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Zur Albernheit verurteilt

Viel Slapstick statt politischer Erwägungen: Das Hans-Otto-Theater Potsdam zeigt Jean-Paul Sartres "Die schmutzigen Hände"

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Sartre trifft auf Screwball: "Die schmutzigen Hände" am Hans-Otto-Theater Potsdam
Sartre trifft auf Screwball: "Die schmutzigen Hände" am Hans-Otto-Theater Potsdam

Was bleibt von Jean-Paul Sartre, einem der berühmtesten Denker des letzten Jahrhunderts? Seine Philosophie ist es nicht, sie ist schnell und schlecht gealtert. Viele betrachten den Existenzialismus heute weniger als Fundament, auf das sich Weiteres aufbauen ließe, denn als Ausdruck des Lebensgefühls einer Generation, die nach der totalitären Katastrophe die (eigene) Freiheit ins Zentrum stellte.

Auch der Stern des Autors strahlt heute deutlich weniger hell als etwa der seines einstigen Mitstreiters und späteren Gegners Albert Camus. Sartres Vermächtnis ist vor allem die Verkörperung einer gesellschaftlichen Figur, die er wie kein anderer in seiner Zeit prägte: die des Intellektuellen, der in Literatur, Theorie wie in der politischen Intervention nach der Gestaltung der Gegenwart trachtete.

Sein Stück »Die schmutzigen Hände« aus dem Jahr 1948 ist Ausdruck dieses Vermögens. In einem fiktiven Staat namens Illyrien tobt ein Machtkampf zwischen drei Lagern. Eines davon, das kommunistische, wird von Hoederer angeführt. Aus taktischen Gründen verhandelt er über eine Koalition mit den politischen Gegnern. Seine eigene Partei will ihn deshalb loswerden und schickt den jungen Hugo aus, ihn zu töten. In der Begegnung der beiden trifft ideologischer Eifer (in Person Hugos) auf Realpolitik (in Person Hoederers). 

Hugo lässt sich von seinem Gegner schließlich überzeugen, erschießt Hoederer dann aber dennoch, weil der sich an seine Frau heranmacht. Als er Jahre später aus dem Gefängnis entlassen wird, muss er feststellen, dass die Kommunisten genau dem Weg gefolgt sind, den sein Opfer vorzeichnete.

Die Partei hat immer recht? Nein, eine politische Strategie, so darf man die Botschaft des Stückes verstehen, sollte sich weniger einer Wahrheit verpflichtet fühlen als der Durchsetzung ihrer Ziele. Ideologie erweist sich als schlechter Ratgeber für die Erlangung der Freiheit, weil sie die Optionen des Denkens und Handelns einschränkt.

Mit etwas Willen oder schlechterdings Mutwillen könnte sich der Stoff auf die heutige Debatte darüber beziehen, aus welchen Gründen man bis zu welchem Grad die Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor unterstützen solle. Rechtfertigt die Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, das gesteigerte Risiko eines Atomkriegs? Diese Frage scheuchte Schriftsteller, Philosophen und Künstler in die Öffentlichkeit.

Regisseur Christoph Mehler lässt sie in seiner zweistündigen Inszenierung am Potsdamer Hans-Otto-Theater jedoch links liegen. Er hält sich sogar die Politik weitgehend vom Leib, indem er den Stoff filmischen Ausdrucksmitteln anvertraut. Sartre trifft bei ihm auf Slapstick und Screwball. Paul Sies als Hugo hampelt hypernervös als Karikatur eines zaudernden Strebers über die Bühne. Mit der breitrandigen Brille, die er nimmermüde auf seiner Nase hochschiebt, erinnert er an Ryan O’Neal in Peter Bogdanovichs Komödie »What’s Up, Doc?«. Seine Frau Jessica (Mascha Schneider) wuselt um ihn herum, stößt ihn und die ganze Handlung aus reiner Lust an der Unordnung mal in diese, mal in jene Richtung. Es schwindelt einem beim Beobachten dieser Beziehungsdynamik. 

Als Antagonist sorgt Guido Lambrecht in wohltuenden Szenen für etwas Ordnung, wenn er seine strategischen Überlegungen entfaltet. Er ist mal Zyniker, mal weitsichtiger Politiker und bleibt weitgehend von dem Humorzwang befreit, dem Mehlers Ensemble anheimgefallen ist, bis er in einer sehr langen Szene nackt über die Bühne taumeln muss, zunächst hin- und hergerissen von der Sympathie zu dem jungen Freund und dem Begehren zu dessen Ehefrau, dann auf der Flucht vor dem Revolver in Hugos Hand.

Beiläufig zwischen zwei Witzen wird hier die politische Tiefe des Stücks erledigt und Sartres kühle Anlage der Lächerlichkeit preisgegeben. Jede politische Erwägung kapituliert an diesem Abend immer schon, sei es vor dem Wahnsinn der Weltlage oder der Unfähigkeit der Menschen, was hier freilich auf das Immergleiche hinausläuft: Albernheit. Das ist einerseits politisch bedenklich, da fatalistisch. Und andererseits in seiner Penetranz auch ganz schön öde.

Nächste Vorstellungen: 22., 23.10. und 11.11.
www.hansottotheater.de

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