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Aschenputtels Auferstehung
Zirkus Europa: Tottenhams dramatische Europapokalnächte
Lange nichts mehr von Lucas Moura gehört, zumindest nichts Positives. Dass der brasilianische Stürmer sich daheim gerade für die Wiederwahl des vogelwilden Staatspräsidenten Bolsonaro einsetzt, kommt in England im Allgemeinen und bei der Anhängerschaft des Tottenham Hotspur Football Club im Besonderen nicht so gut an. In seinem Kerngeschäft Fußball spielt er schon länger keine Rolle mehr. Der 30-Jährige leidet an einer Sehnenentzündung. Aber auch bei bester Gesundheit wäre er kein Thema für die Startelf gewesen, wenn die Spurs am Mittwoch Eintracht Frankfurt empfangen. Im Angriff sind Harry Kane und Heung-min Son gesetzt – es muss schon einem der beiden sehr schlecht gehen, wenn Moura zum Zuge kommen will.
So war das auch im Februar 2019, als zuletzt ein deutsches Team bei den Spurs vorstellig wurde. Damals gastierte Borussia Dortmund im Achtelfinale der Champions League in London – noch im Olympic Stadium, weil der Neubau des klubeigenen Stadions an der White Hart Lane seiner Fertigstellung harrte. Auch ohne den verletzten Kane schossen die Spurs den BVB mit 3:0 nach Hause, der unauffällige Moura spielte dabei allenfalls eine Nebenrolle.
So richtig los ging es für den Brasilianer, als sich Kane im Viertelfinale gegen Manchester City erneut verletzte und er abermals dessen Platz einnahm. Die Spurs setzten sich in zwei dramatischen Spielen durch und standen plötzlich im Halbfinale. Der Traum vom Finale schien nach einer 0:1-Heimniederlage gegen Ajax Amsterdam schon ausgeträumt, aber in diesen Halbfinals im Frühjahr 2019 war nichts so, wie es schien. Die Rückspiele Liverpool gegen Barcelona und Ajax gegen Tottenham waren allerbeste Werbung für den europäischen Fußball-Zirkus.
Den Anfang machte Liverpool mit einem sensationellen 4:0 über Barça, das nach dem 3:0 im Hinspiel doch schon so gut wie sicher das Finale von Madrid erreicht hatte. Die Fußballwelt verneigte sich vor Jürgen Klopp und seinen roten Wilden und schwärmte von der für lange Zeit größten Nacht in der Champions League. Und dann kam Tottenham. Das Aschenputtel unter den großen Klubs, lieb und nett, aber doch nicht groß genug für das ganz Große. Bis zu diesem Spiel in Amsterdam, das bei einem 0:2-Rückstand zur Halbzeit doch schon mehr als halb verloren war.
In der Addition mit der Hinspielniederlage brauchten die Spurs gegen Ajax jetzt drei Tore. Aber wer sollte sie schießen? Ohne den großen Harry Kane erschien der Angriff auf höchstem Niveau kaum konkurrenzfähig. Dann kam Lucas Moura. Sein erstes Tor schoss er zu Beginn der zweiten Halbzeit eher zufällig, als ihm der Ball nach Dele Allis missratenem Sololauf vor die Füße sprang. Das zweite, keine vier Minuten später, war ein kleines Kunstwerk – ausgestaltet mit einem Dribbling durch den Amsterdamer Strafraum um allerlei hilflose Abwehrbeine herum. Jetzt fehlte nur noch ein Tor. Moura hob es sich für die sechste Minute der Nachspielzeit auf. Oben auf der Tribüne hüpfte Kane so begeistert auf und ab, dass der Mannschaftsarzt schwer um die Genesung des lädierten Knöchels bangte.
Er ist dann doch noch rechtzeitig fit geworden für das Finale von Madrid, wo Tottenhams Märchen schließlich ein Ende fand. Beim 0:2 gegen Liverpool war nichts zu sehen von der Amsterdamer Leidenschaft der Spurs. Lucas Moura hatte wieder Platz machen müssen für Harry Kane und durfte nur in der letzten halben Stunde mitkicken. Zu wenig für ein zweites Wunder.
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