Demokratie braucht Planbarkeit

Initiativen legen einen eigenen Vorschlag für ein Demokratiefördergesetz vor

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Timo Reinfrank kennt ein passendes Wort, das das Problem der meisten Initiativen zusammenfasst, die sich Demokratieförderung zur Aufgabe machen. »Die kleinteilige Projektitis muss aufhören«, fordert der Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS). Der Begriff beschreibt den aktuellen Zustand, wie die staatliche Förderung von Projekten der Zivilgesellschaft durch den Bund organisiert ist. Initiativen, Beratungsstellen, Aussteiger- und Aufklärungsprogramme – sie alle werden immer nur für einen begrenzten Projektzeitraum finanziert. Ist eine Förderperiode vorbei, bedeutet dies: neue Anträge erstellen, Konzepte überarbeiten und hoffen, dass die Finanzierung erneut bewilligt wird. Dabei bräuchte die engagierte Zivilgesellschaft Planungssicherheit, so Reinfrank, der mit der AAS diesen Kräfte und Kapazitäten fordernden Aufwand immer neuer Antragsstellungen genau kennt. Permanente finanzielle Unsicherheit mache es zudem schwer, Beteiligte vor Ort in den einzelnen Projekten zu motivieren und Mitarbeiter*innen mit Fachwissen zu halten.

Wie es läuft, beschreibt Reinfrank an einem Beispiel. Nachdem es in Hannover vermehrt zu antisemitischen Übergriffen gekommen gewesen sei, habe die Amadeu-Antonio-Stiftung 2015 in Niedersachsen ein Projekt gestartet, das Seminare für Sozialarbeiter*innen und Lehrer*innen zum Umgang mit Antisemitismus bei Jugendlichen angeboten habe. Nach vier Jahren sei die Finanzierung durch das Förderprogramm »Demokratie leben!« des Bundesfamilienministeriums jedoch ausgelaufen, dem Seminarangebot habe damit das Aus gedroht, ehe im Winter 2019 kurzfristig das Land Niedersachsen eingesprungen sei – allerdings auch nur befristet für ein Jahr. Inzwischen ist das Projekt eingestellt. Das Problem: Bisher ist die Förderung solcher Demokratiemaßnahmen durch den Bund völlig unzureichend geregelt.

Diesen Zustand permanenter Unsicherheit wollen auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) beenden und demnächst offiziell ihren gemeinsamen Entwurf für ein Demokratiefördergesetz vorstellen. In den Medien kursieren dieser Tage bereits Auszüge daraus, doch den vollständigen Entwurf kennen bisher weder die ASS noch die Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung (BAGD), ein Zusammenschluss von über 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für Demokratie und gegen die verschiedensten Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit engagieren.

Weil die BAGD fürchtet, das Gesetz könnte an vielen Stellen zu unkonkret sein, entschied sich die Arbeitsgemeinschaft zu einem eher ungewöhnlichen Schritt: Am Dienstag stellten Vertreter*innen in Berlin einen eigenen ausformulierten neunseitigen Gesetzentwurf vor. Man wolle damit auf Augenhöhe mit der Politik diskutieren können, sagt Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Bundesverbands Mobile Beratung (BMB).

Aus Sicht der beteiligten Organisationen dürfe ein solches Fördergesetz nicht schwammig formuliert sein, sondern müsse unter anderem klar benennen, aus welchen Richtungen die Demokratie angegriffen werde. Genannt werden im Gesetz neben Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auch Homo- und Transfeindlichkeit sowie Behindertenfeindlichkeit. Insgesamt sind 13 Formen von Ungleichwertigkeitsvorstellungen benannt, die es zu bekämpfen gelte. Ebenso aufgezählt werden Formen zivilgesellschaftlichen Engagements, die einer finanziellen Förderung bedürfen, darunter Beratungsangebote für Betroffene rechter Gewalt, Ausstiegsprogramme, aber auch Projekte, die sich datenanalytisch mit Ungleichwertigkeitsideologien beschäftigen. Anders als bisher soll auch eine längerfristige Förderung von zehn statt bisher maximal vier Jahren möglich sein. Vorgesehen ist ein Fördervolumen von jährlich 500 Millionen Euro, das der Bund mindestens zur Verfügung stellen müsse.

Die Finanzierung und die konkrete Mittelvergabe sind Knackpunkte, die den beteiligten Organisationen besonders wichtig sind. Ihren Vorstellungen zufolge sollen die zivilgesellschaftlichen Träger vom zuständigen Bundesministerium an der Erarbeitung der konkreten Förderrichtlinien beteiligt werden. »Für die Politik heißt das: Gestaltungsmacht teilen, um Kompetenz zu gewinnen«, so Hanneforth. Positive Erfahrungen mit diesem Ansatz gebe es bereits im Bereich der Förderung von Kinder- und Jugendarbeit durch den Bund.

Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratieentwicklung ist gespannt, was letztendlich im Gesetzentwurf des Innen- und des Familienministeriums stehen wird. Noch im Frühjahr hatte es seitens der beteiligten Minister*innen Faeser und Paus geheißen, das Demokratiegesetz solle Anfang 2023 in Kraft treten.

Auf ein paar Monate kommt es allerdings nicht mehr wirklich an, wenn man sich anschaut, wie lange bereits um ein Gesetz gerungen wird, das die staatliche Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen durch den Bund regelt. Bereits 2013 hatte der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag ein solches Gesetz gefordert. Seitdem waren allerdings mehrere Anläufe dafür gescheitert, zuletzt 2021 in der Großen Koalition am Widerstand der Union. Diese hatte zunächst negiert, dass es solch einer Regelung überhaupt bedürfe, dann jedoch eingelenkt und im Gegenzug darauf bestanden, finanziell geförderte Initiativen müssten eine Demokratieerklärung unterschreiben. Diese Forderung erinnerte an die 2011 zeitweise durch die damalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) eingeführte »Extremismusklausel«. Weil sich Union und SPD nicht einigten, scheiterte das sogenannte Wehrhafte-Demokratie-Gesetz. Womöglich wird es unter neuem Namen bald Realität.

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