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- 1. FC Union Berlin
Der neue Hauptmann und sein Köpenicker Kollektiv
Unions Fußballer sorgen mit dem 2:0 gegen Borussia Dortmund für einen weiteren Feiertag im Berliner Südosten
Vom 16. Oktober als Köpenicker Feiertag hatte Christian Arbeit vor dem Spiel des 1. FC Union Berlin gegen Borussia Dortmund gesprochen – mit einem »schönen Gruß an den Hauptmann von Köpenick«. Unions Stadionsprecher erinnerte an Wilhelm Voigt, der sich vor 116 Jahren geholt habe, was ihm zustehe. »Und heute holen sich die Jungs, was ihnen zusteht«, rief Arbeit vor der Verkündung der Mannschaftsaufstellung. So sollte es kommen: Clever, mutig und mit großem Einsatz, wie sich einst der arbeitslose Schuster den Inhalt der Stadtkasse angeeignet hatte, erspielten sich die Berliner Fußballer mit einem 2:0 drei Punkte gegen den BVB.
Die Meinungen darüber, wem Siege im Fußball zustehen, gehen oft auseinander. Beispielsweise beim Thema Ballbesitz. »Die wollten ja nix«, hatte der Leipziger Trainer Domenico Tedesco Ende August fast schon spöttisch die Niederlage von RB in der Alten Försterei kommentiert. Mehr als zwei Drittel der Spielzeit hatte sein Team das Spielgerät, aber dennoch mit 1:2 verloren. Tedesco ist längst Geschichte in Leipzig, der 1. FC Union ist Spitzenreiter der Bundesliga – seit nunmehr fünf Spieltagen. Selbst Urs Fischer findet das »unglaublich«, wie er am Sonntagabend sagte. »Das ist Wahnsinn«, meint der Berliner Trainer. Zufall ist es nicht.
Der Vergleich mit Dortmund taugt recht gut zur Beschreibung der erstaunlichen Entwicklung in Köpenick. Im Februar gewann die Borussia mit 3:0 in der Alten Försterei. Es war die letzte Heimniederlage des 1. FC Union in der Bundesliga. Saisonübergreifend verloren die Berliner nur eines der vergangenen 17 Ligaspiele. Und so wurden sie am Sonntagabend mit Dortmunder Lob überschüttet. »Union macht das hervorragend. Man muss nicht so tun, als wäre das Mittelmaß«, sagte der schwer enttäuschte Abwehrchef Mats Hummels. Trainer Edin Terzić beschrieb den Gegner als »Spitzenteam«, der bewusst auf Ballbesitz verzichte. Seine eigene Mannschaft kam in dieser Statistik auf 71 Prozent. Wirklich zwingende Torchancen hatte sie aber nur in der drangvollen Schlussviertelstunde, als sechs Offensivspieler auf dem Platz standen.
Es gibt nur wenige Statistiken, die auch den Tabellenführer vorn sehen, aber grundlegend für dessen Erfolg sind. Eine davon ist die Laufleistung. In der Einzelbetrachtung ist dort mit Rani Khedira der erste Berliner Spieler erst auf Rang zehn zu finden, aber als Team läuft Union die meisten Kilometer. Dieser Einsatz führt direkt zur zweiten Rangliste, die Union anführt. Durch das mannschaftliche Verteidigen, bei dem alle zehn Feldspieler beharrlich versuchen, dem Gegner Raum und Zeit zu nehmen, ließen die Berliner in dieser Saison erst sechs Gegentore zu.
Gleichzeitig führt die hohe Laufbereitschaft zu eigenen Offensivaktionen. Am Sonntag traf Jannik Haberer zweimal. Der erste Treffer resultierte zwar aus einem Fehler von Dortmunds Torwart Gregor Kobel, zuvor aber wurde der Gegner im Spielaufbau unter Druck gesetzt. Und so war Haberer auch zur Stelle, als der Ball in der achten Minute nach Kobels Ausrutscher einschussbereit im Strafraum lag. Das hartnäckige Anlaufen führte zwölf Minuten später zu einem Ballgewinn im Mittelfeld. Das gewohnt schnelle Umschaltspiel brachte das Spielgerät nach erneut zu Haberer, der in der unsortierten Dortmunder Abwehr genug Platz für einen platzierten Schuss ins Tor fand.
»Sie fragen nicht, warum.« Mit diesen Worten beschrieb Terzić die gewinnbringende Einstellung der Berliner. Dass sich niemand für nichts zu schade ist, jeder jedem hilft und alle auch Dinge tun, die nicht unbedingt Spaß machen, sagte der Dortmunder Trainer über sein eigenes Team nicht. Dass er daran arbeite, schon. Konkret brachte es Unions Verteidiger Timo Baumgartl auf den Punkt: »Es war ein Sieg des Kollektivs.«
Vom besonderen Charakter dieser Berliner Mannschaft war schon oft zu hören. Mindestens ebenso häufig betonen die Gegner, wie unangenehm es ist, gegen sie zu spielen. Dies belegt eine andere Statistik: Kein anderes Team foult seine Gegenspieler so oft wie Union. Aber trotz aller Aggressivität und Kampfeslust: Unfair ist es selten. Mit gerade mal 14 gelben Karten kassierten die Köpenicker bislang am zweitwenigsten in der Bundesliga. Und vorzeitig musste auch noch kein Unioner den Platz verlassen.
Mit Weisheiten im Sport ist es ja so eine Sache. Eine aus dem modernen Fußball lautet: Ballbesitz schießt keine Tore. Manchmal stimmt es, manchmal nicht; wenn Union spielt, meistens. Eine andere scheint für die Berliner erfunden worden zu sein: Eine Mannschaft ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Aber nachdem diesmal Baumgartl die stereotype Spielanalyse vom unglaublich guten Verteidigen des gesamten Teams lieferte, holte der Innenverteidiger noch zu einem speziellen Lob aus: »Wenn doch mal irgendwas durchkommt, ist Freddi da.«
Freddi ist Frederik Rönnow und seit dieser Saison Stammtorwart der Berliner. Der Däne hat den Fanliebling Andreas Luthe zwischen den Pfosten schnell vergessen lassen. Mit Leistung: 75 Prozent der Bälle, die auf sein Tor kamen, hat er gehalten und steht damit im Ranking weit vorn. Und Rönnow hat schon viermal zu null gespielt – weil er gegen die Dortmunder Marco Reus und Youssoufa Moukoko in der Schlussphase glänzend reagierte. Die starke Bilanz von insgesamt nur sechs Gegentreffern führt aber auch wieder zur Mannschaft zurück. Denn Rönnows Vorderleute lassen nicht viel durch, mit 26 gehaltenen Torschüssen rangiert er gerade mal auf Platz 13 im Torhüter-Ranking.
Wegen akuter Häufung der Fußball-Feiertage wurde Urs Fischer schon als neuer Hauptmann von Köpenick beschrieben. Kaum ein Trainer kann nach einem Sieg so schön skeptisch schauen wie der Schweizer. Und sogleich verwies er auf das schwere Pokalspiel am Mittwoch bei Zweitligist Heidenheim.
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