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Gewalt des Wegsehens
Ulrike Wagener über Gewalt gegen Kinder auf der Balkan-Fluchtroute
Als in der vergangenen Woche ein vierjähriges Mädchen nach einer Seenotrettungsaktion im Mittelmeer starb, war das in den hiesigen Nachrichten nicht mehr als eine Meldung wert. Die Gewalt auf den Fluchtrouten und an den europäischen Außengrenzen wird normalisiert, die Verursacher woanders gesehen. Die Bösen, das sind die Taliban, Putin, libysche Schleusergruppen, vielleicht noch Frontex. Doch eigentlich ist es doch so: Die meisten Europäer*innen zahlen Steuergelder für Polizei und »Grenzschutz«. Diese Gelder werden verwendet, um Geflüchtete zu schlagen, zu misshandeln, in einen Folterstaat zurückzuschicken, um Mauern zu bauen, die zu immer mehr Verletzungen führen. Spätestens seit dem Bericht von Safe the Children wissen wir, dass die Gewalt auch Kinder trifft. Insbesondere für unbegleitete Minderjährige birgt die Flucht ein besonderes Risiko. Sie sind physischer und psychischer Gewalt völlig ungeschützt ausgesetzt.
Laut EU-Grundrechtecharta haben Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Doch die Europäische Union lässt diese Kinder im Stich – mit Auswirkungen für die nächsten Jahrzehnte. Denn einschneidende negative Erfahrungen in der Kindheit bewirken neurologische Verzerrungen im sich entwickelnden Gehirn. Und führen häufig zu langfristigen psychischen und körperlichen Gesundheitsproblemen. Immer mehr Menschen müssen fliehen, sei es vor Krieg und Verfolgung oder Überflutungen und Dürren. Es braucht endlich sichere Fluchtwege – und mehr Menschen, die sich gegen den Status quo des europäischen Grenzregimes stellen. »Silence is violence«, lautet ein berühmter Spruch: Auch Wegsehen und Schweigen sind Gewalt.
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