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- Proteste im Iran
Hoffnung auf morgen
Iranische Prominente solidarisieren sich mit dem Kampf der Aktivistinnen
Die mutmaßliche Tötung von Mahsa (Jina) Amini durch Beamte der sogenannten Sittenpolizei löste massive Proteste im Iran aus. Mittlerweile geht es um viel mehr als um die Aufklärung der Todesursache. Auf den Straßen waren von Beginn an Parolen zu hören wie »Tod der Diktatur« und »Tod Khamenei«. Am Sonntag erklärte die in Norwegen ansässige Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR), den Tod von 57 Protestierenden dokumentiert zu haben.
Angesichts des brutalen Vorgehens der iranischen Regierung ist inzwischen von einer noch größeren Anzahl von Toten auszugehen. Während nach Behördenangaben etwa 1200 Menschen verhaftet worden sind, spricht eine Aktivistin in Teheran von Tausenden Festnahmen. »Ein Bekannter von mir, der am ersten Protesttag festgenommen wurde, ruft jeden Tag vom Teheraner Zentralgefängnis Faschafujeh an und sagt, dass allein in Faschafujeh Tausende festgehalten werden.«
Am Montagvormittag versammelten sich die Familien, die von ihren vermissten Geliebten glauben, festgenommen worden zu sein, vor dem Evin-Gefängnis, wo auch das Büro der Staatsanwaltschaft liegt. »Sie wollten wissen, ob und wo ihre Verwandten inhaftiert sind. Doch sie erhielten keine Antwort, der zuständige Staatsanwalt ist nicht erschienen. Am Ende griff die Polizei zu und löste die Kundgebung auf«, beschreibt die Aktivistin.
Auch in den kurdischen Gebieten des Landes, der Heimat von Jina Amini, gehen die Proteste weiter. Trotz der Internetblockade berichteten iranische Exilmedien am Montagvormittag von heftigen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstrierenden. In der Hauptstadt Teheran gab es Kundgebungen an verschiedenen Orten. In Ekbatan, einer großen Wohnsiedlung im westlichen Teheran, auf einer zentralen Straße im Herzen Teherans sowie in Narmak, einem Viertel im Westen der Stadt, haben es die Protestierenden sogar teilweise geschafft, die Sicherheitskräfte zurückzudrängen, berichtete die in Amsterdam ansässige Exil-Nachrichtenplattform Radio Zamaneh.
Jina Amini war am 13. September von der sogenannten Sittenpolizei wegen ihres angeblich nicht richtig getragenen Hijabs festgenommen und am Folgetag ins Krankenhaus eingeliefert worden. Während die Polizei von einem Herzinfarkt wegen Vorerkrankungen spricht, bestreitet die Familie jegliche Vorerkrankung. Sie beschuldigt die Polizeibeamten, Jina auf den Kopf geschlagen zu haben, und beruft sich auf Augenzeugen, die im selben Polizeiwagen inhaftiert waren. Röntgenaufnahmen würden dies zudem belegen.
Die Reaktion des iranischen Staates wird unterdessen härter. Staatspräsident Ebrahim Raisi hat die Proteste als »Krawalle« bezeichnet und die Sicherheitskräfte zu einem »entschiedenen Vorgehen« gegen die Demonstrierenden aufgefordert. Doch die harten Maßnahmen bleiben weiterhin unwirksam, berichtet eine junge Frau aus Teheran, die sich jeden Abend den Protesten anschließt. »Was die Protestierenden leisten, kann ich mit Worten nicht beschreiben«, sagt sie in einem Gespräch über den Kurznachrichtendienst Signal. Obwohl das nicht ihr erstes Mal sei und sie sich noch an die »blutigen Auseinandersetzungen« vom November 2019 erinnern könne, »ist es diesmal anders«, sagt sie weiter. »Man sieht den Protestierenden die Hoffnung an. Dass wir uns wehren, spricht für den Willen zu siegen.«
Eine andere Region, in der die Proteste überraschenderweise stark sind, ist die nördliche Provinz Gilan am Kaspischen Meer. In der Provinzhauptstadt Rascht herrscht Ausnahmezustand, beschreiben die Augenzeugen. Auch in Kleinstädten der Provinz, die eher konservativ und religiös geprägt sind, hat es Proteste gegeben. Allein in der Kleinstadt Rezwan-Schahr sollen nach Angaben der NGO Iran Human Rights sechs Protestler erschossen worden sein.
Während es abends zu Straßenprotesten kommt, solidarisieren sich über den Tag Prominente mit dem Aufstand im Land. Fast im Stundentakt meldet sich ein Künstler oder Sportler zu Wort und spricht sich gegen das Vorgehen des iranischen Staates aus. In der vergangenen Woche haben mehrere Schauspielerinnen Bilder ohne Kopftuch auf ihren Kanälen in sozialen Medien veröffentlicht, häufig mit einem Statement gegen die Zensur und Frauenfeindlichkeit. Darunter sind auch Nationalsportler*innen, die angekündigt haben, nicht mehr für die Nationalmannschaften antreten zu wollen. Inzwischen hat die internationale Gemeinschaft den Druck auf das islamische Regime erhöht. Am Montag hat die Bundesregierung den iranischen Botschafter in Berlin einbestellt wegen des Vorgehens der Staatsführung gegen die Proteste.
Zwischen der Furcht, dass die Proteste letztendlich wieder niedergeschlagen werden, und der Hoffnung, dass man diesmal das Regime stürzen kann, sei eins klar, sagt die Sozialwissenschaftlerin Firoozeh Farvardin, die in Berlin zu Frauenbewegungen im Iran forscht: »Die Bevölkerung hat eine kleine Heilung für ihre vielen Wunden und eine Brücke über ihre vielen Klüfte gefunden. Man hat eine Möglichkeit entdeckt, für den Morgen nach der Islamischen Republik.«
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