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Von der ersten Verliebtheit ins Unglück
Wiedersehen mit Rainer Werner Fassbinder: François Ozons Kinofilm "Peter von Kant"
Rainer Werner Fassbinder lässt das Kino nicht los. Es gibt wohl keinen deutschsprachigen Regisseur des Nachkriegsfilms, auf den sich europäische Regisseure so häufig beziehen. Was gut mit der Wahrnehmung korrespondiert, dass Fassbinders Filme eigentlich die einzigen aus dem Korpus des Neuen Deutschen Films sind, die sich wirklich gut gehalten haben. In dem Sinne, dass sie 2022 nicht nur filmhistorisch interessant sind, sondern immer noch die Wirkung entfalten, die sie haben sollten, als Melodramen. »Angst essen Seele auf«, »Die Ehe der Maria Braun« oder auch so Wahnsinnsfilme wie »Satansbraten« oder »In einem Jahr mit 13 Monden« – alles auch heute noch gut gezielte, intellektuell sehr sortierte und trotzdem hyperemotionale Schwinger in die Magenkuhle von Zuschauerin und Zuschauer.
Christoph Schlingensief hat sich in seinen Filmen immer wieder auf die Fassbinders bezogen. In einem Interview hat er sinngemäß die richtige These formuliert, der deutsche Film sei zuletzt weltweit relevant gewesen, als eine gesengte Sau wie Fassbinder das Feld bestellte. Im Gegensatz zu Produktionen, die nicht zuletzt durch eine jeden Eigensinn abschnürende Förderlogik entstofflicht worden sind. Oskar Roehler brachte vor zwei Jahren mit »Enfant Terrible« ein gar nicht mal schlechtes Biopic von Fassbinder, das sich den Inszenierungstechniken seines Helden ironisch anverwandelt, in die Kinos.
Jetzt hat der französische Regisseur François Ozon ein Remake oder besser eine freie Variation eines der theatralischsten Melodramen Fassbinders fabriziert. Aus »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« wird bei Ozon »Peter von Kant«. Dem Original von 1972 merkt man seinen ursprünglichen Inszenierungsort, die Theaterbühne, sehr an: Petra von Kant lebt in einer Bremer Wohnung zusammen mit ihrer Dienerin Marlene, die von der recht vereinsamten Modedesignerin ungehemmt herumkommandiert wird. Petra lernt die um einiges jüngere Karin, gespielt von Hanna Schygulla, kennen und verliebt sich. Das Ganze ist recht straff erzählt in fünf Akten. Nach dem Erstkontakt folgt gleich, ein Jahr später, die Zerrüttung, dann der Totalabsturz inklusive Vollrausch, Eskalation und Selbsterkenntnis: Wer liebt, darf den anderen nicht besitzen wollen.
Diesen Plot übernimmt Ozon ohne große Abweichungen. Nur das Figurenarsenal ist ein anderes, und jetzt wirkt die Geschichte des unglücklich verliebten Menschen von Kant noch autobiografischer als bei Fassbinder ohnehin schon (es war auch 1972 kein Geheimnis, dass Fassbinder den Beziehungswirrwarr, der den von ihm selbst geschaffenen Produktionszusammenhang elektrisierte, zum Ausgangspunkt seiner Geschichten machte). Aus der Modedesignerin Petra von Kant wird der Regisseur Peter von Kant (Denis Ménochet), der, was Körperstatur und ikonische Kleidungsstücke und Accessoires angeht, dem realen Vorbild Fassbinder unübersehbar nahekommt. Peter verliebt sich in den jungen, überirdisch schönen Amir (Khalil Ben Gharbia). Von da an geht es ähnlich schnell bergab wie im Original: von der ersten Verliebtheit ins Unglück. Amir schläft mit anderen Männern und quält Peter mit seinen Erzählungen. Der will es aber auch wissen. Vorher lässt Amir sich vom Regisseur noch zum Star machen. Dass das Feld der Mode durch das des Films ersetzt wird, gibt Ozon reichlich Gelegenheit für Anspielungen. Aus Fassbinders Debüt »Liebe ist kälter als der Tod« zum Beispiel wird »Tod ist heißer als Liebe«. Na ja.
Jedenfalls hat »Peter von Kant« Spaß an seinen Zitaten. Um ein Fassbinder-Porträt oder ähnliches geht es nicht. Eine Hommage aber ist Ozons Film allemal, und indem er aufnimmt und rekapituliert, was »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« über die Liebe erzählt, nimmt er Fassbinders Kino, bei allem Jux, sehr ernst. Liebe ist bei Fassbinder immer verbunden mit Machtbeziehungen und -gefällen. In seinen Filmen zeige er sich schwach, in seinem Leben aber regiere das Gesetz des Stärkeren, wirft Peters Freundin Sidonie (Isabelle Adjani) ihm vor. Kaum ein Regisseur hat das Leiden und die Lust, die mit dem Begehren verbunden sind, so lustvoll-leidend zelebriert wie Fassbinder. Ozon wiederholt auch das: Am Ende liegt Peter besoffen am Boden und beschimpft die letzten Menschen, die ihm noch geblieben sind. Unter anderem seine Tochter und seine Mutter, die ganz wunderbar von Hanna Schygulla als in sich ruhende Davongekommene einer anderen Ära gespielt wird.
Zentrale niederschmetternde Momente und Sätze des Originals sind in »Peter von Kant« nahezu eins zu eins übernommen worden. »Jeder Mensch ist ersetzbar, das lernt man mit der Zeit.« Lust, Macht, Begehren und Ausbeutung: Man lernt viel über die Liebe beim Douglas-Sirk-Fan Fassbinder, aber das Schöne ist irgendwie weg oder schlicht kaputtgegangen. Francois Ozon schließt hier an, aber weil die Ebene Zitat/Ironie/Hommage konstant mitläuft, tut sein Film viel weniger weh.
„Peter von Kant»: Frankreich 2022. Regie/Buch: François Ozon. Mit: Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Khalil Gharbia, Hanna Schygulla, Stéfan Crépon und Aminthe Audiard. 90 Min. Start: 22.9.
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