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Balanceakt am rechten Rand

Frankreichs Nationalisten hoffen auf die Macht. Die eigene Geschichte soll dem nicht im Weg stehen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Das 50-jährige Jubiläum der rechtsextremen Partei Front National (FN), das gegenwärtig begangen wird, ist für ihre Nachfolgerin, die Bewegung Rassemblement National, ein politischer Balanceakt. Einerseits kann und will sie nicht verleugnen, woher sie kommt, andererseits muss sie zu dieser Vergangenheit Abstand gewinnen, um ihr Schmuddel-Image abzustreifen. Das reicht zurück bis in die Anfangsjahre der Front National. Damals diente die Partei als Sammelbecken für Alt-Nazis und Kollaborateure des Vichy-Regimes, für Neonazis und ehemalige Militärputschisten, die Jahre zuvor den Verlust des »französischen Algerien« aufzuhalten versucht hatten und General de Gaulle immer noch seine »Verzichtspolitik« nachtrugen.

Nur wenn RN diese Seiten der Geschichte definitiv umblättere, so ist man heute mehr und mehr überzeugt, könne die Bewegung die nötige Seriosität gewinnen und sich Chancen ausrechnen, einmal an der Macht beteiligt zu werden oder sogar Regierungsverantwortung zu übernehmen. Schwesterparteien und -bewegungen in anderen Ländern Europas haben es vorgemacht.

Dieses Bemühen um eine »Entdiabolisierung« ist nicht neu. Marine Le Pen, die 2011 die Führung der Partei vom Mitbegründer Jean-Marie Le Pen übernommen hat, musste ihren Vater vier Jahre später ausschließen, weil er es nicht lassen konnte, mit geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Ausfällen genüsslich für empörtes Aufsehen zu sorgen. 2018 wurde ein weiterer Schnitt vollzogen, indem die Partei Front National in die Bewegung Rassemblement National umbenannt wurde. Statt Konfrontation nun Sammlung von Kräften, sollte das bedeuten. Nachdem es Marine Le Pen bei ihrer vierten Präsidentschaftskandidatur 2022 zwar wieder nicht ins Elysée schaffte, aber die Zahl der für sie abgegebenen Stimmen weiter steigern konnte, brachte die sich anschließende Parlamentswahl für die Bewegung einen Sprung nach vorn. Von 8 Sitzen in der Nationalversammlung steigerte sie sich auf 89.

Noch in diesem Monat werden die RN-Mitglieder per Internetabstimmung über die Nachfolge von Marine Le Pen an der Spitze der Bewegung entscheiden. Dabei wird sich zeigen, ob künftig eher die Jungen, die nichts mehr mit der »Altlast« Jean-Marie Le Pen zu tun haben wollen, den Ton angeben. Es kandidieren der 27-jährige smarte Senkrechtaufsteiger und amtierende Vorsitzende Jordan Bardella und der 53-jährige Bürgermeister von Perpignan, Louis Aliot.

Marine Le Pen will sich künftig ganz auf den Vorsitz der Parlamentsfraktion konzentrieren. Da RN die größte Oppositionsformation in der Nationalversammlung ist, versteht sie sich als Oppositionsführerin. In dieser Rolle wetteifert sie mit Jean-Luc Mélenchon, dessen Bewegung La France insoumise zwar mit ihren 75 Sitzen zahlenmäßig unterlegen ist, aber die treibende Kraft des linken Parteienbündnisses Nupes darstellt. Während Mélenchon nach eigenen Worten im Parlament für »Aufruhr und Chaos« sorgen will, lässt es Le Pen nicht an Gesten der Kooperationsbereitschaft fehlen. Wo ihr linker Gegenspieler die Konfrontation sucht, setzt sie sich demonstrativ für politischen Dialog und für Recht und Ordnung ein.

Da RN das Parteigründungsjubiläum nicht ganz übergehen konnte, hielt die Parlamentsfraktion vor zwei Wochen ein Kolloquium ab, dessen Titel »Von der Hoffnung zur Macht« für sich spricht. Dabei wurde nachzuweisen versucht, dass die Front National immer eine den Werten der Republik verpflichtete Partei war und dass sie mit ihren Verweisen auf akute Probleme – allen voran illegale Einwanderung, Kriminalität und Unsicherheit – die politische Debatte bereichert hat. Dabei brachten die Redner das Kunststück fertig, den abwesenden Jean-Marie Le Pen, der über Jahrzehnte die Partei repräsentierte, fast gänzlich unerwähnt zu lassen. Marine Le Pen zog in ihrer Rede eine Schlussfolgerung, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander versöhnt: »Die Front National hat die Probleme aufgezeigt, das Rassemblement National weist den Weg zu ihrer Lösung.«

Jean-Marie Le Pen hat den 50. Gründungstag der Front National am vergangenen Samstag mit einer Feier in seiner Villa im Pariser Vorort Saint-Cloud begangen, zu der er 50 Weggefährten einlud. Ob dazu seine Tochter und Nachfolgerin Marine Le Pen gehörte, wurde nicht bekannt.

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