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Klimaneutral fliegen – geht das?
Die Luftfahrt ist einer der Treiber des Klimawandels. Die Forschung sucht nach Alternativen, vor allem synthetische Kraftstoffe stehen hoch im Kurs
Ungewohnt wenige Flugzeuge zogen während der ersten zwei Jahre der Covid-19-Pandemie über den Himmel, und bis heute hat sich der Luftverkehr noch nicht vollständig erholt. Expert*innen gehen aber davon aus, dass das bis 2025 der Fall sein wird und der internationale Luftverkehr mit steigendem Wohlstand von Teilen der Weltbevölkerung noch zunehmen wird.
Laut einer internationalen Studie unter Leitung des Professors für Atmosphärenwissenschaften an der Manchester Metropolitan University, David Lee, aus dem Jahr 2020 stiegen die CO2-Emissionen des Luftfahrtsektors von 1960 bis 2018 um den Faktor 6,8 auf etwa 1,04 Gigatonnen pro Jahr. Hinzu kommen klimawirksame Nicht-CO2-Effekte wie vor allem die Bildung langlebiger Kondensstreifen. 2011 trug die Luftfahrt damit schätzungsweise mit rund 3,5 Prozent zum menschengemachten Klimawandel bei. Auch die Internationale Organisation der Zivilen Luftfahrt (ICAO) ist sich des Problems bewusst. Auf ihrer 41. Generalversammlung in Montreal Anfang des Monats beschloss sie mit nur vier Gegenstimmen, den internationalen Luftverkehr bis 2050 CO2-neutral zu gestalten.
Seit Jahren tüfteln die Wissenschaftler*innen an Lösungen dafür. »Die einfachste Methode, um den Beitrag der Luftfahrt zum Klimawandel zu reduzieren, ist, weniger zu fliegen«, stellt der Atmosphärenphysiker am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Robert Sausen fest. Auf kurzen und mittleren Strecken bietet die Bahn – wenn sie denn ein bisschen zuverlässiger wäre – eine gute Alternative zu Inlandflügen. Videokonferenzen, wie sie sich im Zuge der Pandemie stärker etabliert haben, tragen ihrerseits dazu bei, Flüge überflüssig zu machen.
Alternative Treibstoffe
Doch trotz Flugscham und dem Versuch der EU, mittels einer Einbeziehung des europäischen Luftverkehrs in den Emissionshandel eine Kerosinsteuer durch die Hintertür einzuführen, gibt es fast niemanden, der ernsthaft bezweifelt, dass viele Menschen, namentlich im Globalen Norden, auch in Zukunft in den Urlaub fliegen oder mit dem Flugzeug reisen. Auch eilige oder leicht verderbliche Waren werden wohl weiter auf diese Weise transportiert.
Geforscht wird seitens der Naturwissenschaft insbesondere daran, klimaneutrales Kerosin zu entwickeln. Die Grundbausteine der Kraftstoffe sind Kohlenstoff und Wasserstoff. Die kommen auch in Kohlendioxid und Wasser vor. Man könnte also auch aus diesen Ausgangsstoffen höhere Kohlenwasserstoffe erzeugen. »Allerdings sind das Prozesse, bei denen Energie von außen dazugeführt werden muss«, erläutert Sausen. Das Wasser zu bekommen, sei relativ leicht, nicht so das CO2, da es sich dabei um ein Spurengas handelt. »Heute scheidet man CO2 meistens da ab, wo es in großen Konzentrationen auftritt, zum Beispiel bei konventionellen Kraftwerken«, erklärt er. »Aber das geht mit einem Wirkungsgradverlust des Kraftwerkes einher.«
Für Power-to Liquid (PtL), die Transformation von Strom in flüssige Kraftstoffe, existiert zwar schon eine größere Zahl an Anlagen, aber diese produzieren noch nicht in großem, industriellem Stil, um die erforderlichen Mengen zur Verfügung zu stellen. Der Weg hin bis zu einer wettbewerbsfähigen Massenproduktion zu einem akzeptablem Preis ist noch weit.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung könnte ein neues Herstellungsverfahren sein, das niederländische, deutsche, belgische und norwegische Wissenschaftler*innen in den letzten viereinhalb Jahren im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprojektes KEROGREEN entwickelt haben. Es basiert auf einer innovativen Plasmatechnologie: »Wir schicken in einen relativ kleinen Raum eine hohe Energiemenge in einen Gasstrom aus CO2, um das CO2-Molekül in Kohlenmonoxid und Sauerstoff zu zerlegen«, erklärt Peter Pfeifer vom Institut für Mikroverfahrenstechnik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und einer der Sprecher des Projektes. Daraus werden in weiteren Schritten schließlich Kohlenwasserstoffe hergestellt, die zu Kerosin veredelt werden – oder aber direkt als Energiespeicher gelagert werden könnten.
Interessant ist dabei, dass man anders als bei den Verfahren, die auf der Elektrolyse von Wasser basieren, nicht auf Edelmetalle angewiesen ist. So werden vor allem bei der Elektrolyse auf der Basis des »Proton Exchange Membrane« (PEM) Prinzips Platin und Iridium benötigt, was den Preis nach oben treibt und die Frage nach deren Verfügbarkeit stellt: »Wenn wir unseren aktuellen Kraftstoffverbrauch durch synthetische Kraftstoffe ersetzen wollen, ist für die benötigte Anzahl der Elektrolyseeinheiten ein Recycling oberstes Gebot«, mahnt der KIT-Wissenschaftler.
Derzeit weise das neuentwickelte Verfahren allerdings noch eine geringere Energieeffizienz auf als die Elektrolyse. In einem nächsten Schritt gelte es damit, die Energieeffizienz zu erhöhen, um mit dem aktuell diskutierten Verfahren der synthetischen Kraftstoffherstellung in Wettbewerb treten zu können. Erst dann mache es Sinn, die Anlagen zu vergrößern und zu bauen. Dabei halten die Forscher*innen sowohl Anlagen im Gigawattbereich für möglich wie auch kleinere, dezentrale Produktionsstätten im Containerformat da, wo Wind- oder Sonnenenergie anfällt.
Bis das untersuchte Verfahren soweit ist, können nach Einschätzung Pfeifers noch gut zehn Jahre vergehen. Bis dahin könnte auch die Flugzeugflotte an reinen synthetischen Kraftstoff angepasst sein. Bislang sind nur Mischungen mit maximal 50 Prozent synthetischem Kerosin erlaubt – unter anderem deshalb, weil fossiles Kerosin, anders als das synthetische, Aromate enthält, die die Eigenschaften des Dichtmaterials in den aktuell verbauten Turbinen aufrechterhalten. Derzeit liegt die Beimischquote noch unter einem Prozent und ist damit noch weit davon entfernt, die fossilen Kraftstoffe vollständig zu ersetzen.
E-Flieger sind keine Option
Drängt sich im Straßenverkehr zunehmend die E-Mobilität auf den Plan, ist das in der Luftfahrt schwieriger. Derzeit funktioniert sie nur im kleinen Maßstab, also bei Flugzeugen mit nur wenigen Passagieren und geringer Reichweite. Ein wesentliches Problem stellt dabei das Batteriegewicht dar.
Auch bei der Wasserstofftechnologie steht die Luftfahrt noch am Anfang. »Es wird sicherlich noch mindestens zehn Jahre dauern, bis wasserstoffbetriebene Maschinen in nennenswerter Zahl im Einsatz sind«, schätzt DLR-Forscher Sausen. Im Bereich der Aerodynamik hält er die Spielräume für eine Effizienzsteigerung für weitgehend ausgereizt. »Wenn wir es schaffen, damit die Auswirkungen der Luftfahrt auf das Erdklima um zehn bis 15 Prozent zu senken, dann ist das schon ein gewaltiger Fortschritt«, meint er.
Großes Potenzial besteht dagegen noch bei der Verringerung der Nicht-CO2-Effekte. Diese machen, laut der bereits erwähnten Studie von Lee und Kolleg*innen, bis zu zwei Drittel der Klimawirkung der Luftfahrt aus. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Kondensstreifen-Zirren – Eiswolken, die aber auch auf natürlichem Wege entstehen können – und Stickstoffemissionen. Wasserdampfemissionen in der Stratosphäre und die direkten und indirekten Aerosoleffekte – wie etwa von Ruß – spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.
»Kondensstreifen entstehen dadurch, dass die Flugzeuge Wasserdampf in eine hinreichend kalte Atmosphäre emittieren. Der Wasserdampf kondensiert (verflüssigt sich) da, weil wir dort aufgrund der Flugzeugemissionen eine hohe Wasserdampf-Übersättigung haben«, fasst Sausen zusammen. Indem sie sich mit der Atmosphärenluft vermischt, verdünnt sich die Abgasfahne. In den meisten Fällen gehen die im Kondensstreifen entstandenen Eiskristalle direkt vom festen in den gasförmigen Zustand über. So lösen sich die meisten Kondensstreifen, wenn sie denn überhaupt entstehen, sehr schnell wieder auf. »Nur wenn neben niedrigen Temperaturen die Atmosphäre auch noch hinreichend feucht ist, können sie länger leben, unter Nutzung des Wassers in der Atmosphäre wachsen und in nennenswertem Umfang klimawirksam werden«, erklärt der Wissenschaftler. Sie können dann in Höhen von acht bis 12 Kilometern mehrere Stunden bestehen und wirken unter dem Strich erderwärmend.
Die sogenannten eisübersättigten Regionen, in denen diese Bedingungen herrschen, sind ungleichmäßig verteilt und lokal sehr stark begrenzt. »Ein Demonstrations-Experiment mit dem realen Luftverkehr, das wir (das DLR und das Maastricht Upper Area Control Centre – MUAC – der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, EUROCONTROL – d. Red.) im Jahr 2021 machten, zeigte, dass es prinzipiell möglich ist, diese Gebiete so gut vorauszusagen, dass wir diese langlebigen Kondensstreifen vermeiden können, und dass es sich lohnt, dieses Konzept weiter zu verfolgen«, berichtet Sausen.
Innerhalb der ersten zehn Monate des Jahres führte das Forscher*innenteam nach 18 Uhr Ortszeit und nachts, wenn die wärmende Wirkung der Kondensstreifen und die daraus resultierenden Zirruswolken besonders stark sind, auf insgesamt 209 Flugbahnen Probeläufe durch. Eine Gruppe von Planer*innen des MUAC und DLR interpretierte die Wettervorhersage hinsichtlich eisübersättigter Regionen und Wolken und gab den Fluglotsen Anweisungen, diese Gebiete in einem vertikalen Abstand von bis zu 600 Metern zu über- oder zu unterfliegen. Dabei wurden die dem Umweg geschuldeten CO2-Emissionen überkompensiert. »Wenn wir auch noch neue grüne Treibstoffe oder Wasserstoff statt fossilem Kraftstoff einsetzen, können wir den Klimabeitrag der Luftfahrt noch stärker senken«, so Sausen.
Dennoch bleibt ein umfassenderes Umdenken in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unvermeidlich. So warnen auch der Klimaökonom Steffen Kallbekken vom CICERO Center for International Climate Research in Oslo und David G. Victor von der University of California, San Diego, Ende September in einem Artikel im Wissenschaftsjournal »Nature« vor einem zu engen Blick: Die Vorbereitungen auf die jüngste Generalversammlung der ICAO hätten gezeigt, dass der Fokus mit alternativen Treibstoffen und ausgleichenden Maßnahmen weiter auf solchen Ideen läge, die das Geschäft der Luftfahrtbranche möglichst wenig stören.
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