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Der zielstrebige Altruist
Frankfurts Stürmer Randal Kolo Muani will nach Union Berlin auch Englands Topteams schwindlig spielen
Die stürmende Legende von Eintracht Frankfurt ist auf den schwarz-weiß getünchten Wänden der Arena noch immer allgegenwärtig. Gleich an mehreren Stellen des Heimstadions wird Anthony Yeboah abgebildet, der in den 90er Jahren die Bundesliga im wahrsten Sinne des Wortes im Sturm eroberte. Einer, der seine Gegenspieler damals einfach überrannte. Anhänger älteren Semesters fühlen sich derzeit häufiger an die Sequenzen aus dem früheren Waldstadion mit dem Ausnahmeangreifer aus Ghana erinnert. Denn mit Randal Kolo Muani bieten die Hessen wieder einen Mittelstürmer auf, der oft schlicht nicht zu halten ist, wie der Heimsieg gegen den bis dato ungeschlagenen Tabellenführer Union Berlin (2:0) am Samstag eindrucksvoll bewiesen hat.
Beim Champions-League-Heimspiel gegen Tottenham Hotspur an diesem Dienstag (21 Uhr) erscheint der Gegner für die Eintracht zwar größer, doch wenn jemand die Anlagen zum Unterschiedsspieler mitbringt, dann der 23-jährige Franzose mit kongolesischen Wurzeln. Der direkte Vergleich gegen Tottenhams Startruppe rund um Nationalstürmer Harry Kane wirkt reizvoll. Die jüngst unter Weltmeistercoach Didier Deschamps debütierende Stürmerhoffnung Frankreichs gegen den Rekordtorjäger Englands – das hat schon was im Frankfurter Stadtwald, wo nicht nur Eintrachts Rechtsaußen Ansgar Knauff wieder mal »eine magische Nacht« erwartet.
Trainer Oliver Glasner und Sportvorstand Markus Krösche ähneln sich längst in den Lobeshymnen auf ihre Nummer neun, obwohl beide angeblich kaum mehr miteinander reden sollen. »Wenn er bei uns ganz vorne postiert ist, hat er die größte Wirkung. Er soll einfach frei drauflosspielen«, erklärt Glasner. »Er hat gut reingefunden, ist körperlich stark, sehr beweglich, und man sieht, welche Geschwindigkeit er mitbringt«, erläutert Krösche.
Da ist einer in Windeseile zu einer Attraktion der Liga herangereift. Bei den Frankfurtern ist er bereits der Allesmacher und Alleskönner. Vielleicht sogar der Garant für einen goldenen Oktober. Wettbewerbsübergreifend sind für Muani in einem Dutzend Pflichtspielen zwei Tore und sechs Vorlagen gelistet, denn er ist kein Egoist. Eher ein Altruist, der aus einer Torvorbereitung mindestens dieselbe Befriedigung zieht.
Dass so einer im Sommer ablösefrei vom FC Nantes zum Europa-League-Sieger wechseln konnte, hatte noch viel mit Krösches Vorgänger Fredi Bobic zu tun, in dessen Amtszeit sich der für das Scouting zuständige Sportdirektor Ben Manga intensiv mit dem Spieler beschäftigt hatte – und früh eine Zusage bekam, die Muani auch nicht brach, als ihn bessere Angebote erreichten. Früh in der Saison sagte – mittlerweile Berlins Geschäftsführer – Bobic: »Der Junge kann durch die Decke gehen.«
In Frankfurt werden derweil seine Aufgeräumtheit, seine Bescheidenheit, aber auch seine Zielstrebigkeit gelobt. So hat Muani nie einen Hehl daraus gemacht, dass er selbst irgendwann in der Premier League spielen möchte. Das sei sein Kindheitstraum, verriet er einmal.
Die Duelle gegen die Spurs – Rückspiel bereits am 12. Oktober – geben ihm somit eine besonders lukrative Bühne, Werbung in eigener Sache zu betreiben. Ausgeruht wird er nächste Woche in London auf jeden Fall sein: Muani handelte sich am Samstag wegen zweier ungestümer Fouls die Gelb-Rote Karte und damit eine Sperre fürs Auswärtsspiel beim VfL Bochum ein; zuvor hatte er vor allem Union-Verteidiger Timo Baumgartl zeitweise schwindlig gespielt. »So viel Tempo haben nicht viele Stürmer in der Liga«, gab der 26-jährige Berliner zu, der sich nach seiner überstandenen Krebserkrankung erst bei »90 Prozent« seines Leistungsvermögens sieht. Das reicht nicht, um so viel Wucht und Willen einzufangen.
Trotz seiner 1,87 Meter ist Muani enorm schnell und erstaunlich geschmeidig. Ein Komplettpaket, das bei dem im Pariser Vorort Bondy aufgewachsenen Fußballer nicht sofort auffiel. Er durchlief keine der berühmten französischen Jugendakademien, erst recht nicht die für Frankreichs Star Kylian Mbappé so prägende Zeit in Clairefontaine. Auch wegen einer wachstumsbedingten Krankheit kam Muani erst mit 16 Jahren in die Nachwuchsabteilung des FC Nantes. Es brauchte gar noch einen Abstecher in die 3. Liga zu US Boulogne, um wirklich im Profifußball durchzustarten.
Solche Schwierigkeiten haben ihm eine Demut vermittelt, die sein Bruder Kevin in der Zeitung »Ouest-France« mal so beschrieb: »Andere Profifußballer fahren in den Ferien nach Dubai. Er fuhr bis zum letzten Jahr nach Villepinte.« Also in einen jener Pariser Vororte, die die Wiege waren für zahlreicher Spitzensportler, die längst in die Welt ausgezogen sind.
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