Der Kannibale und der Vogel

Die Weltmeisterschaften im Straßenradsport stehen in Autralien unter keinem guten Stern

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Zu schnell für die anderen: Ellen Van Dijk gewann den ersten Titel dieser WM.
Zu schnell für die anderen: Ellen Van Dijk gewann den ersten Titel dieser WM.

Die positive Nachricht zuerst. Die Weltmeisterschaften im australischen Wollongong haben begonnen. Im ersten von insgesamt elf Wettkämpfen sicherte sich Titelverteidigerin Ellen van Dijk ihr bereits drittes Regenbogentrikot im Zeitfahren der Frauen. Die Niederländerin verwies die überraschend starke Lokalmatadorin Grace Brown und die Schweizer Europameisterin Marlen Reusser auf die Plätze. Die viertplatzierte Italienerin Vittoria Guazzini holte den U23-Titel. Er wurde innerhalb des Rennens der weiblichen Elite vergeben. Die 22-jährige Ingolstädterin Ricarda Bauernfeind holte als 18. der Frauenkonkurrenz noch Bronze bei den U23 und bescherte dem Bund Deutscher Radfahrer damit die erste Medaille.

Bei den Männern hat die U23-Kategorie hingegen ein eigenes Rennen. Es wird am Montag ausgetragen. Das ist einer der vielen Genderunterschiede im Straßenradsport. Für einen weiteren, heiß diskutierten Unterschied sorgte der französische Verband. Er ließ die männlichen Profis allesamt per Business Class nach Australien fliegen, während für die Frauen nur Economy gebucht wurde. Der Verband begründete dies mit den Kosten einerseits und den Medaillenchancen um den zweimaligen Titelträger Julian Alaphilippe andererseits. Der »Musketier« steht nach dieser kontroversen Reiseplanung im Straßenrennen am kommenden Sonntag nun zusätzlich unter Druck. Der wellige Kurs über insgesamt 267 Kilometer dürfte ihm aber liegen. »Er favorisiert tempoharte Klassikerfahrer, wie Alaphilippe einer ist«, sagte Bundestrainer Jens Zemke »nd«.

Auch der Italiener Alberto Bettiol, der Däne Magnus Cort Nielsen und der Niederländer Mathieu van der Poel gehören zu den heißen Titelanwärtern. Belgien muss das Kunststück gelingen, die Ambitionen von gleich zwei Top-Favoriten, Wout Van Aert und Remco Evenepoel, unter einen Hut zu bekommen. Evenepoel ist nach seinem jüngsten Sieg bei der Spanien-Rundfahrt Vuelta nicht nur in Top-Form. Er ist damit auch der Rolle des Jungtalents entwachsen, der sich den anderen noch unterordnen muss. Immerhin hat er bei seinem Grand Tour-Sieg die Bedeutung von reibungslosen Abläufen innerhalb eines Teams schätzen gelernt und sollte daher selbst zu größerer taktischer Disziplin in der Lage sein als vorher. Mit Platz 3 im Zeitfahren am Sonntag – es gewann überraschend der Norweger Tobias Foss vor dem Schweizer Stefan Küng – unterstrich er seine gute Verfassung.

Einen kleinen Dämpfer erlitt der »Kannibale aus Schepdaal« allerdings auch. Beim Training verfolgte ihn über längere Zeit eine Elster. »Ein ziemlich großer Vogel kam mir sehr nahe und verfolgte mich. Es war beängstigend. Aber das gehört anscheinend zu Australien«, beschrieb Evenepoel das Ereignis. »Ich hoffe, es ist das einzige Mal, dass es passiert, ich habe Angst davor«, sagte er weiter. Auch der Schweizer Zeitfahrspezialist Stefan Küng berichtete über einen solchen Vorfall in seinem Team während des Trainings. Ricarda Bauernfeind, Dritte beim Zeitfahren der U23, wurde bereits zwei Mal Opfer einer solchen Attacke. »Das ist schon wild, wenn die vier- bis fünfmal auf deinen Helm losgehen«, erzählte sie nach ihrem Medaillencoup.

Vogelattacken sind nicht die einzigen negativen Begleitumstände dieser WM. Beim österreichischen Team sorgte Corona für Ausfälle. Der US-Amerikaner Lawson Craddock bekam zu spät ein Visum für Australien und verpasst daher die WM.

Ausgedünnte Starterfelder gibt es auf dem australischen Asphalt auch, weil zahlreiche WorldTour-Teams sich noch im Abstiegskampf befinden. Sie wollen leichte UCI-Punkte bei unterklassigen Rennen erringen, um sich die Lizenz für die nächsten drei Jahre zu sichern und geben deshalb WM-Fahrer nicht frei. Das betrifft unter anderem den ehemaligen spanischen Weltmeister Alejandro Valverde vom Team Movistar und Lokalmatador Caleb Ewan von Lotto Soudal. Auch Bundestrainer Jens Zemke bekam nicht seinen Wunschkader zusammen. »Rennställe wie Cofidis und EF erteilten Absagen. Der WM-Start in Australien ist aber auch mit einer langen Anreise und zwei Zeitumstrellungen verbunden. Das beeinträchtigt ebenfalls die Planung für die letzten Saisonrennen«, sagte Zemke »nd«.

Die deutschen Aussichten für die Straßenrennen sind eher begrenzt. Bei den Frauen ist der formstarken Liane Lippert noch ein Podiumsplatz zuzutrauen. Bei den Männern ruhen die Hoffnungen vor allem auf Kletterer Georg Zimmermann und dem endschnellen Nikias Arndt. Für sie wäre aber eine Top 10-Platzierung bereits ein Erfolg.

Besser sieht es bei den Nachwuchskategorien aus. Mit Felix Engelhardt, ab nächster Saison Profi beim australischen Rennstall BikeExchange, stellt der BDR den aktuellen Europameister in der U23. In der gleichen Kategorie geht der bereits für Jumbo-Visma fahrende Michel Heßmann an den Start. Er wurde Dritter der renommierten Nachwuchsrundfahrt Tour de l’Avenir. Bei den Junioren peilt Emil Herzog, unter anderem Gesamtsieger der auf ein Vier-Tage-Rennen geschrumpften Friedensfahrt, das Regenbogentrikot an. Und bei den Juniorinnen ist Justyna Czapla, aktuell Zeitfahreuropameisterin, eine Medaillenkandidatin.

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