich nicht für moralisch verwerflich«. Allerdings hat die Linke in Leipzig nach Einschätzung Begrichs »ihre Anhängerschaft mobilisiert, mehr nicht«. Er äußert sich generell skeptisch darüber, dass eine Partei Sozialproteste organisiert: »Das muss von unten wachsen.« Begrich erinnerte an die Entstehung des Widerstands gegen Hartz IV, in dem die damalige PDS zwar eine wichtige Rolle spielte, der aber zunächst von Betroffenen wie dem Magdeburger Andreas Erholdt organisiert wurde. Angesichts der Parteienverdrossenheit in Ostdeutschland hielte er eine »zurückhaltendere Rolle« der Linken als Partei und deren Einordnung in Bündnisse mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und anderen Initiativen für zielführender.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.