Berlins CDU entdeckt ihr Herz für Mieter

Sowohl die Konservativen als auch die Sozialdemokraten laufen sich warm für den Wahlkampf

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Geläuterte? CDU-Politiker Kai Wegner (r.) Ende 2019 bei Protesten gegen die Einführung des Mietdeckels
Der Geläuterte? CDU-Politiker Kai Wegner (r.) Ende 2019 bei Protesten gegen die Einführung des Mietdeckels

Man reibt sich die Augen: Die Hauptstadt-CDU will ein Mietenkataster einführen, eine unabhängige Schiedsstelle soll Wuchermieten verhindern, Inflationsmieten will man verbieten, eine Nebenkostenbremse durchsetzen und die Steuerbefreiung bei Share Deals kassieren. Das zumindest sind die Kernpunkte eines »Faires Wohnen für alle« überschriebenen Positionspapiers, das die CDU-Abgeordneten am Samstag auf ihrer Fraktionsklausur im fernen Düsseldorf beschlossen hat. »Die CDU-Fraktion will eine neue Stufe des Mieterschutzes zünden«, erklärt im Anschluss Partei- und Fraktionschef Kai Wegner. Und: »Wer aus der Wohnungsnot in Berlin maximale Profite schlagen will, soll sich warm anziehen.«

Ausgerechnet die CDU, die zusammen mit der FDP verbissen gegen den Mietendeckel kämpfte und ihn letztlich mit den Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr zu Fall brachte, will nun also Berlins Mieterinnen und Mieter schützen und selbst die Preise deckeln. Der Hintergrund ist klar: Die Partei läuft sich warm für die voraussichtliche Komplettwiederholung der Abgeordnetenhauswahlen Mitte Februar und will bei den Berlinerinnen und Berlinern punkten.

Damit nicht genug, erklären sich die Christdemokraten im Rahmen ihrer Dienstreise in die Landeshauptstadt des seit kurzem schwarz-grün regierten Nordrhein-Westfalen auch zu Vorkämpfern für das Erreichen von Klimaresilienz, den Erhalt von Kaltluftschneisen und das Prinzip der sogenannten Schwammstadt – kurzum: alles urgrün klingende stadtentwicklungs- und klimapolitische Themen. Wie ernst soll man das nehmen?

Sehr ernst, sagt der umwelt- und klimapolitische CDU-Fraktionssprecher Danny Freymark. Es handele sich hierbei keineswegs um Wahlkampfgeklingel. »Ohne einen deutlichen Ausbau des dezentralen Regenwassermanagements werden wir in Berlin erhebliche Probleme mit der Anpassung an die Klimafolgen haben«, sagt Freymark zu »nd«. Der rot-grün-rote Senat sei »zwar gewillt, aber nicht gut aufgestellt, um diese Herausforderungen anzugehen«. Das wolle man ändern. So brauche es unter anderem mehr Personal in den Verwaltungen und »konkrete und lukrative Förderungen«.

Bei den mieten- und klimapolitisch mit diesen und anderen Forderungen mehr oder weniger direkt umworbenen Grünen hält sich die Begeisterung über die Avancen in Grenzen. »Das gesamte Positionspapier der CDU ist ein eigenartiger Mix aus altem Wein in neuen Schläuchen und typischem CDU-Sprech«, sagt Katrin Schmidberger zu »nd«. Die mieten- und wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus hält insbesondere das Bild der neuen Mieterpartei CDU für wenig überzeugend. »Ich sehe hier auch kein kohärentes Konzept. Da wird den Leuten einfach nur viel Sand in die Augen gestreut.«

Kritik an der rot-grün-roten Wohnungs- und Mietenpolitik sei ja nicht generell unberechtigt: »Wir könnten bei vielen Themen sehr viel weiter sein«, sagt Schmidberger. Dass nun aber die Christdemokraten die neuen Partner im Kampf für mehr Mieterschutz sein sollen, sei doch in höchstem Grade unglaubwürdig. »Es war schließlich die Berliner CDU, die in der Vergangenheit im Bund alle Initiativen für mehr Mieterschutz verwässert hat. Und es ist die Berliner CDU, die bis heute mit der renditeorientierten Immobilienwirtschaft kuschelt

Unterdessen hat am Wochenende auch die Berliner SPD, die der Bau- und Immobilienwirtschaft teils nicht minder freundlich gesinnt ist, den Wahlkampf um das Abgeordnetenhaus mit einer Fraktionsklausur im brandenburgischen Nauen und einem dazugehörigen Forderungskatalog für die nahe Zukunft eingeläutet. Und auch den Sozialdemokraten geht es dabei nach eigenem Bekunden darum, die Berlinerinnen und Berliner weiter zu entlasten und Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben.

So will die SPD das zum 1. Oktober eingeführte 29-Euro-Ticket im öffentlichen Personennahverkehr über das Jahresende hinaus »unterbrechungsfrei« fortsetzen und die Preise für Sozial- und Seniorentickets entsprechend reduzieren. Zudem soll sich das Land Berlin deutlich mehr Einfluss auf die Energieversorgung sichern. »Da es sich bei der Wärme- und Energieversorgung um Grundbedürfnisse der Daseinsvorsorge handelt, gehört auch die Berliner Wärmeversorgung insgesamt in die öffentliche Hand«, heißt es in dem SPD-Papier. Konkret fordert die Fraktion den Senat auf, über eine Unternehmensbeteiligung »eine Mehrheit bei der Fernwärmeversorgung und an der Gasag zu erwerben«, um so auch Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen zu können.

»Das ist für viele Menschen eine harte, eine brutale Zeit«, sagt SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh zu »nd«. Aufgabe der Politik müsse es dabei sein, die Härten abzufedern. »Der Staat muss Verantwortung übernehmen. Und ich sage deutlich: Wir Sozialdemokraten legen nicht die Hände in den Schoß.« Das gelte auch für die 2016 gestartete Schulbauoffensive, die die SPD nun »ausweiten und beschleunigen« will.

Deutliche Kritik übt Saleh in dieser Hinsucht an der im Haus von Grünen-Finanzsenator Daniel Wesener erarbeiteten und vom Senat im September beschlossenen Investitionsplanung 2022 bis 2026. In diesem Zusammenhang seien zahlreiche erforderliche Schulsanierungen »auf die lange Bank geschoben« worden. Nicht berücksichtigt sei hierbei, dass die Bevölkerungszahl Berlins auf bald vier Millionen wachse. »Die Investitionsplanung muss nachjustiert und korrigiert werden«, fordert Saleh.

Bei den Grünen nimmt man den Angriff des Koalitionspartners auf den eigenen Senator vorerst gelassen. »Sehr viele Parteien lassen sich gerade von den Umfragen treiben«, sagt Katrin Schmidberger und ergänzt sowohl Richtung SPD als auch Richtung CDU: »Wir sind an dieser Stelle ganz klar: Wir wollen Rot-Grün-Rot in welcher Konstellation auch immer weiterführen.«

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