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Berlin überlässt AfD die Straße
Antifaschistischer Gegenprotest lautstark, aber kleiner als erwartet
Es wird gebrüllt, gepöbelt und geschimpft aus dem Aufmarsch der Rechten an der Friedrichstraße, Ecke Jägerstraße in Mitte. Denn der ebenso lautstarke antifaschistische Gegenprotest kommt hier sehr nah ran an die von der Bundes-AfD organisierte Demonstration. Teils sichtlich genervt, teils mit aufgesetzt guter Laune mühen sich die Anhänger der Rechtsaußenpartei unter »Ganz Berlin hasst die AfD«-Rufen durch das enge Nadelöhr. Nur eine lockere Polizeikette trennt sie hier erstmals auf ihrer Route vom Gegenprotest.
Nach Polizeiangaben nahmen rund 10.000 Menschen an dem AfD-Aufzug teil, der am Samstagnachmittag einmal durch die Berliner Innenstadt zog. An vielen Stellen gab es Gegenprotest, geschätzt 2000 Antifaschisten beteiligten sich daran, die Polizei sprach zunächst sogar nur von 1400, alles in allem auf jeden Fall sehr viel weniger als erwartet. Aktivisten berichteten im Nachgang, dass sie teilweise von der Polizei daran gehindert wurden, zu den Orten der zahlreichen dezentralen Gegenveranstaltungen zu gelangen. Immer wieder kam es dennoch zu kleineren Blockadeversuchen, wenn auch ohne durchschlagenden Erfolg. Die Rechten konnten weitgehend ungehindert ihre festgelegte Route ablaufen.
Trotzdem bilanziert Manja Kasten von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR): »Das war kein großer Wurf am Samstag für die AfD.« Die Teilnehmerzahl für eine Demonstration unter dem nationalistischen Motto »Unser Land zuerst« mag hoch erscheinen. Allerdings habe die Partei hierfür seit Wochen flächendeckend im gesamten Bundesgebiet mobilisiert, und »ein Großteil der Teilnehmenden wurde in von der Partei organisierten Bussen direkt zum Auftaktort gebracht«, sagt Kasten zu »nd«. So gesehen relativiert sich die Zahl 10.000 schon wieder für eine Partei, die in bundesweiten Umfragen inzwischen bei 15 Prozent liegt.
Insgesamt gab es nach einer ersten Bilanz der Polizei 24 Festnahmen und 18 Strafanzeigen, unter anderem wegen Körperverletzung, Beleidigung oder dem Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Dokumentiert sind mindestens drei Fälle, in denen der Hitlergruß gezeigt wurde. Medienvertreter wurden wiederholt beschimpft und angepöbelt.
»Was wir erwartet und gesehen haben, war dann das übliche Kernklientel der AfD von rechts bis rechtsextrem«, sagt Manja Kasten, die selbst vor Ort war. Dass es gelang, mehr Mitglieder und ihr Umfeld als bei vergangenen Aufmärschen in Berlin zu mobilisieren, »liegt wohl auch an der gestiegenen Protesterfahrung dieser Klientel bei rechtsoffenen und verschwörungsideologischen Mobilisierungen bezüglich der Corona-Pandemie in den vergangenen Jahren«.
Auffällig war am Samstag vor allem der aggressive Block der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative im ersten Teil des Aufmarschs, der permanent Parolen der rechtsextremen Identitären Bewegung gegen Einwanderung und politische Gegner skandierte. Als Protest gegen die hohen Energiepreise und die Inflation getarnt, zeigte sich an vielen Stellen der erwartbare Kern: Es ging gegen demokratische Institutionen, Pressefreiheit, Vielfalt – und: für Russland.
»Klar wurde, dass es der AfD und ihren Anhängern nicht um Lösungen für die Energiekrise geht, sondern nur darum, mit Hass und Hetze gegen alle demokratischen Parteien aufzustacheln«, sagt der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Vasili Franco, zu »nd«. Auch er hatte die Demonstration vor Ort verfolgt.
Das Fazit von Manja Kasten fällt nüchtern aus. »Man muss sich vor Augen führen, dass zurzeit in vielen Städten große Versammlungen stattfinden – in Gera sprach Björn Höcke am 3. Oktober vor 10.000 Menschen. Rechtspopulisten und Rechtsextreme rufen den heißen Herbst aus. Aber der Anspruch, dass sich die AfD an die Spitze einer rechten Sammlungsbewegung stellt, konnte am Samstag in Berlin nicht wirklich untermauert werden.«
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