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Wahlsieg in Italien überdeckt den Zwist
Europas und Italiens Rechte sind sich bei vielen zentralen Themen uneinig
Erfolg schweißt zusammen: Am Tag nach dem Wahlsieg des rechten bis extrem rechten Wahlbündnisses bei den italienischen Parlamentswahlen könnte leicht der Eindruck entstehen, Europas antidemokratische wie antiliberale Kräfte seien eine glückliche Familie, die eng zusammensteht. Dass dem nicht so ist, lässt sich schon allein daran erkennen, dass die Gratulant*innen und Glückwünsche für Giorgia Meloni allesamt aus unterschiedlichen europäischen Parteifamilien kommen. Die EU-Abgeordneten der extrem rechten Fratelli d’Italia (FdI) selbst sind in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) organisiert, daneben gibt es im EU-Parlament aber noch die Fraktionen Identität und Demokratie (ID) und die Europäische Volkspartei (EVP). Die zu Melonis Wahlbündnis gehörenden Parteien sind dann auch auf europäischer Ebene unterschiedlich organisiert. Während die Forza Italia von Silvio Berlusconi Mitglied der EVP ist, schloss sich die Lega von Matteo Salvini im EU-Parlament der ID-Fraktion an. Ein Bündnis für die Regierungsübernahme in Rom bedeutet noch lange keine enge Zusammenarbeit in Brüssel.
Zumindest kurzfristig spielen diese Unterschiede, die auch etwas über die Programmatik der drei am Wahlbündnis beteiligten Parteien aussagt, keine Rolle. Europas Rechte jubelt in seltener Einigkeit über Melonis Wahlerfolg. Als einen »weiteren Sieg der Vernunft« bezeichnen die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla den Wahlausgang in Italien und glauben bereits zu erkennen, dass Deutschland »mit seiner links-grünen Ampel-Koalition in Europa ziemlich alleine« dastehe. Der AfD-Europapolitiker Maximilian Krah meint sogar, Melonis Wahlerfolg sei ein »Ansporn für die anstehenden Landtagswahlen in Niedersachsen«. Seine Begeisterung für die Fratelli d’Italia (auf Deutsch: Brüder Italiens) kennt allerdings Grenzen: Krah gehört im EU-Parlament mit der ID einer anderen Fraktion an als die acht Vertreter*innen der »Brüder«.
Éric Zemmour, rechtsradikaler Ex-Präsidentschaftskandidat in Frankreich, sieht im Erstarken von Melonis Partei eine Art Erweckungsmoment. Er erinnerte daran, dass die FdI bei den italienischen Parlamentswahlen 2018 noch bei lediglich 4,4 Prozent gelegen hatte, am Sonntag holten die »Brüder Italiens« nun mehr als 26 Prozent der Stimmen. »Wir sehen diesen Sieg als Beleg dafür, dass es möglich ist, an die Macht zu kommen«, so Zemmour, der im April bei der französischen Präsidentschaftswahl selbst nur sieben Prozent erzielte und damit klar hinter der rechtsradikalen Marine Le Pen lag, die es in die Stichwahl gegen Amtsinhaber Emmanuelle Macron schaffte. Le Pen erklärte zu Melonis Wahlerfolg am Montag via Twitter, Italien habe eine »patriotische und souveräne Regierung gewählt«. Für die FPÖ aus Österreich hat in Italien gar ein »Mitte-rechts-Bündnis« gewonnen, Melonis positive Bezüge auf den faschistischen Diktator Benito Mussolini spielen in der Bewertung keine Rolle. Stattdessen habe Italien »dem EU-Establishment rund um Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen« eine »klare Absage erteilt«, behauptet der FPÖ-Europapolitiker Harald Vilimsky.
Ähnliche Formulierungen finden sich in allen Reaktionen der extremen Rechten zum Wahlausgang in Italien, egal ob sie aus der deutschen AfD oder vom französischen Rassemblement National kommen. Als verbindendes Element wird die Kritik bis hin zur offenen Ablehnung der Europäischen Union betont. Ob Meloni als mögliche neue italienische Regierungschefin allerdings diese europafeindliche Stimmungsmache auch mit handfesten Taten unterlegen kann, ist mindestens fragwürdig, zu groß ist die ökonomische Abhängigkeit Roms von der EU. So erhält das Land allein 192 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds, der 2021 aufgelegt wurde, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie abzumildern. Italiens hohe Staatsschulden sprechen ebenfalls dagegen, dass eine Rechtsregierung allzu viel direkten Druck auf Brüssel ausüben kann. Giorgia Meloni warb im Wahlkampf dann auch weder mit einem EU-Austritt, noch will sie die Gemeinschaftswährung Euro verlassen. Allesamt Forderungen, die andere extrem rechte Parteien Europas teils erheben oder zumindest lautstark diskutieren.
An diesem Punkt wird deutlich, dass zwar alle europäischen Rechtsaußenparteien mehr Souveränität der Einzelstaaten gegenüber der EU fordern und dies auch allzu gerne auf Wahlplakate drucken, die Vorstellungen davon aber auseinandergehen, besonders in wichtigen Grundsatzfragen. Genau wie Meloni im aktuellen Wahlkampf hatte auch der französische Rassemblement National bereits 2019 die Forderung nach einem EU- sowie Euro-Austritt beerdigt. Eine Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung vollzieht die AfD: Sie will seit ihrer Gründung aus der Gemeinschaftswährung aussteigen, im Bundestagswahlkampf 2021 warb die Partei zudem für einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union. Diese Forderung hatten die völkischen Nationalist*innen auf einem Parteitag durchgesetzt.
Deren Führungsfigur Björn Höcke ist es dann auch, der zwar ebenfalls den italienischen Wahlausgang begrüßt, dabei aber alles andere als ungehemmte Begeisterung zeigt. So schrieb der Thüringer Faschist am Montag auf Facebook, die an dem Wahlbündnis beteiligten Parteien könnten »unterschiedlicher kaum sein«, es bleibe »abzuwarten, welche Kräfte der künftigen neuen Regierung den Kurs bestimmen«. Höcke dürfte bei dieser Einschätzung nicht zuletzt auch die verschiedenen außenpolitischen Positionen im Blick haben, besonders in Bezug auf den Ukraine-Krieg, zu dem Europas Rechte ebenfalls uneins verhalten. Während etwa die AfD Waffenlieferungen an Kiew strikt ablehnt und die Sanktionen gegen Russland beenden will, dürften Italiens drei Koalitionspartnern in spe noch einige Diskussionen bevorstehen. Meloni spricht sich für eine Unterstützung der Ukraine aus und ist auch Sanktionen gegen Moskau nicht kategorisch abgeneigt, während ihre Verbündeten Salvini und Berlusconi als Russland- und insbesondere Putinfreunde bekannt sind.
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