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Vom Kampf ums Bafög bis zum Studium mit Kind: Studierende erzählen von ihren Geldsorgen
Mariam Daher, 18 Jahre, Schülerin
Ich habe sehr viel Bildungsungerechtigkeit aufgrund von Klassismus erlebt. Gerade die Zeit im Lockdown, als es mit dem Homeschooling losging, hat mich zurückgeworfen. Ich war gerade erst nach Berlin gezogen und bin einfach an keinen Laptop gekommen. Das führte dazu, dass ich das Schuljahr wiederholen musste. Jetzt mache ich mein Abitur über ein Schulprojekt, das mir vom Jugendamt bezahlt wird. Das heißt, ich besuche keine Regelschule, um mich auf mein Abitur vorzubereiten. Weil das Amt absurderweise keine Aussicht auf Erfolg bei mir sieht, führe ich jetzt allerdings zu allem Überfluss auch noch einen Rechtsstreit, um meine Ausbildung zu sichern.
Nach dem aktuellen Hartz-IV-Satz bekomme ich 449 Euro. Davon muss ich Strom und eine Kaution bezahlen, die in meiner Unterkunft anfällt. Weil ich keine Regelschule besuche, bekomme ich auch nicht das kostenlose Schülerticket. Am Ende bleiben gerade mal 300 Euro zum Leben übrig: Für Schulsachen, für Klamotten, für Unterhaltungskosten. Ausgaben in der Freizeit sind da einfach nicht drin. Die Lebensmittelkosten sind für mich ein Riesenproblem, mein Kühlschrank ist permanent leer. Ich muss einen riesigen Aufwand betreiben, um günstig an Essen zu kommen: Foodsharing, Containern.
Arbeiten zu gehen, rentiert sich für mich nicht. Wegen der Unterstützung vom Jugendamt bekomme ich keinen vollen Lohn. Man hat mir eine tolle Wohnung gegeben, aber die macht mich nicht satt. Außerdem werde ich sie höchstwahrscheinlich verlieren, wenn ich anfange zu studieren. Bis jetzt wurde ich nur deshalb nicht rausgeworfen, weil ich die Schule noch nicht abgeschlossen habe. Keine junge Person sollte solche Existenzängste haben müssen wie ich.
In meiner Familie gibt es niemanden, zu dem ich könnte, weil es denen finanziell genauso geht wie mir. Ein bezahlbares WG-Zimmer werde ich nicht finden. Ich will aber unbedingt in Berlin bleiben und Soziologie oder Politikwissenschaften studieren, weil ich hier auf Verständnis treffe. Die vierzig oder fünfzig Euro mehr durch das Bürgergeld sind ein Witz. Ich werde definitiv auf die Straße gehen und glaube, dass das diesen Herbst und Winter auch viele andere tun. So etwas wie bei den Gelbwesten in Frankreich halte ich in Deutschland durchaus für denkbar.
Arturo Bertuglio, 28 Jahre, Wirtschaftsinformatik
Mir war schon früh klar, dass ich ein besseres Leben möchte und nicht in Chile bleiben kann. Mit 19 bin ich deshalb zum Studium nach Berlin gezogen. Ich habe meinen Bachelor gemacht, eine Weile als IT-Berater gearbeitet und mich einbürgern lassen. Irgendwann bin ich dann zur Bundeswehr, weil ich etwas zurückgeben wollte. In Europa leben zu können, ist für mich nicht selbstverständlich.
Meine Geldprobleme haben begonnen, als ich danach beschlossen habe, meinen Master in Betriebsinformatik zu machen. Um Selbstständigen-Bafög zu bekommen, fehlen mir zwei Monate bis zu den drei Jahren Arbeitszeit, die ich für den Antrag vorweisen muss. Und für das Studierenden-Bafög das Einkommen meiner Eltern nachzuweisen, ist kompliziert: Sie wohnen in Chile, ihre Unterlagen sind auf Spanisch, die Angaben in chilenischen Pesos. Es gibt auch Infos, die ich einfach nicht habe, weil ich nicht in Deutschland geboren bin.
Mir bleibt also nur, zu arbeiten. So oft ich kann, mache ich bei Übungen der Bundeswehr mit. Die bringen mir jedes Mal rund 1000 Euro, dauern aber zwei Wochen. Dadurch verpasse ich immer wieder Unterricht an der Universität, aber ich muss ja irgendwie die Miete bezahlen. Für dieses Jahr werde ich so insgesamt 6500 Euro verdienen. Damit wollte ich über die Runden kommen – zusammen mit dem, was ich mir in meiner Zeit als Berufstätiger angespart hatte. Inzwischen ist von meinen Reserven aber nichts mehr übrig. Plötzlich ist alles viel teurer geworden, vor allem die Lebensmittel. Das hatte ich nicht eingeplant. Als ich meinen Eltern erzählt habe, dass ich mir Geld von der Bank leihen will, haben sie mir selbst etwas überwiesen. Ich werde es ihnen zurückzahlen, aber es ist mir peinlich.
Bis zum Jahresende habe ich noch 1600 Euro Reserve auf dem Konto. Danach werde ich weniger Kurse buchen und ein bis zwei Semester länger studieren, um Zeit zum Geldverdienen zu haben. Oft frage ich mich, wofür ich mir das alles überhaupt antue und ob ich das Studium nicht einfach abbrechen sollte. Ich muss ganz genau aufpassen, was ich mir zum Essen einkaufe, gönne mir kaum etwas. Ich versuche durchzuhalten, aber man fühlt sich wie eine Zitrone in der Presse: Irgendwann kommt nichts mehr.
Sandra Wobig, 36 Jahre, Psychologie
Ich habe sehr lange für mein Bafög gekämpft. Bis August dieses Jahres lag die Altersgrenze bei 30 Jahren – und mit unter 30 habe ich kein Bafög bekommen, weil mein damaliger Partner zu viel verdient hat und mich hätte finanzieren müssen. Erst nach meiner Immatrikulation erfuhr ich von der Uni, dass ich die ganze Zeit ein Anrecht auf Bafög gehabt hätte. Das regt mich auf an dem Bildungssystem. Es funktioniert vorne und hinten nicht. Außerdem ist das Bafög viel zu niedrig. Ich bekomme den Höchstsatz von 941 Euro, wovon jeden Monat knapp 900 Euro an Fixkosten weggehen.
Für das Studium habe ich sehr viel aufgegeben. Vorher habe ich als Coach für chronisch kranke Menschen gearbeitet und gut verdient. Trotzdem habe ich 2020 mit dem Studium begonnen, um mich selbst zu verwirklichen. Jetzt muss ich das Studium irgendwie rocken und schnell wieder arbeiten gehen – dieser Zeitdruck ist ein zusätzlicher Stressfaktor. In meinem Freundeskreis höre ich oft: »Geh doch arbeiten.« Ich wünsche mir da etwas mehr Verständnis. Ein Psychologiestudium ist extrem fordernd und dabei mental gesund zu bleiben, unter diesen Umständen nicht einfach. Ich habe große Angst, in den Prüfungen durchzufallen. Ende des Monats beginne ich ein unbezahltes Praktikum, worauf ich mich sehr freue. Aber ich muss währenddessen schon für die nächsten Klausuren lernen und kann die Erfahrungen überhaupt nicht genießen. Ich bin psychisch ausgelaugt und nicht fähig, nebenbei noch zu arbeiten.
Eigentlich würde ich gerne mal promovieren, auch wenn die damit verbundene Belastung in keinem Verhältnis zur Lebensqualität steht. Da der NC für den Master an der Humboldt-Universität sehr hoch ist, bleibt vielleicht nur eine Privat-Uni übrig, die Geld kostet – und dann werde ich neben dem Studium arbeiten gehen müssen. Es braucht finanzielle Lösungen auch für ältere Studierende, vor allem in Fächern wie Psychologie, Medizin oder Jura. Einerseits gibt es hier zu wenige Studienplätze, andererseits fehlt in genau diesen Bereichen Personal. Das System fällt auseinander!
Tanja Hartmann, 29, Grundschulpädagogik
Nach meinem Abitur habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und danach drei Jahre lang gearbeitet und Geld angespart. Danach konnte ich mein Studium anfangen. Ab dem dritten Semester habe ich ein Stipendium bekommen. Dadurch bekam ich zusätzlich zum Bafög Büchergeld und konnte nebenher so viele Schichten im Krankenhaus arbeiten, wie ich wollte. Das normale Bafög in den ersten beiden Semestern hat mich sehr eingegrenzt, weil ich nur bis zu 450 Euro im Monat verdienen durfte. Für meinen Master ab Oktober bekomme ich wieder Bafög. Ich könnte mich zwar noch mal auf ein Stipendium bewerben, aber durch das viele Arbeiten nebenher habe ich nicht dieselben Noten wie diejenigen, die nicht arbeiten mussten. Das macht mich schon wütend, weil ich ja gar nicht die Möglichkeit habe, Vollzeit zu studieren. Von dem 943 Euro Bafög-Höchstsatz kann man in Berlin nicht leben. Ich darf inzwischen 520 Euro monatlich dazuverdienen. Ich werde das überleben, aber die steigenden Preise machen mir schon Sorgen.
Ich wohne in einer Einzimmerwohnung und zahle 550 Euro warm. Das ist ziemlich viel, aber mittlerweile wahrscheinlich normal. Ich esse für 30 Euro die Woche und gehe nicht in Bars oder Cafés. Für die Uni mache ich mir immer Brotboxen. Was Kleidung angeht, bin ich eigentlich nur Second Hand unterwegs. Heizen tue ich schon lange nicht mehr, aus Angst, dass ich etwas nachzahlen muss. Ich arbeite mit Wärmflaschen.
Ich habe erst relativ spät verstanden, dass meine Familie armutsbetroffen ist. Natürlich war ich damit konfrontiert, dass viele Schüler*innen nicht neben der Schule gearbeitet haben, aber ich habe mich nie schlecht gefühlt. Irgendwann meinte dann eine Freundin zu mir, dass nur zehn Prozent der Studierenden aus einem Nicht-Akademiker*innen-Haushalt kommen. Da hat es bei mir klick gemacht. Mittlerweile habe ich total das Bedürfnis, über Armut zu reden. Wenn Leute sagen, es ist doch alles schon so gleichberechtigt, dann macht mich das wütend. Das stimmt einfach nicht. Meine Grundmotivation für das Studium ist es, innerhalb des Schulsystems Kindern trotz Armut ein Studium zu ermöglichen.
Olive, 27, Master Produktionsgartenbau
Seit September 2020 studiere ich an der HU den Master »horticultural sciences«, also Produktionsgartenbau. Als internationale Studentin habe ich keinen Anspruch auf Bafög, kann kein Urlaubssemester einlegen wegen meines Studienvisums und auch sonst keine Sozialhilfe beantragen. Zugleich darf ich aber wegen des Visums nur maximal 120 Tage im Jahr arbeiten, also maximal zwei- bis dreimal die Woche. Da komme ich bei unter 1000 Euro im Monat heraus. Natürlich will ich gerne von meinem eigenen Einkommen leben, aber gerade frage ich mich, wie ich das im Winter machen soll.
Letzte Woche habe ich einen Überblick über meine Finanzen erstellt. Es sieht echt schwierig aus. Ich brauche 800 Euro im Monat allein für meine ständigen Ausgaben, also für Miete, Essen und laufende Kosten. Ich würde eigentlich gerne ein bisschen Geld sparen, um meine Eltern in Kenia zu besuchen. Außerdem schicke ich meinen Eltern normalerweise regelmäßig Geld. Jetzt muss ich ihnen erklären, warum ich erst mal weniger oder gar nichts schicken kann. Natürlich könnte man sagen: »Wenn du deine Familie unterstützen musst, dann geh doch nicht ins Ausland zum Studieren.« Aber was soll ich machen? Auch in Kenia sind die Kosten wegen der Inflation gestiegen.
Gerade habe ich weniger als 100 Euro auf meinem Konto. Und meine Gasabrechnung ist enorm! Ich habe einen Fehler gemacht und den Anbieter gewechselt, weil ich davor so eine hohe Nachzahlung hatte. In der Zwischenzeit sind die Verträge so teuer geworden, dass ich jetzt bei Vattenfall 100 Euro im Monat zahle. Davor waren waren es 19 Euro. Die Heizung werde ich sicher nicht andrehen, da kaufe ich mir lieber Decken, eine dicke Jacke und Socken.
Ich würde auch gerne Deutsch lernen, aber für einen extra Deutschkurs fehlt mir die Zeit. Ich mache mehrere Minijobs. Etwa zehn Stunden in der Woche arbeite ich in einem Gemeinschaftsgarten von Vattenfall. Ja, ich weiß, ziemlich ironisch, aber eigentlich ist es mein »happy job«. Dann arbeite ich noch als Servicekraft auf Veranstaltungen. Ich kenne mindestens fünf andere Studentinnen, die in einer ähnlichen Situation sind. Wir haben überlegt, ob wir zusammenziehen und eine Wohnung aufgeben. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, ob ich mein Studium abbrechen und zurück nach Kenia gehen muss. Aber eigentlich bin ich sehr gerne in Berlin.
Lena Martin, 38, Erziehungs- und Kulturwissenschaft
Ich studiere Vollzeit und muss Teilzeit arbeiten gehen. Wenn man mit über 30 erst angefangen hatte zu studieren und mit unter 30 noch kein Kind bekommen hatte, erhielt man bis vor Kurzem nämlich kein Bafög. Ich bekam mein erstes Kind mit genau 30 und habe erst danach angefangen zu studieren, weil ich vorher als Tänzerin am Friedrichstadtpalast gearbeitet habe. Jetzt lebe ich mit meinen sieben und drei Jahre alten Kindern zusammen von etwa 2000 Euro im Monat. Davon gehen knapp 1100 Euro an Fixkosten ab – und beim Strom wird vermutlich noch eine ordentliche Nachzahlung auf mich zukommen. Mein drittes Kind kommt im November auf die Welt und der Vater meldet sich nicht mehr, also stehe ich allein da. Beim Jobcenter habe ich nun 600 Euro für Babyausstattung beantragt. Bafög ist die letzte Option, da ich das ja zurückzahlen müsste, aber kein Geld zurücklegen kann.
Ich kaufe immer nach Angebot ein und im Zweifel gibt es dann halt eine Woche keine Gurke. Meiner älteren Tochter muss ich öfter sagen, dass ich mir bestimmte Sachen nicht leisten kann. Auf Urlaub verzichten wir sowieso und für Ausflüge nutzen wir gezielt kostenfreie Angebote. Neulich waren wir zum Beispiel beim Tag der offenen Tür im Konzerthaus – aber dann wollen die Kinder natürlich auch mal Popcorn für drei Euro haben.
Das letzte Sommersemester in Präsenz war sehr anstrengend. Meine Familie lebt in Bayern, meine Freunde müssen arbeiten, also muss ich immer selbst auf die Kinder aufpassen und habe selten Ruhe. Mein Nervensystem ist ganz schön ausgelastet. Ich muss das Studium einfach durchziehen, da kommen dann natürlich nicht die besten Noten raus. Im Sommer 2023 sollte ich fertig sein, werde dann aber noch in Elternzeit sein, das heißt, ich werde frühestens im Februar 2024 anfangen zu arbeiten. So lange habe ich keine Ersparnisse. Meine große Tochter braucht neue Schuhe und ich mache mir große Sorgen um das dritte Kind.
Bei mir daheim fällt öfter mal die Heizung aus, einmal bin ich bei 16 Grad aufgewacht und habe mit den Kindern vor dem Backofen gefrühstückt. Wie soll das mit Baby werden? Wir wohnen in einem alten Haus, es zieht, das treibt die Heizkosten in die Höhe. Das ist ungerecht. Die Politik redet immer nur über die Mittelschicht, vergisst aber Studierende und Alleinerziehende. Wir sind finanziell häufig vom Staat, von Eltern oder von einem Mann abhängig. Die Gehälter sind zwischen den Geschlechtern noch immer viel zu ungleich verteilt. Das muss sich ändern.
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