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Eine andere Stratosphäre
Der Norweger Gustav Iden gewinnt den Ironman Hawaii in Rekordzeit. Sebastian Kienle verabschiedet sich würdevoll
Vermutlich wird Gustav Iden demnächst nicht mal beim Schlafengehen seine Kappe abnehmen. Das zufällig mal in Tokio auf der Straße gefundene Stück mit einem aufgedruckten Tempel aus Taiwan ist längst Markenzeichen und Glücksbringer des norwegischen Ausnahmeathleten, der kurioserweise mit einer schwarzen Kopfbedeckung der Gluthitze beim Ironman Hawaii trotzte, um über 3,86 Kilometer Schwimmen im welligen Meer, 180,2 Kilometer Radfahren in der windigen Lavawüste und 42,2 Kilometer Laufen auf dem flirrenden Asphalt die Maßstäbe zu verrücken. Bei 7:40:24 Stunden blieb die Zieluhr in der Bucht von Kailua-Kona stehen. So schnell war hier noch nie ein Ironman unterwegs. Vor einigen Jahren galten Zeiten unter acht Stunden als unmöglich.
Immerhin war der 26-Jährige total erschöpft, als er sich fürs Siegerinterview auf einen Stuhl setzte – alles andere hätte Argwohn geschürt. »Die Insel hat versucht, mich auf den letzten zehn Kilometern fertig zu machen – ich weiß nicht, ob ich nochmal zurückkomme.« Sieben Kilometer vor dem Ziel hatte Iden dennoch den lange führenden Franzosen Sam Laidlow überholt – und dabei abgeklatscht. Seinen Landsmann, Trainingspartner und Freund Kristian Blummenfelt, mit dem der neue Weltmeister gefühlt 365 Tage im Jahr verbringt, hatte Iden zu diesem Zeitpunkt bereits abgehängt. Dass das untersetzte Kraftpaket mit Spitzname »Big Blu« nicht wie bei den Olympischen Spielen in Tokio, der ITU-Weltmeisterschaft oder Ironman-Ersatz-WM in St. George triumphierte, war durchaus überraschend. Gleichwohl haben die norwegischen Wunderkinder aus der Stadt Bergen wohl auf absehbare Zeit die deutsche Dominanz gebrochen. Die sechsteilige schwarz-rot-goldene Siegesserie endete mit Ansage. Und Blummenfelt ist mit 28 Jahren ebenfalls jung genug, um sowohl auf der Kurzdistanz eine olympische Goldmedaille 2024 in Paris anzupeilen, als auch auf der Langdistanz seine besondere Passion auszuleben.
Doch nicht jedem gefällt die Entwicklung beim Ironman Hawaii, den 1978 noch ein Haufen verrückter Abenteurer erfanden. Vom lange gepflegten familiären Markenkern ist durch die Expansionsgelüste der Ironman-Dachorganisation, aber auch durch die extreme Professionalisierung der Triathlon-Szene nichts mehr geblieben. Der verletzte Jan Frodeno staunte, wie scheinbar mühelos die drei Bestplatzierten allesamt seine Rekordmarke vor der Pandemiepause (7:51:13 Stunden) pulverisierten. »Die Jungs waren in einer neuen Stratosphäre«, sagte der entthronte Altmeister. Der 41-Jährige will nächstes Jahr das letzte Mal starten, »einen Koffer voller Motivation« nehme er mit auf die Heimreise. Fraglich, ob der Dreifach-Champion speziell das neuerdings beim Marathon angeschlagene Tempo jemals mitgehen kann.
Darüber staunte auch Patrick Lange. »Was vorne abging, ist Wahnsinn. Völlig krass. Man sieht, was sich in der Pandemiezeit getan hat. Abartig!«, urteilte der Doppelsieger von 2017 und 2018, den mit Frodeno übrigens privat nichts mehr verbindet, wie dessen distanzierte Kommentare als ZDF-Experte zu Lange belegten. Denn es war sehr wohl diskussionswürdig, warum der beim Schwimmen zurückgefallene Hesse auf dem Rad wegen angeblichen Windschattenfahrens mit einer Zeitstrafe belegt wurde.»Ich kann es mir nicht erklären, denn ich habe die Motorräder extra weggeschickt«, erklärte Lange. »Die Zeitstrafe kam aus dem Nichts. Ich war schockiert. Danach war der Rhythmus weg. Das Laufen war von hinten bis vorne eine Quälerei. Ich bin schon ein bisschen stolz darauf, dass ich es trotzdem durchgezogen habe, um noch Zehnter zu werden.« Der in Salzburg beheimatete 36-Jährige wird viel Energie brauchen, will er sich die Sehnsucht nach einem dritten Hawaii-Coup erfüllen.
Bester Deutscher war daher Sebastian Kienle, der bei seiner Abschiedsvorstellung im Ausdauermekka alles auspackte, was sein Körper hergibt. Der 38-Jährige holte sich als Sechster nach starken 7:55:40 Stunden die Ovationen vieler Zuschauer, die für Rührstücke wie von Kienle ja zu haben sind, als dieser seine tränenüberströmte Ehrenrunde mit inniger Umarmung für Frau Christine und Sohn Nino lief. »Das war eine Explosion von Emotionen. Alles was es so gibt, ist in einen Mixer geworfen worden und heraus kam ein Brei, der teilweise süß, teilweise bitter schmeckt, aber definitiv abhängig macht«, sagte der Hawaii-Sieger von 2014.
Unterwegs stoppten mehrere Agegrouper sogar mit dem Rad, um sich vor einem meinungsfreudigen Sportler zu verneigen, der mit seiner Leidenschaft und Hingabe nach seinem für 2023 angekündigten Karriereende dem Triathlon fehlen wird. Der intelligente Charakterkopf aus dem baden-württembergischen Knittlingen fand auch die treffenden Worte, um den neuen Ironman-Weltmeister zu beschreiben: »Er hat die richtige Mischung von ein bisschen Scheiß-Egal-Mentalität und brutal harter Arbeiter. Du musst genauso hier drauf sein: manchmal locker, manchmal stahlhart.« Dann gibt es sogar noch Kopfschmuck für die Kappe.
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