Die Wirtschaft gelenkt schrumpfen

Andrea Vetter über die aktuellen Energieeinsparbemühungen aus wachstumskritischer Perspektive

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Weniger Beleuchtung in der Bonner Innenstadt
Weniger Beleuchtung in der Bonner Innenstadt

Mit dem Energiepreisschock infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine ist Energiesparen ein Riesenthema geworden. Schon fahren Unternehmen teilweise ihre Produktion zurück, weil sie die Kosten für Gas nicht mehr tragen können. Sind damit Träume der wachstumskritischen Bewegung wahr geworden?

Interview

Andrea Vetter ist Transformationsforscherin und im Beirat des Konzeptwerks Neue Ökonomie in Leipzig. 2019 hat sie zusammen mit Matthias Schmelzer das Buch »Postwachstum/Degrowth zur Einführung« im Junius-Verlag veröffentlicht. Mit ihr sprach Guido Speckmann.

Jein. Wachstumskritische Denker*innen weisen ja seit Jahrzehnten darauf hin, dass allein eine Umstellung auf einen anderen Energieträger unsere Probleme nicht lösen wird, wenn gleichzeitig die Energiebedarfe vor allem in den frühindustrialisierten Ländern, aber auch in anderen, ständig wachsen. Wir brauchen eine doppelte Bewegung: eine Umstellung der Energieträger und gleichzeitig eine Einsparung an Energie.

Dass Ladentüren im Einzelhandel nicht mehr dauerhaft offenstehen dürfen, die Außenbeleuchtung von Gebäuden eingeschränkt und die Temperatur in öffentlichen Gebäuden heruntergeregelt wird, ist also sinnvoll?

Die Idee, dass jetzt Energie eingespart wird, finde ich erst mal gut. Wenngleich die genannten Maßnahmen und weitere, die geplant sind, natürlich nicht ausreichen werden. Entscheidend ist aber: Das Ziel der Degrowth-Bewegung angesichts der Klimakrise und der notwendigen sozial-ökologischen Transformation ist ein Degrowth by design und nicht by disaster, wie wir ihn jetzt haben.

Was wäre ein Degrowth by design?

Das wäre eine gelenkte Wirtschaftsschrumpfung, die sozial gerecht ausgestaltet sein müsste. Nehmen wir das aktuelle Beispiel der Energiepreise: Es müsste ein Recht auf eine Energiegrundversorgung geben, verbunden mit einem progressiven Tarifsystem. Über das Grundkontingent hinaus müssten Unternehmen und Einzelverbraucher dann für Strom und Gas einen höheren Preis zahlen. Was aber in den momentanen Appellen zum Ausdruck kommt, ist die Botschaft »Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen.« Und darin gibt es keine soziale Komponente, was ein riesengroßes Problem aus Sicht der Degrowth-Bewegung ist. Denn so wird die Krise auf dem Rücken der Ärmeren ausgetragen.

Wie kann sich die Degrowth-Bewegung in den aktuellen Diskurs einmischen?

Ich sehe drei Punkte. Erstens ist die aktuelle Situation für die wachstumskritische Bewegung eine große Chance, zusammen mit Akteur*innen aus dem sozialen Bereich auf soziale Gerechtigkeit zu pochen und sich für Alternativen zur Abfederung der sozialen Folgen der hohen Energiepreise, wie etwa das erwähnte progressive Preissystem, starkzumachen. Wichtig ist zweitens, dass viele der Degrowth-Gedanken in die Proteste im Herbst mit einfließen, sodass diese keinen reaktionären Charakter bekommen. Denn eine Rückkehr zum fossilen Energiesystem ist ein Weg in die Katastrophe. Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit muss verknüpft werden mit der nach einem reduzierten Energieverbrauch und erneuerbaren Energieträgern.

Und drittens?

Es gibt die Möglichkeit, auf die grundlegende Problematik von Eigentumsverhältnissen hinzuweisen. Natürlich hat eine Eigenheimbesitzerin ganz andere Möglichkeiten, ihr Gebäude zu dämmen und beispielsweise beim Heizen von Gas auf eine Wärmepumpe umzusteigen – und sich so letztlich ökologischer und krisensicherer zu machen. Mieter*innen hingegen haben diese Möglichkeiten nicht. Wir brauchen auf breiter Fläche eine andere Eigentümer*innenstruktur vor allem in den Wohnverhältnissen. Stichwort Vergesellschaftung oder genossenschaftlicher Wohnungsbau.

Energieversorger werden schon verstaatlicht.

Richtig, Uniper, die PCK-Raffinerie in Schwedt oder die Gazprom-Tochter Sefe kommen in die Hand des Staates. Das ist eine große historische Chance. Mit dem Übergang in öffentliches Eigentum gibt es die Möglichkeit, diese grundlegend umzubauen. Anstatt Milliarden in Flüssiggas-Terminals zu investieren oder sich darum zu bemühen, Öl von anderswo nach Schwedt zu importieren, müsste der Staat das Geld nutzen, um raus aus den Fossilen zu kommen und die Energieversorgung so schnell wie möglich auf Erneuerbare umzustellen.

Mein Eindruck ist, dass Linke von den Verstaatlichungen etwas überrumpelt sind, trotz des erfolgreichen Vergesellschaftungsentscheids in Berlin und des Entstehens neuer Vergesellschaftungsinitiativen wie »RWE & Co enteignen«. Welchen Beitrag könnte hier die Wachstumskritik leisten?

Wichtig ist es, dass man sich erst einmal bewusst macht, dass Schlüsselakteure der Energiewende in staatliche Hand gehen. Eine Forderung, die es ja schon lange gibt. Aber jetzt muss ein zweiter Schritt folgen, weil sich zeigt, dass der Staat nicht per se ein Akteur ist, der am Wohlergehen der größtmöglichen Anzahl von Menschen interessiert ist, sondern ein stark vermachtetes, marktlich organisiertes und bürokratisches Gebilde. Wir brauchen jetzt eine stärkere Bürokratie- und Staatskritik.

Was heißt es, wenn Uniper und Sefe verstaatlicht werden? Müssten die Unternehmen nicht in eine andere Eigentumsform überführt werden, die dann vielleicht gar nicht mehr Staatseigentum ist, sondern Gemeineigentum? Oder brauchen wir so etwas wie Commons-Public-Partnerships und Energiegenossenschaften?

Der Wachstumskritik wird oft der Vorwurf gemacht, die Menschen zum Verzicht zu zwingen. Ein Gegenargument ist aber, dass der Ausstieg aus den Fossilen sowie ein reduzierter Naturverbrauch mit einem Zugewinn an Lebensqualität einhergehen können.Damit ist gemeint, dass Menschen ein gutes Leben haben, wenn sie ihre eigenen Potenziale entfalten können, wenn sie eingebettet sind in ein Netz sinnvoller Beziehungen oder wenn sie einer ausfüllenden Tätigkeit nachgehen. Eine warme Vierzimmerwohnung alleine reicht nicht für ein gutes Leben. Aber natürlich ist es auch kein gutes Leben, wenn mensch frierend und hungernd in einer Einraumwohnung sitzt.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.