Werbung

Massenhaft tote Kühe

Die Rinderseuche LSD greift in der Hälfte der indischen Unionsstaaten immer weiter um sich

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Bild, das auch in Mitteleuropa die meisten als erstes mit Indien assoziieren: Die unzähligen frei laufenden Rinder, die selbst in den Großstädten an manch belebten Kreuzungen anzutreffen sind und mitunter den Verkehr behindern. Doch nur den wenigsten ist bewusst, dass das Land auch der größte Milchproduzent der Welt ist. Dies und der zahlenmäßig hohe Bestand dieser Art von Nutzvieh ist nun durch eine bisher kaum bekannte Krankheit bedroht. Der sogenannten Lumpy Skin Disease (LSD) sollen bisher um die 100 000 Rinder und Wasserbüffel vor allem in den nordwestlichen Bundesstaaten zum Opfer gefallen sein, etwa zwei Millionen Tiere gelten inzwischen als infiziert.

Wirklich neu ist die Krankheit keineswegs. Schon 1929 sollen erste Vorkommen in Sambia nachgewiesen sein. Auch bei Wiederkäuern in Europa hat es in jüngerer Zeit Fälle gegeben. Erstmals allerdings greift sie auf dem indischen Subkontinent nun massenweise um sich. Nachdem die Fallzahlen im Juni und Juli noch überschaubar waren, kann spätestens seit September von einer Epidemie gesprochen werden, die landesweit die Rinderbestände in Gefahr bringt.

Übertragen wird die LSD primär von blutsaugenden Insekten, also wie beispielsweise Malaria oder Dengue-Fieber beim Menschen. Inzwischen, heißt es in einem Beitrag der indischen Tageszeitung »National Herald«, haben Experten aber immer häufiger auch eine Weitergabe über Körpersekrete wie Milch und direkt infiziertes Blut nachgewiesen. Bei den unhygienischen Haltungsbedingungen sei oft nicht klar ermittelbar, ob Infektionen in einzelnen Beständen nun auf die eine oder andere Weise erfolgt sind.

Kranke Tiere bilden nicht nur äußerlich knötchenartige Wucherungen, die weite Hautpartien bedecken. Auch innerlich sind zum Beispiel Mund und Atmungssystem befallen. Hinzu kommen Fieber und andere Symptome. Geschwächte Tiere haben offenbar ein stark erhöhtes Infektionsrisiko. Das sind vor allem jene Rinder, die zwar formell nicht immer herrenlos sind, aber frei in den Straßen kleinerer Orte sowie großer Städte herumspazieren, mit dem Fressen diverser Rückstände keine artgerechte Ernährung und oft schon Vorerkrankungen haben.

Wie das Nachrichtenportal DNA India schreibt, ist LSD erstmals im April in Kutch, einer Region von Premierminister Narendra Modis Heimat-Unionsstaat Gujarat im Westen des Landes nahe der Grenze zu Pakistan, aufgetreten. Inzwischen ist das nördlich benachbarte Rajasthan am stärksten betroffen. Dort verenden aktuell etwa 600 bis 700 Tiere täglich, andernorts im Nordwesten des Landes im Schnitt um die 100. Maharashtra, Haryana, Punjab sowie Himachal Pradesh am südlichen Rand des Himalaya-Massivs sind ebenfalls stark getroffen, und auch in der Hauptstadt Delhi greifen Fälle jüngsten Meldungen zufolge um sich. Gerätselt wird noch, weil das Genom des Erregers bei der aktuellen Epidemie in Indien nicht mit dem früherer Vorkommen weltweit übereinstimmt.

Während diese Frage die Wissenschaft beschäftigt, macht sich im Land vor allem wegen der Auswirkungen Sorge breit. Allein in Rajasthan ist die Milchproduktion im August um 21 Prozent eingebrochen – das sind 500 000 bis 600 000 Liter weniger pro Tag. Mehrere Unionsstaaten haben inzwischen Taskforces gebildet. Beim Warten auf Impfstoffe oder andere geeignete Maßnahmen, um die Ausbreitung einzudämmen, weisen sich verfeindete Parteien sowie die Regierungen auf regionaler und nationaler Ebene gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Betroffene Bauern sind oft hilflos und überlassen infizierte Tiere nicht selten sich selbst, sodass diese beim Herumstreunen auf den Straßen weitere anstecken. Auch mit dem Beseitigen von Kadavern verendeter Rinder kommen Halter und Behörden mancherorts kaum noch nach. Die einzige Nachricht, die ein wenig beruhigt: Nach bisherigen Erkenntnissen des Nationalen Instituts für Virologie (NIV) handelt es sich bei der Krankheit um eine Zoonose, erfolgt also keine Übertragung auf den Menschen. Insofern sei der Verzehr von Milch und Milchprodukten ungefährlich, heißt es.

In 15 indischen Bundesstaaten ist LSD inzwischen nachgewiesen, darüber hinaus in Teilen von Nepal und China. Der wirtschaftliche Schaden ist schon beträchtlich und kann weiter steigen. Zwar ist der Hindu-Mehrheitsbevölkerung aus religiösen Gründen der Genuss von Rindfleisch untersagt, viele der von der hindunationalistischen BJP regierten Regionen haben sogar ein strenges Schlachtverbot für Kühe erlassen. Milchwirtschaft ist aber ein sehr wichtiger Zweig im Agrarsektor. 80 Millionen Menschen sind dort beschäftigt, der Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt liegt bei etwa fünf Prozent. Obwohl nur vergleichsweise wenig in den Export geht, ist Indien damit doch der mit Abstand größte Milchproduzent auf dem Globus.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -