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Vergesellschaften for future
Die Klimabewegung muss verstärkt über Vergesellschaftungsstrategien nachdenken, meint Lasse Thiele.
Anfang Oktober kommen an der Technischen Universität Berlin Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Neugierige zur Konferenz »Vergesellschaftung – Strategien für eine demokratische Wirtschaft« zusammen. Debatten um Vergesellschaftung haben dank »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« neue Prominenz erhalten. Auch aus Klimaperspektive besitzt die Vergesellschaftungsfrage zunehmende Dringlichkeit. Im Konzeptwerk Neue Ökonomie halten wir sie für so entscheidend, dass wir die Vorbereitung der Konferenz seit Längerem unterstützen.
Vergesellschaftung von Wirtschaftszweigen bedeutet nicht nur, Überschüsse nicht mehr in die Taschen Weniger abfließen zu lassen. Sie erlaubt zudem wirtschaftliche Demokratisierung, für die es je nach Gütern und Infrastrukturen eine Vielfalt von Lösungen braucht. Das ermöglicht erst eine zweckgerichtete, bedürfnisorientierte Wirtschaft.
Alles Reden von »qualitativem« Wachstum ist wertlos, solange privates Kapital verwertet werden muss. Der Wettbewerbszwang verlangt stets Quantität – mit völlig austauschbarer Substanz. Hauptsache mehr. Gegenwärtig finden sich nicht nur in Deutschland weite Teile der Gesellschaft in einer Schicksalsgemeinschaft mit Kapitalinteressen: Geht es VW & Co. gut, haben davon zwar noch längst nicht alle etwas. Geht es den Konzernen aber schlecht, bekommen alle ihre Krise zu spüren. Das Gespenst der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit hockt im Lande des selbstgekrönten Exportweltmeisters in jeder Nische. Es verjagt zuverlässig jede ernstzunehmende Klimapolitik.
Mit jedem vergesellschafteten Wirtschafts- und Lebensbereich könnte diese Schicksalsgemeinschaft ein Stück weit aufgelöst werden. Die gesellschaftliche Versorgung von Wohnen über Energie und Gesundheit bis zur Ernährung könnte immer stärker abseits des Kapitalkreislaufs geregelt werden – und würde so weniger krisenanfällig. Sorgearbeit könnte endlich heute noch rentableren Tätigkeiten gleichgestellt werden. Das Gespenst würde seine Schreckenskraft einbüßen, niemand müsste sich mehr vor unglücklichen Investor*innen fürchten. Dass diese kaum noch Renditeobjekte finden, würde nach und nach zu ihrem eigenen Problem. Ihre Geldwerte würden keine Ansprüche auf gesellschaftlichen Reichtum mehr begründen. Soweit die utopische Perspektive.
Teile der Klimabewegung verfolgen diese bereits. In Nordrhein-Westfalen nimmt eine Initiative den fossilen Konzern schlechthin ins Visier: »RWE & Co. Enteignen« stellt die Vergesellschaftungsfrage im Energiesektor. Das ist ungleich komplizierter als die Übernahme von Wohnungsbeständen. So hängen nicht nur die bereits an RWE beteiligten Kommunen und das Land am Schicksal des Konzerns, sondern große Teile seines fixen Kapitals dürften nach einer klimagerechten Vergesellschaftung eigentlich nur noch als Altmetallbestände verbucht werden. Dazu kommen die zukünftigen Renaturierungskosten. Es gilt also gleichzeitig fossile Altlasten abzuwickeln und eine dezentralisierte, erneuerbare Energieversorgung neu aufzubauen. Auch eine vergesellschaftete deutsche Autoindustrie könnte nicht im gewohnten Umfang weiterproduzieren – auch nicht nach Umstieg auf Züge oder Busse: Es müsste zwei Nummern kleiner weitergehen.
Hier nähern wir uns aus Klimagerechtigkeitssicht dem Knackpunkt: Wirtschaftsdemokratie öffnet zwar die institutionelle Möglichkeit, die lokale Wirtschaft im Zuge eines Umbaus auf einen global gerechten Rahmen zu begrenzen. Doch wird das auch geschehen? Es wäre naiv, die Bereitschaft zur Selbstbeschränkung aus Solidarität mit Menschen in anderen Weltregionen, die die Klimakrise zuerst zu spüren bekommen, nach erfolgreicher Vergesellschaftung einfach vorauszusetzen. Für eine global denkende Linke gibt es keine Wunderwaffen, nur langwierige Kämpfe um Solidarität, Hegemonie und Ideen vom guten Leben.
Wenngleich Vergesellschaftung kein Garant für Klimagerechtigkeit ist, bleibt festzuhalten: Ohne sie ist auch klimapolitisch alles nichts. Umso wichtiger die anstehende Konferenz.
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