- Berlin
- Sozialproteste
Bislang eher lauwarmer Herbst
Ob linker Sozialprotest, rechte Kundgebung oder Punkrock-Umzug: Der Zulauf in Berlin hält sich in Grenzen
Eine kleine Energiekrise gab es am Samstagmittag vor dem Einkaufszentrum Eastgate in Marzahn. Kurz fiel der Stromgenerator aus, bevor Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) ans Mikrofon trat. »Soziale Proteste sind Teil der Demokratie und sie sind ein notwendiges Korrektiv«, sagte Kipping, als der Strom wieder lief auf der Kundgebung, die der Linke-Bezirksverband Marzahn-Hellersdorf im Zeichen von Inflation und Energiekrise organisiert hatte.
Protest lohne sich, so Kipping. Das hätte nicht nur das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung gezeigt, das sich nun aufgrund der Kritik an den vorangegangenen Entlastungsmaßnahmen auch an Rentner und Studierende richtet. Auch dass ein Gaspreisdeckel angekündigt und die Gasumlage vom Tisch ist, zeige, dass man durchaus Einfluss auf die Politik nehmen könne.
Vor allem der Bund sei angesichts der sozialen Nöte gefragt. Löhne, Rentenniveau und Sozialleistungen: Berlin könne hier wenig ausrichten. »Wir tun, was möglich ist im Rahmen der Landespolitik«, sagte Kipping. Die Sozialsenatorin verwies dabei nicht nur auf das Kündigungsmoratorium bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen, sondern auch auf die Vergünstigungen im Öffentlichen Personennahverkehr durch das 29-Euro-Ticket.
Eine weitere Maßnahme sei das »Netzwerk der Wärme«, mit dem in Berlin dem Krisenwinter getrotzt werden soll. Öffentliche und private Begegnungsorte wie Stadtteilzentren sollen als Anlaufpunkte sowohl einen warmen Ort als auch Sozialkontakt bieten. Wichtig sei dafür, soziale Einrichtungen nicht alleinzulassen mit den Preissteigerungen vor allem beim Gas. »Ich lasse andere Teile des Senats Wahlkampf machen, ich werde jede Stunde nutzen, damit diese Stadt gut durch den Winter der Energiearmut kommt«, sagte Kipping mit Blick auf die wahrscheinlich gewordene Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom vergangenen Jahr.
Als solidarisches Projekt richtet sich das »Netzwerk der Wärme« auch gegen rechte Stimmungsmache. Auch die gab es am Samstag in Berlin. Mehrere Hundert Menschen vornehmlich aus dem verschwörungsideologischen, rechtsoffenen bis rechtsextremen Spektrum versammelten sich am frühen Nachmittag am Fernsehturm in Mitte zu einer sogenannten Friedensdemonstration unter dem Motto »Handwerker für den Frieden«. Ihre Hauptforderung: ein Ende der Sanktionen gegen Russland.
Organisiert wurde die Kundgebung von der Kreishandwerkerschaft Anhalt Dessau-Roßlau und deren Chef Karl Krökel. Der letzte SED-Kreissekretär von Dessau trat 2014 bei den Kommunalwahlen als Kandidat für die AfD an. Im Interview mit dem rechtsextrem-verschwörungsideologischen Magazin »Compact« erklärte Krökel jüngst indes: »Wir stehen an der Seite Wagenknechts.«
Zu einer ersten, weitaus besser besuchten Demonstration der »Handwerker für den Frieden« Ende August in Dessau hatte eine dementsprechend illustre Gemeinschaft aus AfD, der Corona-Leugner-Partei Die Basis und der lokalen Linkspartei mobilisiert. Für die Kundgebung am Samstag warben neben AfD, Die Basis und dem Magazin »Compact« zugleich auch das Zentralorgan der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).
Nach Abschluss der Redebeiträge am Fernsehturm schlossen sich einige Teilnehmer der rechten Demonstration dann auch einer Kundgebung am Neptunbrunnen an, die von der Friedenskoordination Berlin organisiert wurde, die schon länger für ihre Offenheit gegenüber Impfgegnern und »Querdenkern« kritisiert wird. Die ebenfalls nur wenige Hundert Teilnehmer zählende Kundgebung war Teil eines bundesweiten Aktionstages der Friedensbewegung, deren Aufruf zugleich in der Kritik stand, weil in diesem Russland nicht klar als Aggressor im Ukraine-Krieg benannt wird.
Am Rand des Brunnens fand sich konsequenterweise eine aufgeregte Friedensbewegte ein, die ebenjene Kritik mit ihrem lautstarken Ruf »Wir sind Putin-Versteher, und wir sind stolz drauf« vollends bestätigte.
Ganz anders als am Neptunbrunnen, wo letztlich zusammenkam, was dann doch ganz gut zueinanderpasst, ging es am Sonntagabend im Charlottenburg-Wilmersdorfer Ortsteil Grunewald zu. Auch hier war der Zulauf mit rund 250 Teilnehmern eher überschaubar, dafür war die Stimmung weitaus gelöster. Die Aktivisten der satirischen Initiative Quartiersmanagement Grunewald hatten zu einem Punkrock-Lampionumzug für Umverteilung im »wohlstandsverwahrlosten Villenviertel« Grunewald aufgerufen. Im Vorfeld hatten sie bereits angekündigt, im Sinne des Energiesparens die Gartenpools kontrollieren und dort, wo sie beheizte vorfinden, diese durch Poolpartys kollektivieren zu wollen.
Es blieb während des von einem großen Polizeiaufgebot begleiteten Kiezspaziergangs bei der Drohung. Kollektiviert wurde erst mal nichts.
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