Wasserminna

Die Berliner Zirkusdirektorin Paula Busch erzählt von ihrer kühnsten Artistin und einem Berliner Flussschwimmbad

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.
Im James-Simon-Park in Berlin stand früher der Zirkus Busch – ein buntes Märchenschloss mit Kuppel, Türmchen und einem riesigen Saal mit über 4000 Sitzplätzen.
Im James-Simon-Park in Berlin stand früher der Zirkus Busch – ein buntes Märchenschloss mit Kuppel, Türmchen und einem riesigen Saal mit über 4000 Sitzplätzen.

»Komm ick da nach de Ebertsbrücke bei de städtsche Schwimmanstalt vorbei un seh, wie se da renovian un jroß reinemachen. Kenn da doch jede Planke …«

Über Wasser

Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt. Alle Texte auf dasnd.de/ueberwasser

»Wasserminna« erschien erstmals 1933. Die Berliner Zirkusdirektorin Paula Busch setzt darin ihrer Artistin, Stuntwoman und Haushälterin Minna Schulz ein Denkmal in icherzählendem Panke-Berlinerisch. Von den Berlinern bald Wasserminna genannt, fand die gerade 15-Jährige um 1900 Arbeit beim Flussschwimmbad an der Ebertsbrücke, einer frisch erbauten Brücke zwischen Bode-Museum und Friedrichstraße, deren Leuchtensockel mit Eberköpfen verziert waren. Minna schwamm neben herzschwachen Damen in der Spree, stoppte die Badezeit eines Fräuleins von Riffenthal, damit dieses sich nicht verkühlte, und tauchte, um eine »joldene Uhr mit Brilljanten« zu suchen, die soeben ins Wasser gefallen war. »Ick rin un runterjetaucht. Kann zwee und eene halbe Minute unter’s Wasser bleiben.« Das gab ein Hurra, als sie wieder auftauchte wie so’n Walross und losprustete: »Ick hab se!«

Im Juli und August hatten Minna und Kolleginnen auf 5000 Menschen aufzupassen: Laken vor die Damen halten, die sich wegen überfüllter Kabinen auf der Brücke umziehen mussten; Kinder, die kein Ende fanden, mit dem Kanthaken aus dem Wasser ziehen; eine Nackte aus der Spree zitieren oder ein Fräulein aus dem Fluss retten, welches von der Brücke aus einen Stein an den Kopf geworfen bekam, von einem »dußlichen Kerl mit Lustmörderideen«. Nach diesem Vorfall wurde über das Bad ein Drahtnetz gespannt und der Sommer neigte sich dem Ende zu.

»Un nu war et schon Anfang September un so nach sieben schon mulmich.« Da liest eine »kleene Trine« der Wasserminna ein Inserat vor: »Zirkus Busch sucht geübte Tauch- und Schwimmerinnen«. Minna macht sich »noch uff’n Abend« auf den Weg zum Zirkus Busch, der nicht weit entfernt die Spree hinunter am Bahnhof Börse lag (heute Hackescher Markt, der Zirkus stand auf dem Hang des James-Simon-Parks), und wird sehr bald als Schwimmerin engagiert.

Der Zirkus war ein buntes Märchenschloss mit Kuppel und Türmchen, einem riesigen Saal mit über 4000 Sitzplätzen, Ställen, versenkbarer Manege und einer Pumpe, die Zigtausende Liter Wasser aus der Spree in den Zirkus pumpen konnte. Gigantische Spektakel wurden inszeniert, Seeschlachten, Dramen unter Wasserfällen, Piratenstücke und »Die versunkene Stadt«. Für das Manegenschauspiel »Camora oder die Banditen der Abruzzen« gab es im letzten Akt eine blaue Grotte, Minna schwamm durch einen Tunnel, um unvermittelt vor dem verblüfften Publikum aufzutauchen – als Meerjungfrau mit einem blauen Schwanz, »der mit blaue Jlühbirnen ringsum bespickt war un den ick bei’n Schwimmen ruff- un runtersteijen ließ von wejen dem Effekt und det et ooch natierlich aussah«.

Mit ihr waren sie zwölf Schwimmerinnen, »ick war nu ihre Könijin oder ihr Anführer oder sowat«; Wasserminna rang mit Bären (einer »knabberte« sie an), rutschte Felsen hinunter, tauchte den Schwimmern was vor und tanzte mit grünem Flitter behangen auf künstlichem Meeresgrund. Mit dem Aufkommen der Kinos war auch in Berlin Schluss mit den großen Pantomimen. Minna blieb bis zu ihrem Lebensende bei Paula Busch, durchstand mit ihr den Abriss des Zirkushauses (wegen der Reichshauptstadtpläne Albert Speers), Krieg und Evakuierung. Sie liegt im Familiengrab der Buschs an der Liesenstraße im Berliner Wedding begraben, unweit der Straßen ihrer Kindheit, die zum Spree-Flussbad führten.

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