Europa sucht die Preisbremse

Minister beraten in Brüssel über Maßnahmen in der Energiekrise

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Aufregung ist groß vor dem Treffen der EU-Energieminister*innen diesen Freitag in Brüssel. Denn die 27 Mitgliedsstaaten wollen sich auf gemeinsame Maßnahmen gegen die explodierenden Energiepreise einigen. Derzeit kämpft jedes Mitglied allein gegen die steigenden Kosten. Schon vor dem Gipfel kursierten unzählige Vorschläge für eine Reform des Energiemarktes. Den ersten offiziellen Vorschlag machte am Mittwoch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und versprach eine »strukturelle Reform des Strommarktes«. Die Kommission muss mit ihren neoliberalen Prinzipien brechen, auch wenn es ihr schwerfällt. Denn der Energiemarkt ist ein Kind der EU. Sie hatte die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte seit den 1990ern Jahren vorangetrieben.

Heute gibt es einen Energiebinnenmarkt mit Börsen für Strom und Gas. Zeitweise verdiente etwa der deutsche Konzern Eon mehr Geld mit der Spekulation an der Strombörse als mit der eigentlichen Energieproduktion. Auch in der aktuellen Krise streichen einige Akteure Rekordprofite ein, während viele Haushalte und Unternehmen nicht wissen, wie sie die nächste Energierechnung bezahlen sollen. Die Kommissionspräsidentin hat den Schuldigen bereits ausgemacht: »Russland manipuliert unsere Energiemärkte, deshalb sind wir mit astronomischen Preisen konfrontiert.« Allerdings gingen die Preise schon lange vor dem Ukraine-Krieg durch die Decke. Bereits im Dezember 2021 beklagte der EU-Rat einen »beispiellosen Anstieg« der Energiekosten.

Die Kommission steckt in der Zwickmühle: Einerseits will sie den Markt als Zockerbude erhalten, andererseits muss sie eingreifen, wenn die Preise sinken sollen. Deshalb wirken die Vorschläge der Kommission, die auf dem Energiegipfel diskutiert werden sollen, widersprüchlich. So fordert Brüssel eine Übergewinnsteuer. Dieser »Solidaritätsbeitrag« soll von den Mitgliedsstaaten erhoben werden und »die außerordentlich hohen Gewinne, die den Unternehmen des fossilen Sektors zufließen«, teilweise abschöpfen, wie es im Papier heißt, das »nd« vorliegt. Das Geld soll an »schutzbedürftige Haushalte und Unternehmen« gehen. Die Details der Umsetzung überlässt man den Einzelstaaten.

Zudem sollen die »Zufallsgewinne der Energiekonzerne« einkassiert werden, wie von der Leyen betonte. Dies beträfe vor allem Ökostromerzeuger und Atomkraftwerke, deren Gewinne nicht annähernd die geringen Produktionskosten widerspiegeln. »Wir werden vorschlagen, dass diese unerwarteten Gewinne jetzt umgeleitet werden zu den Mitgliedstaaten«, so von der Leyen.

Von der Leyen fordert zudem einen Preisdeckel für russisches Gas. »Putin fackelt lieber das Gas ab, als dass er es vertragsgemäß nach Europa liefert«, sagt sie. Sparen heißt die Devise, denn Russland hat den Gastransport via Nord Stream 1 mittlerweile ganz eingestellt. Moskau hatte bereits gedroht, dass es kein Gas mehr liefern werde, sollte die EU einen Preisdeckel einführen.

Doch von der Leyen gibt sich kämpferisch: »Wir haben es geschafft, die russischen Ausfälle bei den Gaslieferungen weitgehend zu kompensieren.« Russisches Gas mache nur noch neun Prozent der Gasimporte in die EU aus. Vor dem Ukraine-Krieg waren es noch 40 Prozent. Doch dafür zahlt Europa einen hohen Preis. Denn verflüssigtes Fracking-Gas aus den USA, das die russischen Importe teilweise ersetzt, ist deutlich teurer als das Erdgas aus Sibirien. Deshalb sollen die Mitglieder »verbindliche Ziele für die Verringerung des Verbrauchs vorgeben«. Gleichzeitig will die EU mehr Liquidität in die Märkte pumpen und Anreize durch Marktmechanismen setzen. Der Markt soll es also richten.

Auffällig bedeckt hielt sich die Kommission jedoch in einem zentralen Punkt: Viele EU-Staaten wie Italien, Spanien und Frankreich fordern, die Strompreise von den Gaspreisen abzukoppeln. Bislang richtet sich der Preis nach den teuersten Kraftwerken, und das sind derzeit die mit Gas betriebenen Anlagen. Dieses sogenannte Merit-Order-Prinzip steht zur Disposition, doch offenbar traut sich die Kommission da nicht ran. Zumindest hielt sich die Präsidentin am Mittwoch in der Frage bedeckt.

Der tschechische Industrieminister kündigte deshalb an, die Entkopplung zum Thema auf dem Gipfel zu machen. Tschechien hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne und das Treffen einberufen. Auch aus der Industrie kommen Forderungen, das Merit-Order-Prinzip zumindest auszusetzen. Das dürfte den Druck auf die Kommission zusätzlich erhöhen. Zustimmung signalisierte Tschechien beim Preisdeckel für die Übergewinne.

Einen grundlegenden Systemwechsel fordern die Abgeordneten der Linksfraktion im EU-Parlament, Cornelia Ernst, Sira Rego und Marisa Matias. In einem gemeinsamen Papier drängen sie darauf, »dass Europa die Energie als wesentliches Gut in öffentliche Kontrolle zurückholt. Denn das Versagen des Energiemarktes wird uns jeden Tag schmerzlich vor Augen geführt«.

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