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- Heißer Herbst
Für Heizung und Frieden auf die Straße
Bündnis für Berliner Sozialprotest formiert sich und plant nächste Kundgebung am 3. Oktober
»Heizung, Brot und Frieden.« Das war die Losung einer Kundgebung am 5. September vor der Bundeszentrale der Grünen in Berlin. »Heizung, Brot und Frieden«, so möchte sich jetzt auch das Bündnis nennen, das weitere Sozialproteste organisiert und noch im Entstehen begriffen ist. Darauf hat sich am Freitagabend der offene Vorbereitungskreis bei seinem mittlerweile dritten Treffen in einem Seminarraum im nd-Hochhaus am Franz-Mehring-Platz verständigt.
Die nächste Kundgebung soll es am 3. Oktober am Alexanderplatz geben, vielleicht auch in der Nähe, am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus beispielsweise. Später soll die Schlagzahl der Proteste nach Möglichkeit erhöht werden. Sie sollen dann in kürzeren Abständen stattfinden als jetzt.
Angeschoben wurde das alles von einer Handvoll Menschen, darunter Uwe Hiksch, der vor zwei Jahrzehnten von der SPD- in die PDS-Bundestagsfraktion gewechselt war und bei den Naturfreunden aktiv ist, sowie Alexander King von der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und die 23-jährige Nastja Liedtke vom Bundesvorstand der Sammlungsbewegung »Aufstehen«. Hiksch hatte auch die erste Kundgebung angemeldet. Das Bündnis soll nun übernehmen und als Zusammenschluss von Personen starten. Später sollen sich Organisationen einklinken können, etwa Vereine und Verbände oder Gliederungen von Gewerkschaften und Parteien.
Zu dem Treffen am Freitagabend erschienen 55 Interessierte, die sich unter anderem in der Linken, in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, in Mieterbeiräten oder Vereinen von Einwanderern engagieren.
Bei der Auswertung der ersten Kundgebung sah man am Freitag Licht und Schatten. Für 300 Personen hatte Uwe Hiksch die Veranstaltung bei der Polizei angemeldet, aber 1000 seien gekommen. Das sei erfreulich. Leider gab es keine Ordner – und das wird jetzt als zu behebender Mangel angesehen. Denn es war zwischen Antifas und Querdenkern von der Partei »Die Basis« zu lautstarken Auseinandersetzungen gekommen, außerdem zu Rangeleien wegen sogenannten Freien Linken, denen vorgeworfen wird, auch gemeinsam mit Neonazis auf die Straße zu gehen.
Im Aufruf zur Kundgebung am 3. Oktober will man sich nun noch einmal sehr deutlich von rechts abgrenzen und deutlich machen, dass Rassisten und Nationalisten unerwünscht sind. Fahnen der Basis und der Freien Linken sollen nicht geduldet werden. Andererseits soll es mehr Vielfalt bei den Transparenten geben, damit die Kundgebung nicht nach einer Veranstaltung der Sammlungsbewegung »Aufstehen« aussieht, da das sich formierende Bündnis viel breiter ist. Eine Diskussion entspann sich um das Wort »Frieden« in der Hauptlosung, die jetzt den Namen für das Bündnis hergibt. »Heizung und Brot gibt es nun einmal nicht ohne Frieden in der Ukraine«, verteidigte der Abgeordnete Alexander King den Begriff. Laura von Wimmersperg von der Friedenskoordination, die alte Dame der Berliner Friedensbewegung, kündigte sogar an: »Wenn das Wort Frieden gestrichen wird, bin ich raus.«
Dazu kam es nicht. Die Argumente der Gegenseite waren aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar spaltet die linke Szene in jene, die Verständnis für die Sicherheitsinteressen Russlands und manchmal sogar für den Militäreinsatz äußern, und jene, die unbedingte Solidarität mit der Ukraine bis hin zu Waffenlieferungen fordern. Daran soll das Bündnis »Heizung, Brot und Frieden« jedoch nicht scheitern. Als Klammer verbinden soll stattdessen der Kampf dagegen, dass die Kosten der Krise auf die einfache Bevölkerung abgewälzt werden, während Mineralölkonzerne Gewinne in astronomischer Höhe einfahren. Und Frieden, das wollen letztendlich alle der hier Versammelten.
Das Vorurteil, dass sich im Bündnis allein Anhänger der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht (Linke) oder sogar sogenannte Putin-Versteher sammeln, stimmt ganz offensichtlich nicht. Es finden sich auch Freunde der Losung »Stand with Ukraine« (Haltet zur Ukraine). Die unter einen Hut zu bringen, ist eine Gratwanderung. Das ist Uwe Hiksch bewusst. Er mahnte: »An der Friedensfrage dürfen wir uns nicht spalten.« Wie das gehen soll? »Wir müssen nur unsere Positionen gegenseitig ertragen.«
Hiksch persönlich hält weder zur russischen noch zur ukrainischen Regierung, sondern zur Bevölkerung dieser beiden Staaten, wie er betont. Die deutsche Ausgabe des Propagandasenders Russia today (RT) hat ihn in einem scharfen Kommentar angegriffen, er wolle harmlose Proteste auf die Beine stellen, bei denen ja nicht die Abschaffung der Sanktionen gegen Russland gefordert wird. In Wahrheit erklärte Hiksch am Freitag, es wäre in Ordnung, wenn ein Redner mal auf die Sanktionen zu sprechen kommt. Es sollte nur nicht im Zentrum stehen. Die Attacke von RT adelt ihn eigentlich. »Die vermuten, dass ich die AfD aus den Sozialprotesten herausdrängen und kleinhalten will«, sagt Hiksch. »Das stimmt. Genau das ist mein Ziel.«
Aber abgesehen von Rechten soll niemand ausgeschlossen werden. »Es muss möglich sein, dass der Vorsitzende der DKP, die Vorsitzenden der Linkspartei und Sahra Wagenknecht den Aufruf unterstützen«, äußert Hiksch zur inhaltlichen Orientierung. Mehr noch. Es soll keine Veranstaltung eines linksradikalen Zirkels sein. Selbst Gegner der Corona-Maßnahmen, sogenannte Schwurbler, möchte man tolerieren, wenn sie sich mit den Zielen von »Heizung, Brot und Frieden« identifizieren. Tatsächlich sitzt auch mindestens ein ungeimpfter Maskengegner mit im Raum, der aber ein ausgewiesener Linker ist.
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