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Die Ukraine hofft auf ihre Flugabwehr

Das Land steht vor einem schweren Winter und braucht dafür eine funktionierende Infrastruktur

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.
Kontrolle vor dem Winter: Bleibt die Infrastruktur intakt, kommt die Ukraine gut durch die Heizsaison, so die Hoffnung in Kiew.
Kontrolle vor dem Winter: Bleibt die Infrastruktur intakt, kommt die Ukraine gut durch die Heizsaison, so die Hoffnung in Kiew.

Dass der Winter hart werden würde, wussten die Menschen in der Ukraine schon lange. Und mit der vermeintlichen Reaktion auf die erfolgreiche Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte gab Russland am 11. September einen Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Herbst- und Wintermonaten auf die Ukraine zukommt. Gezielt beschossen russische Truppen an diesem Tag die Energieinfrastruktur der südöstlichen Regierungsbezirke Charkiw, Donezk, Dnipro, Saporischschja und Sumy. Die Stromleitungen waren schnell repariert, doch solche völkerrichtswidrigen Angriffe gegen die kritische Infrastruktur werden sich sicher häufen. Russlands Präsident Wladimir Putin betonte, dass es sich bei den Luftschlägen um »Warnschüsse« handle.

Moskau will offensichtlich Panik in der ukrainischen Gesellschaft verbreiten. Doch ukrainische Behörden bereiten ihre Landsleute ohnehin auf kritische Monate vor. Der staatliche Energiekonzern Naftohas spricht davon, dass die Temperaturen in den Wohnungen auf 17 bis 18 Grad Celsius sinken könnten, das sind vier Grad weniger als eigentlich vorgesehen. Auch vor Stromausfällen wird gewarnt. Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko versichert, dass die Hauptstadt für den Fall der Fälle über Generatoren und Heizölreserven verfüge, sagt aber auch, dass das Energiesystem Kiews nicht sehr lange autonom arbeiten könne. Außerdem bittet er die Bevölkerung darum, sich mit warmer Kleidung und Decken zu versorgen. Die Stadtverwaltung des westukrainischen Bezirks Lwiw empfiehlt dagegen, dass Privathaushalte sich Brennholzvorräte anschaffen sollten. Auch zu elektrischen Wasserkochern und Herden, Batterielampen und Trockenalkohol zum Erhitzen von Speisen, falls es weder Gas noch Strom gebe, rät die Behörde.

Banger Blick auf die Reserven

Wie erfolgreich die Ukrainer durch den Winter kommen werden, hängt vor allem von der Flugabwehr ab. »Wir bereiten uns jedenfalls darauf vor, dass Russland Energieinfrastrukturobjekte angreifen wird. Wir arbeiten an einer schweren, aber stabilen Heizsaison«, sagt der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal. Schaffe man es nicht, beschädigte Infrastruktur innerhalb von ein bis zwei Tagen zu reparieren, werde man die Bevölkerung selbstverständlich evakuieren.

Unklar ist auch, ob die Brennstoffreserven ausreichen. Kiew hätte in diesem Winter gerne einen Vorrat von 19 Milliarden Kubikmeter, zu Beginn der Heizsaison werden es aber lediglich etwas mehr als 14 Milliarden sein. Bei einem stark reduzierten Energieverbrauch und milden Temperaturen reicht das. Sollte der Winter aber kalt werden, wird es schnell kompliziert. Hinzu kommt, dass ein bedeutender Teil der ukrainischen Gasfelder im Bezirk Charkiw und damit in Frontnähe liegt. Immerhin ist das Land nicht auf Gasimporte angewiesen.

Mit Beginn von Russlands Krieg ist der Stromverbrauch in der Ukraine stark zurückgegangen. Nach Angaben des Zentrums für wirtschaftliche Strategie verbraucht die Wirtschaft 64 Prozent weniger Strom als in Friedenszeiten, bei der Bevölkerung beträgt das Minus 24 Prozent. Steter Risikofaktor bei der Stromerzeugung sind die Kohlereserven. Bereits 2014 verlor die Ukraine durch den Donbass-Krieg die Mehrzahl ihrer Bergwerke. Das wurde zuletzt im Winter 2021/22 zum Problem: Da nicht genügend Anthrazitkohle importiert werden konnte, waren erstmals in der Geschichte der Ukraine alle bestehenden Atommeiler in Betrieb.

Menschen sorgen selbst vor

Durch Russlands Blockade der Schwarzmeerhäfen ist der Kohleimport jetzt noch komplizierter. Noch kann es sich die Ukraine leisten, von Stromexporten in die Europäische Union zu träumen. Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj warb neulich erst dafür. Vieles hängt jedoch von Europas größtem Atomkraftwerk Saporischschja ab, in dem rund ein Viertel des Stroms in der Ukraine produziert wird. Seit Monaten ist die Anlage von russischen Soldaten besetzt. Sollte das Atomkraftwerk, wie von Moskau geplant, vom ukrainischen Stromnetz abgekoppelt werden, muss Kiew all seine Pläne überdenken.

Die Menschen in der Ukraine treffen derweil eigene Vorkehrungen für die Heizperiode. Aus Sorge vor einem kalten Winter habe ihre Familie Brennholz eingekauft, erzählt Studentin Marija Iwaschkewytschus. Zwar hätten sie auch Heizlüfter, die nützten bei Stromausfällen aber nicht viel. Auch Oleh Barkow von der Pressestelle des Fußballvereins Schachtar Donezk hat vorgesorgt. Auch wenn er nicht glaubt, dass der Winter richtig hart wird, hat er zur Sicherheit ein weiteres Ölheizgerät gekauft. Viele aber wollen den Winter so nehmen, wie er kommt. »Man kann sich nicht auf alles vorbereiten«, betont die Journalistin Marjana Metelska aus dem westukrainischen Luzk. »Wenn es ganz schlimm wird, ziehe ich zu meiner Mutter aufs Dorf, dort kann man auch mit einem Ofen heizen.«

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