- Politik
- Prozess gegen Marvin E.
Bomben für den Bürgerkrieg
20-Jähriger wollte Ableger der »Atomwaffen Division« in Hessen aufbauen
Nur »Gedankenspiele« seien es gewesen, sagt Marvin E., ein »Hobby«. Immer wieder und immer öfter sah sich der 20-Jährige aus dem nordhessischen Spangenberg im Sommer des vergangenen Jahres Videos von Amokläufen und Terroranschlägen an. Vom Angriff auf zwei Moscheen in Christchurch zum Beispiel, als ein rechter Attentäter 51 Menschen ermordete. Vom Massaker an der Columbine High School in den USA, als zwei Amokläufer zwölf Schüler*innen und einen Lehrer erschossen. Und er ließ sich davon inspirieren.
Einmal suchte er kurz danach im Internet nach Schulen in Kassel, einmal versuchte er den Grundriss des Bundestags zu googeln. Er habe sich ausgemalt, selbst so etwas zu machen, gibt der junge Mann beim Prozess vor dem Frankfurter Oberlandesgericht unumwunden zu: »Ich hab mir überlegt, wie könnte man besonders viele erwischen. Wie könnte man wieder wegkommen.« Und warum? »Es sollte auch ein politisches Zeichen sein«, sagt er. Aber: alles nur theoretisch.
Dem Schreinerauszubildenden, der ein halbes Jahr vor seiner Festnahme noch als Kommunalkandidat der CDU antrat, werden von der Bundesanwaltschaft die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie die versuchte Gründung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Er soll sich bemüht haben, einen hessischen Ableger der »Atomwaffen Division« zu gründen, einer neonazistischen Untergrundarmee, aus den USA stammend, doch mit Anhänger*innen in aller Welt. Und er soll Anschläge geplant haben mit selbst gebauten Bomben. Wie konkret diese Pläne waren, versucht der Frankfurter Staatsschutzsenat seit nunmehr zwei Monaten herauszufinden.
Wenn Marvin E. Videos von Amokläufen ansah, lachte er über die Opfer und identifizierte sich mit den Tätern, so erzählt er es. »Die Opfer sind gleichzeitig auch Täter«, findet er. »Sie müssen den Täter ja so weit getrieben haben.« Zum Beispiel durch Mobbing, wie auch er es erfahren haben will, in der Schule und zu Hause in der Familie. Fantasien von Macht und Rache, das scheint das eine gewesen zu sein, was den Angeklagten antrieb. Doch in dem, was er »Gedankenspiele« nennt, vermischte sich das mit seiner mörderischen neonazistischen Ideologie.
Bei einem Amoklauf, sagt er, habe er möglichst viele Menschen töten wollen, »die als Feind markiert sind«. Also: »Alles, was so Juden, Schwarze, Ausländer sind. Vielleicht auch aus dem linken Spektrum.« Wer ihm darüber hinaus noch vor die Flinte laufe, habe eben Pech gehabt.
Die Schusswaffe, mit der er diese Fantasien hätte Realität werden lassen können, fehlte Marvin E. allerdings. Auch von dem »Marschflugkörper«, mit dem er gerne den Bundestag angegriffen hätte, konnte er bloß träumen. Was er aber hatte, das waren Bomben. In seinem Kinderzimmer fand die Polizei einen Koffer mit fünf selbstgebastelten Sprengkörpern, einer davon war mit Stahlkugeln ummantelt und hätte laut Anklage eine Zerstörungskraft wie ein militärischer Sprengsatz entfaltet. Außerdem hatte Marvin E. eine für Funkübertragungen geeignete Kamera in den Koffer gepackt sowie mehrere Abzeichen der »Atomwaffen Division Hessen«, die er, seit seinem Praktikum in einer Näherei auch in Handarbeiten versiert, selbst gestickt hatte – ebenso wie Rangabzeichen der SS, die er sich auf eine Bundeswehr-Uniform nähte.
»Das wirkt auf mich wie eine AWD-Hessen-Kiste, ready to go, fertig zum Abmarsch«, kommentiert die beisitzende Richterin Bianca von Arnim. Doch Marvin E. bestreitet das: Zwar seien die Bomben durchaus dafür gedacht gewesen, gegen Menschen eingesetzt zu werden. Aber noch nicht jetzt, sondern erst irgendwann, in dem »Rassen- und Bürgerkrieg«, den die AWD herbeiführen will, um eine neo-nationalsozialistische Gesellschaftsordnung zu schaffen. Dann jedoch, erklärt er, hätten sie »größtmöglichen Schaden« anrichten sollen.
Seine Versuche, für diesen Bürgerkrieg eine schlagkräftige hessische AWD-Truppe aufzubauen, blieben indes deutlich weniger erfolgreich als sein mithilfe von Youtubevideos erlernter Bombenbau. Einen ehemaligen Mitschüler soll er angeworben haben. Mit vier weiteren, die er über einschlägige Chatgruppen kennengelernt und von denen er nicht einmal die richtigen Namen gewusst haben will, wollte er eines Nachts in Kassel Werbeplakate für die »Atomwaffen Division« aufhängen – heruntergeladen aus AWD-Chats, mit Parolen auf Englisch, die er selbst nur dank des Google-Übersetzers verstand. »Die Atomwaffen Division in Deutschland stärken, das war der Gedankengang«, sagt er. Die mutmaßlich eher weniger werbewirksame Aktion scheiterte allerdings daran, dass Marvin E. kurz zuvor festgenommen wurde.
Je länger man ihn nun vor Gericht reden hört, desto mehr verstärkt sich der Eindruck: Es wurde damals eine tickende Zeitbombe entschärft. Intellektuell eher einfach gestrickt, randvoll mit rassistischen und antisemitischen Ressentiments, auf der Suche nach Anerkennung und deshalb zu allem bereit: Für die rechte Terrortruppe war Marvin E. so etwas wie der ideale Soldat. Doch jetzt, beteuert er, will er den Absprung schaffen. »Ich schäme mich«, sagt er, »dass ich solche Gedanken hatte.«
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