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Waffen für die »Langstrecke«
In Ramstein wurden weitere militärische Hilfsmaßnahmen für die Ukraine besprochen
Das Treffen auf der größten US-Basis außerhalb der USA ist bereits das fünfte der sogenannten Kontaktgruppe. Die Serie der Beratungen begann Ende April an demselben Ort. Damals hatten sich US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sowie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit Experten und sogenannten Entscheidungsträgern vor allem aus westlichen Staaten getroffen, um möglichst rasch umfangreiche Waffen- und Munitionslieferungen für die von Russland überfallene Ukraine zu organisieren.
Knapp fünf Monate später glaubt der Pentagon-Chef, dass der Krieg im Osten Europas eine neue Phase erreicht hat. Austin, einst ein hochdekorierter US-General, dem beste Beziehungen zur Wirtschaft nachgesagt werden, sprach sogar von einem Wendepunkt. Die russischen Angreifer seien vor Kiew zurückgeschlagen worden und kämen auch im Osten sowie im Süden der Ukraine nicht wie geplant voran. In dieser Situation müsse man darüber beraten, wie man die »nachweislichen Erfolge unserer Bemühungen« langfristig gestalten könne. Unter anderem sollte man, so Austin, über eine quantitative wie vor allem qualitative Verstärkung der internationalen Ausbildungsmission für ukrainische Soldaten sprechen. Das, bestätigen auch Bundeswehrexperten, sei in der Tat eine Schlüsselfrage des weiteren Kriegsgeschehens. Das Problem werde inzwischen auch von ukrainischer Seite ernster genommen, heißt es.
Als Vertreter der Führungsmacht im Nato-Bündnis und wichtigster Nachschublieferant der ukrainischen Streitkräfte brachte Austin eine weitere Zusage für militärische Lieferungen im Wert von rund 675 Millionen Euro mit nach Ramstein. Erst Ende August hatte US-Präsident Joe Biden eine Ukraine-Hilfe von knapp drei Milliarden Dollar angekündigt. Damit könne Kiew Luftabwehrsysteme, Artilleriesysteme und Munition, Drohnen und Radare kaufen, »um sich langfristig verteidigen zu können«. Offenkundig glaubt man auch in Washington nicht an ein rasches Ende des Krieges und diplomatische Lösungen in absehbarer Frist. Die Ukraine brauche auf der »Langstrecke« Unterstützung, das Land habe noch einen »harten Weg vor sich«.
Auch in Moskau geht man von einem lang anhaltenden Feldzug aus und plant erst einmal den Winter als strategischen Bundesgenossen gegen die Ukraine ein. Dagegen hatte die Nato auf Bitten des ukrainischen Verteidigungsministers Olexij Resnikow unlängst beschlossen, Kiews Kampftruppen mit Winterausrüstung zu versorgen.
Gespräche über warme Unterhosen, Zelte und Stromgeneratoren liegen der Regierung in Berlin – die in Ramstein wie gewohnt durch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) vertreten wurde – mehr als ständige Debatten darüber, warum Deutschland keine oder zu wenig schwere Waffen liefert. Berlin hat der Ukraine bereits Panzerhaubitzen, Mehrfachraketenwerfer sowie Flugabwehrpanzer geliefert, doch mit Forderungen nach Leopard-2-Kampf- oder Marder-Schützenpanzern trifft man bei Kanzler Olaf Scholz auf taube Ohren. Das liegt nicht nur daran, dass man – so wie die gesamte Nato – Moskau nicht zu sehr herausfordern und den Krieg möglichst eingrenzen will. Auch ist die deutsche Wehrtechnik-Industrie – anders als von ihr oder in Kiew behauptet – nicht in der Lage, eingelagerte Technik rasch auf einen verfügbaren Stand zu bringen. Interessant dabei ist: Auch andere Nato-Staaten, einschließlich der USA, haben bislang keine Kampfpanzer oder ähnliches Offensivgerät aus westlicher Produktion an die Ukraine geliefert.
Wohl aber sicherten die USA wie Deutschland dieser Tage der Ukraine Nachschub an intelligenter Artilleriemunition des Nato-Kalibers 155 Millimeter zu. Im deutschen wie im niederländischen Verteidigungsministerium plant man überdies eine gemeinsame Aus- und Weiterbildungsmission für ukrainische Pioniere auf dem Gebiet der Minenabwehr. Möglichst schnell sollen zunächst 20 ukrainische Soldaten an der Kampfmittelabwehrschule der Bundeswehr in Stetten am kalten Markt den Umgang mit Minen und Sprengfallen lernen, um ihr Wissen an Kameraden weiterzugeben. Ministerin Lambrecht zeigte sich in Ramstein erfreut darüber, dass die Zusammenarbeit mit den Niederlanden »so hervorragend ausgebaut werden konnte«. Die Kooperation habe sich bereits bei der Stationierung von Patriot-Systemen in der Slowakei sowie bei der Lieferung von Panzerhaubitzen und der Ausbildung ihrer Besatzungen bewährt.
Es ist zwar kein Thema der Kontaktgruppe, dennoch lässt der Ort der Beratungen Fragen zur Versorgungssicherheit dieser und anderer Militärstützpunkte in Deutschland aufkommen. Die Air Base Ramstein bezieht Strom, Wärme und Gas von regionalen Anbietern. Theoretisch könnte also der US-Stützpunkt unweit von Kaiserslautern von den Sparmaßnahmen betroffen sein, die die deutsche Regierung ihren Bürgern sowie dem Handwerk und der Industrie wegen der nahenden Energieknappheit verordnet. Auf dem Stützpunkt, auf dem rund 9000 Menschen beschäftigt sind, gilt zwar grundsätzlich deutsches Recht, allerdings genießen ausländische Militärstützpunkte in Deutschland eine gewisse Immunität. Damit wäre ein Abschalten von Stützpunktteilen ohne Zustimmung der US-Streitkräfte nicht möglich.
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