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Die Energiesparmeister von Flöha
Die sächsische Kleinstadt zeigt, wie es auch ohne hohe Investitionen gelingen kann, den Verbrauch von Strom und Gas stark zu senken
Der »lange Lulatsch« bleibt nachts ab sofort dunkel. Der mit diesem Spitznamen versehene Schornstein des Chemnitzer Heizkraftwerks ist mit 306 Metern das höchste Bauwerk Sachsens und weist Besuchern seit fast 40 Jahren schon von weitem den Weg in die sächsische Stadt. Seit 2017 hat er sich zu einem ihrer wichtigsten Wahrzeichen entwickelt: wegen sieben bunter Bauchbinden, mit denen ihn der Künstler Daniel Buren im Auftrag des örtlichen Energieversorgers Eins versah. Die Streifen in Farbtönen wie Melonengelb oder Erdbeerrot wirkten besonders faszinierend in der Nacht, wenn sie von 168 LED-Leuchten angestrahlt wurden. Aber damit ist vorerst Schluss. Energie ist in Deutschland knapp wie nie, überall müssen Strom und Gas gespart werden. Die Beleuchtung der Esse verbrauche im Jahr so viel Strom wie 15 Haushalte, erklärt der Versorger, also rund 37 500 Kilowattstunden. Das ist eine eher überschaubare Menge, aber aktuell lautet im Land die Devise: Kleinvieh macht auch Mist, und jede eingesparte Kilowattstunde zählt.
In Flöha gibt es keinen Schornstein, kein Museum oder Denkmal, das bisher nachts angestrahlt worden wäre und dessen Verdunkelung jetzt dazu beitragen könnte, das Land in energetischer Hinsicht besser durch den Winter zu bringen. Dafür wird das Motto vom Kleinvieh und dessen Mist in der Kleinstadt, die wenige Kilometer hinter dem Chemnitzer Stadtrand am Zusammenfluss der Flüsse Flöha und Zschopau liegt, beim Verbrauch von Gas, Strom und Wasser schon seit Jahren beherzigt. Gerade wurde für Deutschland die Parole ausgegeben: 20 Prozent weniger bei Strom und Gas sind machbar. In Flöha haben sie solche Vorgaben schon jetzt um Längen übertroffen. Im Jahr 2015 seien in zehn großen städtischen Gebäuden 2100 Megawattstunden Gas verbraucht worden, sagt Hauptamtsleiter Martin Mrosek. Sechs Jahre später waren es nur noch 1459 Megawattstunden, ein Minus von 31 Prozent. All das, betont Mrosek, sei erreicht worden, »ohne dass wir nennenswert investiert hätten«.
Dresden will 33 Millionen Kilowattstunden sparen
Mroseks Kollegen landauf, landab sind derzeit gefordert, ähnliche Einsparungen umzusetzen. Dafür sorgt einmal die Bundesregierung mit zwei »Verordnungen zur Sicherung der Energieversorgung«, von denen die erste seit voriger Woche in Kraft ist und die zweite im Oktober folgt. Zum anderen bewirken die explodierenden Energiepreise, dass man sich in Rathäusern auch ohne Vorgaben aus Berlin den Kopf zerbricht, wie der Verbrauch zu senken ist. Dresden etwa legte dieser Tage einen »Energiesparplan« vor. Er gibt das Ziel aus, in einer ersten Stufe 33 Millionen Kilowattstunden an Energie einzusparen. So viel wird bislang allein für die Verwaltungsgebäude der Stadt verbraucht. Rechnet man Schulen und Kitas, Ampeln und Straßenlaternen, Turnhallen und das Friedhofswesen dazu, bringt es Dresden derzeit auf 158 Millionen Kilowattstunden an Gas, Fernwärme und Strom, wobei letzterer in einem Kraftwerk des örtlichen Versorgers ebenfalls aus dem gerade extrem knappen Erdgas erzeugt wird. Eindringlich wird daher in dem Papier appelliert: »Jede eingesparte Kilowattstunde ist wertvoll.«
Die gesetzlichen Vorgaben und der Preisdruck sorgen dafür, dass derzeit jeder auch noch so kleine Stein umgedreht wird. Das zeigt eine Liste von möglichen Maßnahmen, die Sachsens Städte- und Gemeindetag (SSG) nach einem Energiegipfel der Landesregierung veröffentlichte. So sollen Büros in kommunalen Gebäuden nur auf 19 statt 20 Grad geheizt und Boiler abgeschaltet werden, die nur warmes Wasser zum Händewaschen erzeugen. Türen und Fenster sollen abgedichtet, Straßenlaternen wo möglich gedimmt und die Wassertemperatur in Schwimmhallen abgesenkt werden. Zu prüfen sei sogar, ob Dienstgebäude zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen werden könnten.
Eishockeyverein soll vorerst auf Eis verzichten
Manche der Vorschläge sorgen für erhebliche Kontroversen. Als die Stadt Zwickau vor einigen Wochen bekannt gab, die Warmwasserversorgung nicht nur in der Verwaltung und den Museen, sondern auch in Schulen und Kitas werde eingestellt, gab es empörte Reaktionen. Inzwischen ist klar, dass letztere von den Sparbemühungen weitgehend ausgenommen werden. SSG-Geschäftsführer Mischa Woitscheck sprach vom nötigen »Spagat« zwischen Energiesparen und guten Lernbedingungen. Aber auch in anderen Bereichen lauern Konflikte. Die Gemeinde Schönheide im Vogtland verschob das für August geplante Vereisen der örtlichen Eissporthalle, in der immerhin der aktuelle Meister der Eishockey-Regionalliga Ost trainiert. Der Bürgermeister verwies auf einen Stromverbrauch, der in der aktuellen Lage »nicht zu rechtfertigen« sei. Beim Verein erntete er kein Verständnis.
Dass der Verbrauch von Strom und Gas stark zu senken ist, ohne dass es zu Zwist und Streit kommt, kann man sich bei Martin Mrosek in Flöha erklären lassen, in einem Büro, in dem erst einmal nichts auf einen Energiesparmeister hindeutet. Ein Thermometer auf Mroseks Schreibtisch zeigt an diesem milden Spätsommertag mollige 26 Grad. Der Hauptamtsleiter sitzt in der obersten Etage des alten Rathauses unter einem ungedämmten Dach. Im Sommer, sagt er, sei es »hier nicht auszuhalten«; im Winter geht die Wärme im Wortsinne durch die Decke. Dabei bedeutet selbst in besser gedämmten Räumen eine um ein Grad höhere Raumtemperatur einen Mehrverbrauch von sechs Prozent, ist auf dem kleinen »Energiesparthermometer« zu lesen, das Mrosek von der Sächsischen Energieagentur (Saena) bekommen hat.
Gemeinsam mit dieser Beratungseinrichtung des Landes fährt Flöha seit 2015 ein Programm, das sich »Kommunales Energiemanagement« nennt. Dabei gehe es um die »systematische … Erschließung der Einsparpotenziale beim Betrieb kommunaler Gebäude«, heißt es auf der Internetseite der Saena. Bereits durch organisatorische Maßnahmen könnten 10 bis 30 Prozent des Verbrauchs eingespart werden, »und das ohne Investitionen«, wie betont wird.
Temperatur wird zunächst nachts gesenkt
Was nach Zauberei klingt, bedeutet tatsächlich akribische Arbeit im Detail. Viel Energie sei zum Beispiel zu sparen, indem Heizungsanlagen bestmöglich eingestellt werden, sagt Tobias Kade, Energieberater bei der Saena. Beispiel Schulen: Dort soll es während des Unterrichts ausreichend warm sein. Während der längsten Zeit des Jahres aber sind keine Schüler im Gebäude: abends, am Wochenende, in den Ferien. So manche Heizung läuft dessen ungeachtet im Normalbetrieb weiter. »Es mag banal klingen«, sagt Kade, »aber eine der ersten Maßnahmen ist es, die richtigen Zeiten einzustellen.« Erst danach wird über abgesenkte Temperaturen geredet – und zwar zunächst für die Zeiten, in denen keiner im Haus ist. Die seien zum einen länger als die Phasen, in denen Büros oder Klassenräume belegt sind; zum anderen sorgen einige Grad weniger in der Nacht für weniger Akzeptanzprobleme als eine Absenkung von 20 auf 19 Grad am Tage. »Wenn kein Nutzer im Haus ist«, sagt Kade, »gibt es auch niemanden, dem es zu kalt ist.« Tagsüber, fügt er hinzu, solle trotzdem angestrebt werden, die Raumtemperatur auf zuvor beschlossene Werte zu begrenzen.
Bevor es freilich an Regler und Schaltpulte geht, plädiert die Agentur dafür, Verantwortliche für das Thema Energie zu bestimmen. In Flöha sind Mrosek und ein Rathauskollege als »Energiemanager« eingesetzt. Danach wird dazu geraten, Regeln etwa zur Dauer der Heizperiode und den angestrebten Raumtemperaturen festzulegen und den Energieverbrauch einzelner Gebäude zu erfassen, und zwar nicht wie jetzt oft für das Jahr, sondern für jeden Monat. Dort, wo er am höchsten ist, lohne es sich zuerst zu handeln. Flöha, sagt Mrosek, habe anfangs acht und später zehn Gebäude ausgewählt, zu denen je ein großes Grund- und Mittelschulzentrum gehören: »Da sind die Effekte am größten.«
Ohne Hausmeister geht nichts
Dann geht es an die Feinarbeit: die Optimierung des Betriebs. Anlagen müssen eingestellt, die Effekte in möglichst jedem Raum gemessen, Temperaturkurven und Vorlauftemperaturen immer wieder neu angepasst werden. »Man tastet sich an das Ziel heran«, sagt Kade. Ob es erreicht wird, hängt zunächst maßgeblich von einer Person ab: dem Hausmeister. Er müsse das Innenleben der oft komplexen Heizungsanlagen gut kennen und vor allem vom Sinn des Unterfangens überzeugt sein: »Ein Energiemanagement am Hausmeister vorbei ist nahezu unmöglich.« Erst danach kommen auch die Nutzer der Gebäude ins Spiel: Lehrer und Schüler, Amtsmitarbeiter, Feuerwehrleute, Mitglieder von Sportvereinen. Sie müssen dazu angehalten werden, Thermostate richtig zu bedienen, das Licht bei Verlassen eines Raumes auszuschalten oder bei dicker Luft nicht das Fenster zu kippen, sondern ein paar Minuten lang weit zu öffnen. Derlei Regeln müssten in jeder Heizperiode neu ins Gedächtnis gerufen werden, sagt Kade: »Wir sind eben Gewohnheitstiere.«
Die Maßnahmen, betont man bei der Saena, funktionieren auch und gerade in Gebäuden, die nicht dem allerneuesten Stand der Technik entsprechen. Viele Anlagen, mit denen er zu tun habe, seien 20 bis 30 Jahre alt, sagt Kade; sie stammen aus einer Zeit, in der Energie billig war und der Druck zum Sparen gering. Oft seien sie gemessen an heutigen Bedürfnissen zu groß dimensioniert. Auch dort aber können Strom und Gas gespart werden, indem die Betriebsweise verbessert wird. Das hilft sparen, schon bevor Geld für neue Kessel ausgegeben wird. Welche Investitionen womöglich hilfreich wären, lässt sich durch Kenntnis der monatlichen Verbräuche und der Eigenarten der Anlage besser abschätzen. Auf jeden Fall investiert werden muss freilich in das für ein besseres Energiemanagement nötige, gut ausgebildete Personal. Je nach Größe der Kommune können das ein bis zwei zusätzliche Stellen sein.
Dass sich Städte und Gemeinden in Sachsen trotz der oft extrem angespannten Finanzsituation für das Programm interessieren, liegt an einer guten Förderung, die der Bund über drei Jahre hinweg gewährt. So viel Zeit brauche es, um die Maßnahmen auf den Weg zu bringen, sagt Kade. Er warnt aber vor der Illusion, damit sei die Arbeit abgeschlossen. Zwar sinkt der personelle Aufwand ein wenig: »Aber wenn man ganz lockerlässt, steigt der Verbrauch schnell wieder auf das alte Niveau«, sagt er. Kade räumt ein, dass mancher Stadtkämmerer eher auf den zusätzlichen Personalaufwand schaue als auf die nicht mehr gezahlten Stromkosten. Die stark steigenden Energiepreise bewirken aber womöglich ein Umdenken.
In Flöha ist das Potenzial ausgereizt
Schwieriger wird es, wenn die im Rahmen des Energiemanagements empfohlenen Maßnahmen ausgereizt sind. In Flöha ist der Punkt erreicht: »Alle Potenziale, die wir jetzt noch erschließen könnten, kosten Geld«, sagt Hauptamtsleiter Mrosek. So müsste in der Feuerwache die 30 Jahre alte, mit Gas betriebene Heizung ersetzt werden. Eigentlich war geplant, ein kleines Blockheizkraftwerk zu errichten: »Aber das braucht ebenfalls Gas.« Sinnvoll wäre es, eine Anlage zu installieren, die mit erneuerbaren Energien betrieben wird. Allerdings ist die finanzielle Lage der Stadt, auch wegen der Folgen der Corona-Pandemie, schwierig: »Große Sprünge können wir nicht machen.« Die Frage ist also, was sich die Stadt leisten kann – und was derzeit überhaupt verfügbar ist: Bei vielen Teilen gibt es große Lieferprobleme; zudem sind Firmen auf lange Zeit ausgebucht.
Auch wenn die Feuerwehr also womöglich noch eine Weile auf die neue Heizung warten muss: Viele Hausaufgaben hat Flöha schon erledigt. Neben dem Gasverbrauch wurde auch der Strombedarf um fast die Hälfte reduziert. Was in der Stadt erreicht wurde, lässt ahnen, wie viel Potenzial im Land noch brach liegt. Am Programm zum kommunalen Energiemanagement haben in Sachsen bisher 60 Kommunen teilgenommen, weitere 60 sollen nach dem Willen der amtierenden Landesregierung bis 2024 einsteigen. Insgesamt aber gibt es im Freistaat rund 420 Kommunen.
Einen einzigen Nachteil hat für Flöha das frühzeitige Engagement in Sachen Energiesparen: Es ist nahezu unmöglich, der aktuellen Forderung nachzukommen und den Verbrauch noch einmal um 20 Prozent zu senken. Mrosek hebt die Hände: »Wir sind unserer Verantwortung schon in den vergangenen sieben Jahren nachgekommen.« Selbst die Frage des schlecht gedämmten Dienstzimmers ist geklärt. Im Frühjahr 2023 zieht das Rathaus um: in eine ehemalige Baumwollspinnerei, die gerade saniert und dabei auch ordentlich gedämmt wird.
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