- Politik
- Ursula von der Leyen
»Team Europa« muss ans Eingemachte
Präsidentin der EU-Kommission verspricht der Ukraine vollen Zugang zum Europäischen Binnenmarkt
Alljährlich hält die Kommissionspräsidentin ihre Rede zur Lage der Union vor dem Europäischen Parlament. Hier legt sie Leitlinien und politische Schwerpunkte für die kommenden zwölf Monate fest. Die diesjährige State of the Union von Ursula von der Leyen war mit besonderer Spannung erwartet worden, denn die EU steht vor einem Winter der Unzufriedenheit: Energiepreise sind kaum noch bezahlbar, die Inflation ist nicht zu bremsen, der Krieg in der Ukraine geht in den siebten Monat und zu alledem hat Europa den heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hinter sich. Ein heißer Herbst könnte folgen: Erste Massenproteste gegen die hohen Energiepreise in Tschechien und Frankreich geben bereits einen Vorgeschmack.
Deshalb wollte die Präsidentin am Mittwoch auch erklären, mit welchen Maßnahmen die Kommission die Lage wieder in den Griff kriegen will. Doch bevor von der Leyen auf die Energiepreise zu sprechen kam, widmete sie sich dem Krieg in der Ukraine: »Es ist ein Krieg gegen unsere Wirtschaft. Es ist ein Krieg gegen unsere Werte. Es ist ein Krieg gegen unsere Zukunft. Es geht um Autokratie gegen Demokratie.«
Die Präsidentin versprach der Ukraine weitere Hilfen und verwies auf »mehr als 19 Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung«, die das »Team Europa« für das Land bereitgestellt habe. Zudem soll die Ukraine einen ungehinderten Zugang zum Europäischen Binnenmarkt erhalten. Wie das gehen soll, erklärte die Präsidentin nicht. Bislang galt: Wer in den Binnenmarkt will, muss strenge Vorgaben erfüllen. Schließlich sollen Güter, Kapital, Menschen und Dienstleistungen darin frei zirkulieren können. Noch am Mittwoch reiste die Christdemokratin nach Kiew, um dort mit Präsident Wolodymyr Selenskij über den »nahtlosen Zugang« zum Binnenmarkt zu sprechen. Bereits jetzt exportiere die Ukraine Strom in die EU, betonte die Präsidentin. Zukünftig soll sie auch Rohstoffe wie Lithium liefern. Dumm nur, dass die Lagerstätten im umkämpften Donbass liegen.
Von der Leyen hatte die Russland-Sanktionen gegen alle Widerstände durchgedrückt und machte am Mittwoch deutlich: »Die Sanktionen bleiben bestehen.« Sie räumte ein, dass diese beide Seiten hart treffen. Während in Russland Flugzeuge wegen Ersatzteilmangels nicht mehr starten können, wird es für viele EU-Bürger ein sehr teurer Winter.
In ihrer Rede skizzierte von der Leyen die Pläne der Kommission, um die Energiepreise wieder in den Griff zu bekommen. »Wir müssen uns von Russland weg diversifizieren«, sagte sie mit Blick auf die Gasversorgung. Europa brauche »zuverlässige Lieferanten« wie die USA, Norwegen oder Algerien. Aserbaidschan erwähnte sie nicht, obwohl von der Leyen erst im Juli eigens zu Präsident Ilham Alijew nach Baku gereist war, um dort eine »Energiepartnerschaft« abzuschließen. Das autokratisch regierte Land soll seine Gasexporte in die EU verdoppeln, bombardiert aber stattdessen das Nachbarland Armenien.
Dann ging es ans Eingemachte: »Profite sind gut, aber in diesen Zeiten müssen Profite geteilt werden und an jene weitergeleitet werden, die am bedürftigsten sind«, so die Präsidentin. Tatsächlich will die Kommission »eine Obergrenze für die Einnahmen von Unternehmen, die Strom zu niedrigen Kosten produzieren«. EU-weit sollen so 140 Milliarden Euro per Übergewinnsteuer abgeschöpft werden. Zudem »diskutiere« man derzeit über einen Gaspreisdeckel, das heißt: Es gibt hier noch keine Entscheidung.
Ebenso wenig bei der von vielen EU-Staaten geforderten Entkoppelung von Gas- und Strompreis. Derzeit gilt das Merit-Order-Prinzip, wonach die Kraftwerke mit den höchsten Produktionskosten den Strompreis bestimmen. Das sind derzeit die Gaskraftwerke. Von der Leyen bezeichnete dieses »Marktdesign« als »nicht mehr zweckmäßig« und versprach, »den Strommarkt tiefgreifend und umfassend zu reformieren«. Wie das geschehen soll, ließ sie offen.
Im Anschluss an die Rede hagelte es Kritik. Manfred Weber von der konservativen EVP-Fraktion warf der Präsidentin vor, unnötige bürokratische Hürden aufzubauen. Die Sozialdemokraten beklagten die fehlende »soziale Dimension« in der Rede und forderten ein »Sozialpaket«, um die Folgen der Energiepreise abzufedern. Özlem Alev Demirel von der Fraktion Die Linke zeigte sich enttäuscht: »Kein einziger Satz zu den sozialen Verwerfungen oder zur Ernährungssicherheit, kein Wort und Appell für einen Waffenstillstand oder gar, diesen Krieg endlich zu beenden.«
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.