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- Coming-out im Profisport
»Wir brauchen diese Vorbilder«
LSVD-Vorstand Christian Rudolph über das Coming-out des Handballers Lukas Krzikalla und Auswirkungen auf den Fußball
Der Handballer Lukas Krzikalla machte in dieser Woche Schlagzeilen als erster aktiver Spitzensportler, der sich in einer der vier größten deutschen Profiligen als homosexuell outete. Wie war Ihre erste Reaktion darauf?
Christian Rudolph ist seit 2018 Mitglied des Bundesvorstands im Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD). Zudem ist er in einem 2021 gestarteten gemeinsamen Projekt mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) Ansprechpartner der zentralen Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Der 39-Jährige kommt eigentlich vom American Football, spielte in der 2. Bundesliga, fand aber 2008 als Fan zu Tennis Borussia Berlin und wurde später Mitbegründer des Vereins Fußballfans gegen Homophobie.
Ich freue mich erst einmal grundsätzlich über jedes Coming-out, ob im Sport oder irgendeinem anderen Bereich der Gesellschaft. Ich finde es unglaublich wichtig, dass ein Mensch für sich das Gefühl hat, dass er damit nach außen gehen und frei sein kann. Seine Reaktion danach zeigt das ja auch, als er sagte, dass er überwältigt sei von der Unterstützung und den Glückwünschen. Diese Geschichte zeigt aber auch, wie schwierig es offenbar weiter für Sportler*innen ist, da Krzikalla sich erst jetzt mit 28 Jahren dazu durchgerungen hat. Auch deshalb denke ich, dass diese Sichtbarkeit für andere total wichtig ist.
Warum wird so ein Schritt im Sport als mutiger angesehen als in anderen Lebensbereichen?
Der Sport hat diese Sichtbarkeit lange nicht gefördert, ja nicht einmal thematisiert. Nach wie vor fehlt es an Unterstützung, auch wenn es in den vergangenen fünf Jahren positive Signale gab. Änderungen sind aber meist eher symbolisch. Denken wir an die Fußball-EM letztes Jahr, an das Spiel gegen Ungarn und die Debatte um Regenbogenfarben in der Münchner Arena. Da haben sich viele aus dem Sport erstmalig mit Regenbogenflaggen beteiligt. Aber das ist längst nicht genug. Es gibt weiterhin kaum Ansprechpersonen im Sport. Im Fußball gibt es unsere Anlaufstelle. Aber in anderen Sportarten, auch im DOSB, ist das noch nicht ausreichend gesetzt. Wenn dann auch so lange kein Coming-out gerade im Männerbereich stattfindet, kommt auch keine Bewegung in die Diskussion. Ich denke da aber nicht nur an die Athlet*innen. Wo sind zum Beispiel die Trainer*innen, Manager*innen und Schiedsrichter*innen? So hat sich die Situation leider verkantet.
An welcher Art Unterstützung fehlt es genau?
Zunächst müsste sich der Sport noch klarer positionieren und aktiver werden. Und wie bereits erwähnt, fehlen Ansprechpersonen und die finanziellen Mittel für Arbeit. Wohin können sich denn Menschen aus dem Sport derzeit wenden? Tatsächlich wissen viele aktive Athlet*innen nicht, an wen sie sich in ihren Verbänden wenden können, oder wie ihre Vereine zu Diskriminierungsfragen stehen. Es ist daher extrem wichtig, dass sich diese Institutionen klar positionieren, sodass sichergestellt wird, dass alle diskriminierungsfrei am Sport teilnehmen können. Im Fußball haben wir die Diskussion seit mehr als zehn Jahren recht intensiv, und es hat sich auch einiges durch den Druck aus der Community und von Faninitiativen getan. Aber auch hier ist die eine Anlaufstelle, die mit einer Person besetzt ist, für einen Verband mit über sieben Millionen Mitgliedern nach wie vor zu wenig. Ich wünsche mir da noch mehr Unterstützung von der DFL. Auf Regional- und Landesebene werden wir im Fußball zukünftig flächendeckend Ansprechpersonen haben. Das ist eng mit der Einführung des Spielrechts für trans, inter und nonbinäre Personen im DFB verbunden.
Wer meldet sich denn bei ihrer Anlaufstelle? Homosexuelle, die Beratungen fürs Coming-out oder bei Anfeindungen suchen? Oder eher Vereine und Funktionäre, um den besseren Umgang mit Diskriminierungsfragen zu lernen?
Im Wesentlichen besteht die Arbeit aus Aufklärung und Sensibilisierung. Es kommen vor allem Vereine und Verbände auf uns zu. Sie suchen Beratungsangebote darüber, wie sie aktiv werden oder sich überhaupt positionieren können. Es fragen auch deren Beauftragte, wie sie das Thema sichtbarer machen können. Wir bieten aber auch Workshops und Hilfe bei der Vernetzung an und fördern inklusive Strukturen.
Warum gibt es seit Jahrzehnten Coming-outs überall in der Gesellschaft, aber so selten im Männersport?
Da muss man konkreter sein und von aktiven Profis sprechen. Die stehen am stärksten im Fokus und haben oft am meisten zu verlieren. Es bis zum Profi zu schaffen, egal in welcher Sportart, ist hart erkämpft. Das will man schützen. So wird zumindest das Fehlen von Coming-outs oft so interpretiert, dass beispielsweise Berater*innen ihre Klient*innen schützen wollen. Meiner Meinung nach ist das aber eine absolute Fehlinterpretation. Ich denke, dass ein Coming-out mental für die Athlet*innen extrem wichtig ist, damit sie frei und in ihrer kompletten Identität Leistungssport treiben können. Ansonsten gibt es genau im Männersport natürlich noch immer eine Verstärkung von angeblichen Attributen der Männlichkeit: Kampfgeist, Unverletzbarkeit, übertriebene Härte. Das ist ein verklärtes Bild von Männlichkeit, und gleichzeitig wird Schwulsein als weich und schwach dargestellt.
Statistisch müssten allein in den Topligen Hunderte Homosexuelle mitspielen, die sich aber aus verschiedensten Gründen nicht outen. Könnten sie aber vielleicht auch ein solches Umfeld von vornherein meiden, eben weil hier jene überzogenen Männlichkeitsideale vorherrschen?
Das ist schwer zu sagen, weil uns ja die Beispiele fehlen. Ich kann nur aus dem queeren Sport berichten. Diese Vereine haben sich vor mittlerweile über 40 Jahren gegründet, weil es in klassischen Sportvereinen extrem viel Homophobie gab. Damals stimmte es also eher, dass homosexuelle Männer seltener zum Fußball gingen. Ich glaube aber, dass sich das gewandelt hat, auch durch die queeren Vereine und Initiativen wie die Queer Football Fanclubs in der Bundesliga. Dennoch dürften sich auch heute noch viele Jugendliche die Frage stellen, ob sie weiterhin aktiv Fußball spielen möchten, in dem Glauben, sich dort dauerhaft verstecken zu müssen. So abschreckend wie in den 80er und 90er Jahren ist der Fußball aber sicherlich nicht mehr.
Unter Spitzensportlerinnen gibt es dagegen viel häufiger Coming-outs, und niemand nimmt Anstoß daran.
Die mussten sich das aber hart erkämpfen. Auch die Frauen haben früher keine Unterstützung bekommen. Ich kenne im Fußball Beispiele aus den 90er Jahren, bei denen Spielerinnen verboten wurde, beim Training Händchen zu halten. In der Schweiz wurde ein komplettes Team abgemeldet, weil die Angst herrschte, dass einige Frauen lesbisch seien und andere Mädchen im Verein lesbisch machen könnten. Die Akzeptanz ist also auch hier nicht selbstverständlich. Die Repressionen, vor denen sich Männer fürchten, haben die Frauen erfahren. Sie wurden als Kampflesben beschimpft, oder es herrschte das Vorurteil, dass zum Beispiel im Fußball sowieso alle Frauen lesbisch seien.
Was bewegt Menschen überhaupt, ihre Sexualität öffentlich zu machen? Warum ist das wichtig? Heteros sprechen in der Regel ja nicht über ihre sexuellen Präferenzen.
Die können ja auch ganz befreit mit ihren Partnerschaften bei Vereinspartys feiern gehen. Da geht es um viel mehr. Homosexualität wird viel zu oft auf die sexuellen Praktiken eingeengt. Wie oft habe ich schon den Satz gehört: »Was die in ihren vier Wänden machen, ist mir doch egal.« Dabei geht es doch um Liebe, Leidenschaft und Partnerschaft. Ein Coming-out für Personen, die so stark in der Öffentlichkeit stehen, ist nie einfach. Wer kann sich schon vorstellen, dass über die eigene Sexualität, die eigene Partnerschaft in der Öffentlichkeit berichtet wird? Es sollte aber für jede*n möglich sein, private Fotos am Arbeitsplatz oder im Spind der Umkleidekabine aufzuhängen und Urlaubserinnerungen in den sozialen Medien zu teilen. Ich kann mir persönlich gar nicht vorstellen, wie es ist, seine Identität Tag für Tag zu verstecken, womöglich über die Zeit einer kompletten Sportkarriere, also teils über Jahrzehnte die Partnerschaften zu verleugnen. Das alles ist ja auch keine Basis für eine funktionierende Beziehung.
Welche Auswirkungen kann das Coming-out von Lukas Krzikalla haben? Kann es eine Welle geben, weil viele nur nicht der Erste sein wollten, auf den sich die Medien stürzen? Oder bleibt die Entscheidung genauso schwer?
Erst einmal war das ein wichtiger Schritt, in allererster Linie ganz persönlich für Krzikalla. Für jeden anderen wird es eine individuelle Entscheidung bleiben, die nicht leichtfertig getroffen wird. Das Coming-out sorgt aber auf jeden Fall für Sichtbarkeit und wird nicht nur auf den Handball beschränkt bleiben, damit kann es Ermutigung für andere sein. Ich weiß, dass der Volleyballer Benjamin Patch von den Berlin Volleys nach seinem Coming-out eine wichtige Ansprechperson für den australischen Fußballer Joshua Cavallo war, bevor der seinen Schritt in die Öffentlichkeit wagte. Vorbilder sind notwendig. Wir brauchen diese positiven Geschichten, aber ebenso die Stimmen, die davon erzählen, wie groß der Leidensdruck vorher war, damit wir endlich den nötigen Zuspruch erhalten und das am besten nicht erst bei einem Coming-out.
Krzikalla hat bislang nur von positiven Reaktionen berichtet. Hingegen warnte Ex-Fußballer Philipp Lahm zuletzt vor einem Coming-out im Fußball, weil er offenbar Hasstiraden fürchtet. Ist der Fußball da wirklich so anders?
Ich bin davon überzeugt, dass im Fußball dieselben Reaktionen kämen. Das zeigen auch die letzten beiden Coming-outs in England und Australien. Im Fußball ist lediglich die mediale Reichweite viel größer. Das macht es schwieriger, besonders international betrachtet.
In gut sechs Wochen startet die Männer-WM in Katar, einem Land, in dem ein Coming-out zur Verhaftung führen dürfte. Glauben Sie den Aussagen der Organisatoren, dass auch homosexuelle Spieler und Fans willkommen sein werden?
Alle queeren Organisatoren raten davon ab, nach Katar zu reisen, auch während der WM. Der Emir von Katar hat bei einer Deutschlandreise zwar gesagt, dass alle eingeladen seien, aber eben auch, dass die Kulturen und Gesetze seines Landes zu wahren seien. Das halte ich für eine ganz offene Drohung und nichts anderes. Diese WM ist ohnehin, das muss man so sagen, eine Farce. Die vermeintlichen Werte des Sports sind für dieses pompöse Turnier verkauft worden. Die Weltmeisterschaft ist daher mehr Politik als ein Sportereignis.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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