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Veraltetes Berufsbild
Forscher: Fachkräftemangel bei der Polizei hat hausgemachte Gründe
Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat Nachwuchssorgen. Das bevölkerungsreichste Bundesland hat große Probleme, in diesem Jahr geeignete Bewerber für die Polizei zu finden. Das war vor fünf Jahren ganz anders. Von 2600 geeigneten Bewerbern konnte die Polizei damals komfortabel die besten 2300 auswählen, wobei der Einstellungsjahrgang gegenwärtig um 700 Stellen größer ist. Heute hingegen nehme die Polizei alle geeigneten Bewerber und selbst das reiche derzeit nicht, heißt es von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW.
Sie spricht von einem »Warnsignal« und davon, dass die »Polizei konkurrenzfähig bleiben muss«. Generell sei der Fachkräftemangel im gesamten öffentlichen Dienst – vor allem bei der Polizei – gravierend, mahnt ein GdP-Sprecher und bezieht sich auf eine von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC im Juni veröffentlichte Studie mit dem Titel »Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst«. Darin heißt es laut dem Sprecher: »Der Staat läuft Gefahr, künftig seine Kernaufgaben nicht mehr wahrnehmen zu können.«
Die Ursachen für den Mangel an qualifizierten Kommissarsanwärtern sind nach Angaben der Gewerkschaft mannigfaltig. Vor allem liege es an den unattraktiven Rahmenbedingungen und fehlenden Aufstiegschancen. »Der Polizeiberuf ist attraktiv, aber dass wir in NRW in diesem Jahr zum ersten Mal nicht genug geeignete Bewerber für die Polizei gewonnen haben, ist mehr als ein Warnsignal«, erklärt der GdP-Landesvorsitzende gegenüber »nd.DerTag«.
Unter diesen Rahmenbedingungen – lange Wochenarbeitszeit, Schichtdienst, zu geringe Bezahlung, kaum Aufstiegschancen und zu lange Bewerbungsprozesse – gelinge es nicht, genügend junge Menschen mit Abitur, Fachhochschulreife oder abgeschlossener Berufsausbildung für eine Ausbildung bei der Polizei zu begeistern, die ein Bachelor-Studium an einer der Verwaltungshochschulen für den öffentlichen Dienst in NRW vorsieht. Es bestehe Nachholbedarf bei den Aufstiegschancen.
Dagegen meint Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Polizeiakademie Hamburg: »Die Probleme sind in erster Linie selbst gemacht.« So fordere die Gewerkschaft seit vielen Jahrzehnten immer das Gleiche: bessere Bezahlung, generell mehr Geld und bessere Dienstposten sowie Entlastung, etwa eine Abkehr von der 41 Stundenwoche für Polizeibeamte. Dabei übersehe sie gerne die Probleme vor der eigenen Haustür.
Während diese Forderungen jetzt auch wieder von der GdP an die Adresse der rot-grünen Landesregierung gestellt werden, die die »Einstellungsermächtigungen« bei der Polizei bereits im Nachtragshaushalt 2022 um 400 auf erstmals 3000 jährlich erhöht hat, sind für Behr vor allem zwei Aspekte für den generellen Fachkräftemangel bei der Polizei entscheidend. Denn nicht nur NRW, sondern auch andere Bundesländer wie Baden-Württemberg suchen geeigneten Nachwuchs.
Die traditionellen Vorstellungen von Qualität bei dem »strukturkonservativen Verein« spielten dabei eine zentrale Rolle. »Die Ausbildung orientiert sich an einem völlig tradierten Berufsbild.« Die sogenannte Generalverwendung für Polizisten, wie Behr es nennt, sei überholt. »Alle Kommissarsanwärter müssen alle Bereiche der Ausbildung durchlaufen und alles können. Sie müssen die Qualifikation haben, nachher in allen Bereichen bei der Polizei eingesetzt zu werden. Zugleich müssen sie noch kerngesund und sportlich sein.« Das schränke ein bei der Nachwuchsgewinnung. Wieso muss etwa ein IT-Spezialist, der später in der Abteilung für Cyberkriminalität arbeitet, in der Lage sein, schnell Verbrechern nachzujagen?
Dabei gibt es Bemühungen seitens der Polizei, die Standards bei der Einstellung nicht mehr ganz so strikt auszulegen. So ist die Mindestkörpergröße für die Einstellung in NRW, die bei 1,63 Meter liegt, bereits marginal aufgeweicht worden. »Der Kandidat kann geringfügig kleiner als 1,63 Meter sein, muss aber nachweisen, dass er fit ist und Konflikte körperlich bewältigen kann«, heißt es von der GdP. Die Eignung kann durch einen zusätzlichen Sporttest bescheinigt werden.
Auch bleibe die Tür für Migranten bei der Polizei oftmals verschlossen, da viele am »Deutschtest scheiterten«, kritisiert Behr. Obwohl die Polizei, auch in NRW, schon bunter geworden ist – besonders im Ruhrgebiet, wo traditionell viele Einwanderer leben, die teils auch den Weg zur Polizei finden.
Laut einem Medienbericht regte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) eine Debatte über »zu starre« Standards bei der Einstellung an und kündigte eine bessere Einzelfallbetrachtung an. Auch die Abbrecherquote soll zuletzt bei gut 20 Prozent gelegen haben. Für Minister Reul viel zu hoch.
Der Polizeiberuf sei längst »kein alternativloser Lebensberuf mehr«, sagt Polizeiwissenschaftler Behr. Auch hier gelte mittlerweile bei den jungen Menschen: »Schaue ich mal, ob ich mich hier verwirklichen kann, Spaß habe und Wertschätzung erfahre. Wenn nicht, suche ich mir eine Alternative.« Und Wertschätzung sei ein knappes Gut bei der Polizei. Die Einheitslaufbahn, auf der man sich von unten hocharbeite, gehorchen müsse und die wenig flexibel für Quereinsteiger sei, gepaart mit einem fehlenden Personalentwicklungskonzept, gefalle nicht (mehr) allen. In Zeiten des flächendeckenden Fachkräftemangels wachse auch für die Polizei der Konkurrenzdruck im Kampf um die fähigsten Schulabsolventen.
Ob nicht auch die zahlreichen negativen Schlagzeilen – man denke an die rechtsextremen Chatgruppen und mutmaßliches Racial Profiling – der vergangenen Jahre über die NRW-Polizei dazu geführt haben könnten, dass die besten Kandidaten unter den Bewerbern von einer Bewerbung bei der Polizei absehen? »Das ist empirisch nicht erfassbar«, sagt Behr. Diejenigen, die sich für die Polizei interessierten, kämen vor allem aus dem »wertkonservativen mittelschichtigen Milieu«, an denen »die Berichterstattung abprallt und kein Motiv ist, nicht zur Polizei zu gehen.«
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