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Irans Angst vor dem Sport
Prominente Athleten stützen die Proteste im Land und riskieren damit viel
Elnaz Rekabi trägt eine Mütze unter der schwarzen Kapuze. Sie hat ihre Hände vor dem Körper gefaltet, ihr Gesichtsausdruck wirkt eingefroren. Wie hingestellt, wirkt sie vor einer gemusterten Tapete, umgeben von drei Männern, darunter der iranische Sportminister. Das Foto, das sich am Mittwochabend in den sozialen Medien verbreitet, soll offenbar den Eindruck vermitteln, dass Irans Regime alles im Griff hat. Doch dieser Eindruck täuscht.
Wenige Stunden zuvor wurde die 33-Jährige von jubelnden Menschen in Teheran empfangen. Die Profikletterin hatte die Asienmeisterschaften in Südkorea ohne Kopftuch bestritten – und verstieß damit gegen Vorschriften der Islamischen Republik. Später entschuldigte sie sich dafür, zunächst auf Instagram, dann nach ihrer Rückkehr in einem flüchtigen Interview am Flughafen. Man kann davon ausgehen, dass ihre Aussagen unter Druck der iranischen Sittenwächter zustande kamen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) teilte mit, dass die iranische Sportführung eine Sicherheitsgarantie für Rekabi formuliert habe.
Die Aufmerksamkeit für Elnaz Rekabi, die aus Zandschan im Nordwesten Irans stammt, könnte die Proteste im Iran stärken. Immer noch, mehr als einen Monat nach dem offenbar gewaltsamen Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, demonstrieren Tausende Menschen gegen staatliche Gewalt. In sozialen Medien wird Rekabi nun als mutiges Vorbild gefeiert. Als erste Profikletterin des Landes hatte sie stets allein trainieren müssen, weil ihr der Kontakt zu männlichen Kollegen untersagt war. Unabhängige Bündnisse wie »Athleten Deutschland« nehmen ihren Fall zum Anlass, um vom IOC und dem Fußballweltverband Fifa Sanktionen gegen iranische Sportstrukturen zu fordern. Doch noch halten sich die internationalen Verbände zurück.
Im Iran spielen derweil Sportler mit ihrer großen medialen Reichweite eine beachtliche Rolle bei den Protesten. Aus dem Fußball meldet sich der ehemalige Nationalspieler Ali Karimi, der auch für den FC Bayern gespielt hatte, regelmäßig kritisch zu Wort. Karimi erreicht allein auf Instagram fast 14 Millionen Menschen. Er lebt mit seiner Familie offenbar in Dubai. In Teheran droht ihm Haft, angeblich wurden Teile seines Besitzes beschlagnahmt.
Auch andere ehemalige Nationalspieler haben sich gegen das Regime positioniert. Hossein Mahini wurde deshalb verhaftet. Ali Daei musste nach der Einreise im Iran seinen Pass abgeben. Auch Spieler, die noch aktiv sind, äußerten sich. »Schämt euch alle, wie leichtfertig Menschen ermordet werden. Lang leben die iranischen Frauen«, schrieb Sardar Azmoun von Bayer Leverkusen auf Instagram. Und in anderen Sportarten zogen sich Athleten ganz aus ihren Nationalteams zurück, etwa der Handballer Sajad Esteki oder der Fechter Mojtaba Abedini. Viele ihrer Kollegen in anderen Sportarten trugen Trauerflor.
Diese Protestwelle ist auch im iranischen Sport nicht die erste, aber wohl die heftigste. 2020 war die Schachspielerin Shohreh Bayat als Schiedsrichterin bei der Weltmeisterschaft in Shanghai aktiv. Fotos zeigen sie, wie sie bei ihrem Einsatz das Kopftuch locker trug. In Handynachrichten forderten Funktionäre in Teheran eine öffentliche Entschuldigung von ihr. Bayat mied fortan auch online den Kontakt in die Heimat, um ihre Familie nicht in Gefahr zu bringen. Sie ging weiter ins Risiko und setzte die Weltmeisterschaft ganz ohne Hidschab fort, um ein »Zeichen für Frauen und Menschenrechte« zu setzen. Bayat wusste, dass ihr im Iran nun eine Gefängnisstrafe droht. Sie beantragte Asyl in Großbritannien und arbeitet dort nun für eine Organisation, die Schüler im Schach fördert.
Shohreh Bayat ist in diesen Tagen eine gefragte Interviewpartnerin. Im Deutschlandfunk beschrieb sie das iranische Bildungssystem, das Mädchen und Frauen früh an den Rand drängt. Bereits im Internat wurde Bayat und ihren Mitschülerinnen eingeredet, dass sie mit offenen Haaren in die Hölle kämen. Jahrelang trug sie einen Tschador, ein dunkles Gewand, das bis auf das Gesicht den ganzen Körper bedeckt. Als großes Schachtalent durfte Bayat jedoch früh an internationalen Reisen teilnehmen. Und so wuchs mit den Begegnungen im Ausland auch ihre Neugier für Veränderungen.
Es sind Begegnungen, die das Regime verhindern möchte. Schilderungen von Iranern im Exil lassen erahnen, dass Athleten aus der Islamischen Republik bei internationalen Wettbewerben massiv überwacht werden. Staatliche Vertreter nehmen offenbar die Reisepässe der Athleten an sich, um ihre Flucht zu erschweren. Sie stellen sicher, dass Sportlerinnen die Kleidungsvorschriften befolgen und keinen Kontakt zu ausländischen Medien haben. Überdies erhalten sie Anweisungen, auf Wettkämpfe gegen israelische Sportler zu verzichten. Mehrfach haben führende Politiker und Geistliche Israel das Existenzrecht abgesprochen. Athleten müssen diesem Kurs folgen, zuletzt der Freistilringer Amir Mohammad Yazdani. Als Favorit durfte er im September bei den Weltmeisterschaften in Belgrad nicht gegen den Israeli Josh Finesilver antreten. Die offizielle Begründung: Er hatte Übergewicht.
Für das iranische Regime war der Sport lange ein Sprachrohr, um in die getrennten Milieus der Gesellschaft hineinzuwirken. Auf der einen Seite zeigten sich Religionsgelehrte im Umfeld der traditionellen Sportart Ringen, das kam bei Konservativen gut an. Auf der anderen Seite lobten Politiker erfolgreiche Sportlerinnen, um Liberale nicht weiter gegen sich aufzubringen. 2016 gewann die Taekwondo-Kämpferin Kimia Alisadeh bei den Olympischen Spielen in Rio Bronze, es war die erste Olympiamedaille für eine iranische Sportlerin überhaupt. Der damalige Staatspräsident Hassan Rohani sprach von einem historischen Erfolg.
Kimia Alisadeh ließ diese Vereinnahmung noch eine Weile über sich ergehen, bei der Weltmeisterschaft 2017 gewann sie Silber. Doch im Januar 2020 nutzte sie eine Reise in die Niederlande zur Flucht. Sie warf iranischen Sportfunktionären Sexismus vor und bezeichnete sich als »eine von Millionen unterdrückten Frauen«. Alisadeh zog nach Deutschland und startete bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr in Tokio für das Flüchtlingsteam des IOC.
Die Kletterin Elnaz Rekabi, die Schachspielerin Shohreh Bayat und die Taekwondo-Kämpferin Kimia Alisadeh gelten auch als Ikonen für die große iranische Diaspora. Doch die ist vielfältig und stellt auch an den internationalen Sport unterschiedliche Erwartungen. Viele Exilanten unterstützen die iranische Frauenrechtsinitiative »Open Stadiums«, die den Ausschluss des iranischen Fußball-Nationalteams von der anstehenden Weltmeisterschaft in Katar fordert. Andere wiederum hoffen, dass die iranischen Spieler und deren Fans die große Öffentlichkeit während der WM für weitere Proteste nutzen. Und diese Hoffnung ist durchaus begründet.
In der jüngeren Geschichte bot die Nationalmannschaft immer wieder eine Plattform für Reformer. 1997 trieb die Freude über ihre Qualifikation zur WM ein Jahr später Hunderttausende Iraner auf die Straßen, wenige Monate nach der Wahl des moderaten Staatspräsidenten Mohammad Chatami. 2009 sicherte sich Hardliner Mahmud Ahmadinedschad nach einer mutmaßlich manipulierten Wahl eine zweite Amtszeit als Präsident. Bei den folgenden Protesten kamen Dutzende Menschen ums Leben. Tage später bei ihrem WM-Qualifikationsspiel in Südkorea trugen einige iranische Spieler grüne Armbänder – aus Solidarität mit den Demonstranten.
Ereignisse wie diese führten dazu, dass Kommandeure der Revolutionsgarden, die das Regime auch in Sportvorständen platziert hatte, ihre Kontrollen verschärften. Wenn der Irak aufgrund der Sicherheitslage in Bagdad seine Heimspiele in Teheran bestritt, durften auch irakische Frauen ins Stadion. Doch für Spiele iranischer Mannschaften wurde Iranerinnen der Zutritt verwehrt. Erst seit Kurzem durfte eine begrenzte Zahl von ihnen ins Stadion, allerdings nur in Teheran. Aktuell müssen alle Zuschauer draußen bleiben. Wie so oft fürchtet das Regime die Mobilisierungskraft des Fußballs.
Es ist davon auszugehen, dass die Sicherheitsorgane das Verhalten iranischer Touristen auch in Katar genau prüfen werden. Der WM-Gastgeber teilt sich eines der größten bekannten Erdgasfelder mit Iran, durch diese Partnerschaft fühlt sich vor allem Saudi-Arabien provoziert. Bei dem Turnier könnten sich Zehntausende Menschen aus allen drei Staaten im kleinen Doha treffen – und Fifa-Präsident Gianni Infantino hätte sich erneut als Friedensstifter präsentieren können. Doch nun dürften die Proteste im Iran die Weltmeisterschaft überschatten. Substanzielle Aussagen von Infantino wurden noch nicht überliefert.
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