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Bürotürme kaum zu verhindern
Am Gleisdreieck wehren sich Anwohner gegen den Bau von Hochhäusern
Es ist ein Vorhaben, das wie aus der Zeit gefallen scheint. Zwischen dem östlichen und westlichen Teil des Parks am Gleisdreieck soll ein Band aus sieben Gebäudetürmen errichtet werden mit einer Geschossfläche von insgesamt 119 000 Quadratmetern. Zwei der Hochhäuser der Urbanen Mitte würden nach den Plänen 90 Meter in den Himmel ragen. Sie wären damit höher, als der Park an dieser Stelle breit ist. Gastronomie, Freizeitangebote, ein Hotel, aber allen voran Büros sollen nach Plänen des Investors in die Türme einziehen.
»Allein durch das Bauen würden über 100 000 Tonnen Kohlenstoffdioxid emittiert werden«, sagt Matthias Bauer von der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck. Ökologisch problematisch seien auch die Versiegelung des Bodens und das Bebauen der Frischluftschneise. Nicht zuletzt befürchten Anwohner, dass der Park am Gleisdreieck verschattet wird und seinen Charakter als Erholungsort verliert.
Doch das Bauvorhaben lässt sich nicht einfach stoppen. 2005 schlossen der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, das Land Berlin und die Bahntochter Vivico einen städtebaulichen Rahmenvertrag. Der Deal sah vor, dass fünf Bauflächen ausgewiesen werden, von denen eine die sogenannte Urbane Mitte ist. Im Gegenzug konnte der Park am Gleisdreieck als Ausgleichsfläche entstehen, dessen erster Teil schließlich 2011 öffnete.
Die Vivico, welche gegründet wurde, um ungenutzte Liegenschaften des Bundeseisenbahnvermögens zu verwerten, verkaufte die Baufläche 2014 an den Projektentwickler COPRO. Knapp acht Millionen Euro soll dieser bezahlt haben. »Wir wissen, dass die Urbane Mitte im Zuge der zweiten Auslegung des Bebauungsplans als Sharedeal nach Luxemburg weiterverkauft wurde. 98 Prozent für eine Summe von weit über 100 Millionen Euro«, berichtet Matthias Bauer.
Es geht dem Investor also um viel Geld. Der Vertrag mit Bezirk und Land sichert ihm eine hohe bauliche Ausnutzung des Grundstücks zu. Wenn er hier, wie es den Anwohnerinitiativen am liebsten wäre, letztlich nicht bauen darf oder die im Vertrag zugesicherte Baumasse eingeschränkt wird, drohen Schadensersatzzahlungen. Wie hoch diese ausfallen, kann niemand mit Gewissheit sagen. Sicher ist nur, dass man so einen städtebaulichen Vertrag heute nicht mehr schließen würde. Darüber sind sich Politiker von SPD, Grünen und Linken einig. Die Frage ist nur, wie jetzt damit umzugehen ist.
»Ich werde keine großen Versprechungen machen«, sagte Hannah Sophie Lupper am vergangenen Sonntag. Lupper, Fraktionsvorsitzende der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg, stellte sich zusammen mit Lars Rauchfuß von der Abgeordnetenhausfraktion der SPD den Fragen von rund 50 Anwohnern. Diese waren zu einer von der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck initiierten Diskussionsreihe an den Bauzaun im Park gekommen. Angesichts des Vertrags von 2005 könne man den Bau wahrscheinlich nicht verhindern, erklärten beide. Lupper und Rauchfuß sprachen sich aber für Nachverhandlungen mit dem Investor über die Nutzung aus. Wenn schon gebaut werde, dann sollen hier zumindest auch Wohnungen entstehen, hieß es. Wer sich mit dem Projekt auskennt, hält das für keinen praktikablen Vorschlag.
»Der Vorschlag, über Wohnraum nachzuverhandeln, ist Unsinn«, sagt Gaby Gottwald, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der BVV. Gutachten hätten Wohnungen aus Lärmschutzgründen vor allem wegen der benachbarten Bahntrasse ausgeschlossen. »Selbst wenn hier Wohnraum gebaut werden könnte, wären das nur noch mehr Wohnungen für Reiche«, ist sich Gottwald sicher.
Julian Schwarze, Stadtentwicklungspolitiker der Grünen im Abgeordnetenhaus, befürchtet außerdem: »Wenn dort Wohnungen entstehen, ist der Park abends tot.« Denn die Wohnungen, die der Investor bauen würde, könnten sich nur jene leisten, die auch einen teuren Rechtsanwalt bezahlen können, um aus Lärmschutzgründen beispielsweise gegen den angrenzenden Skatepark zu klagen.
Auch Matthias Bauer von der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck ist skeptisch, was den SPD-Vorschlag angeht. Die Türme, die hier geplant werden, seien nicht für Wohnraum vorgesehen. »Man müsste die Gebäude anders entwerfen, das würde aber einen Neustart der Planungen voraussetzen«, so der Architekt.
Die Planungen für die Urbane Mitte sind zumindest für das südliche Baufeld schon weit fortgeschritten. Der B-Plan wurde 2018 geteilt, weil das Vorhaben im nördlichen Teil die Planungen für die City-S-Bahn berücksichtigen muss. Die Trasse der neuen Nord-Süd-Verbindung soll zwischen den Türmen auf dem nördlichen Baufeld entlanggeführt werden.
Auf dem südlichen Baufeld geht es zunächst um die zwei niedrigsten Blöcke, mit Gebäudehöhen von über 20 beziehungsweise fast 50 Metern, die zusammen auf einem Sockel gebaut werden sollen. Der Bebauungsplan musste zuletzt zwar aufgrund einer veränderten Rechtslage überarbeitet werden. Änderungen an den Grundzügen der Planung hätten sich dadurch aber nicht ergeben. In »naher Zukunft« will das Bezirksamt dann die im B-Plan-Verfahren vorgesehene Abwägung der Beiträge aus der stattgefundenen öffentlichen Beteiligung vornehmen. »Es ist davon auszugehen, dass im Zuge dieses Abwägungsprozesses die Diskussion – auf Landesebene wie auch auf Bezirksebene – um die Verträglichkeit der vorgesehenen Baumassen erheblich an Dynamik gewinnt«, teilt der grüne Baustadtrat Florian Schmidt dazu auf Anfrage mit.
Wohin diese Diskussion führt, ist nicht ausgemacht. »Es ist offen, ob der Bebauungsplan in der Bezirksverordnetenversammlung beschlossen wird«, meint Julian Schwarze. »Falls nicht, könnte es sein, dass die Senatsverwaltung den Prozess an sich zieht, weil auch das Land den Vertrag unterschrieben hat, durch den bei Planänderungen Entschädigungszahlungen drohen«, so der Stadtentwicklungspolitiker der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und Linke auf Landesebene darauf verständigt, zu prüfen, ob der Vertrag von 2005 den »aktuellen klimapolitischen Aufgaben und den Bedarfen vor Ort noch gerecht wird und eine Anpassung von Art und Maß der Bebauung ermöglicht wird«. Florian Schmidt hatte deshalb in einer Stellungnahme an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die kritische Haltung des Bezirks zum Bauprojekt geschildert und erfragt, ob sich die Senatsverwaltung dieser anschließe. »Dort vertritt man allerdings die Auffassung, dass dieses Projekt auch heute noch seine städtebauliche Gültigkeit besitzt«, so Schmidt.
Falls es zu Änderungen bei der Planung komme, beispielsweise wenn die Baumasse reduziert wird, würde der Senat die Entschädigungszahlung nicht mittragen, das hätte die Senatsverwaltung zurückgemeldet. Der Bezirk müsste diese allein übernehmen, wozu er nicht in der Lage ist. »Bezirk und Land spielen sich die Bälle gegenseitig zu«, sagt Gaby Gottwald von der Linksfraktion in der BVV. Sie warnt davor, klein beizugeben. Noch sei weder auf Landesebene die Frage der Entschädigungen abschließend geklärt noch im Bezirk der Bebauungsplan verabschiedet. »Es steht ja auch noch gar nicht fest, wie hoch die Entschädigungen ausfallen würden.« Es müsse deshalb sowohl Druck im Bezirk als auch auf Landesebene gemacht werden, meint Gottwald.
Matthias Bauer und die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck bereiten sich indes schon darauf vor, dass der Bebauungsplan verabschiedet wird. Sie sammeln Geld, um den Bebauungsplan juristisch prüfen zu lassen und gegebenenfalls zusammen mit den Naturfreunden Berlin gegen diesen zu klagen.
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