• Berlin
  • Rassismus in der Medizin

Ärztliche Ungleich-Behandlung

Betroffene von Rassismus fordern unabhängige Beschwerdestelle für Berlin

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es ist anstrengend und es kann wehtun«, sagt Sara Arewa. Die junge Berliner Allgemeinmedizinerin ist Mitglied der Fraktion Gesundheit der Berliner Ärztekammer. Arewa spricht bei einer Debatte, zu der die Gruppe eingeladen hat, über eine Aufgabe, deren anstrengende Wirkung sie nicht zufällig mit einem ordentlichen Muskelkater vergleicht: sich als Ärzt*in mit der Tatsache auseinandersetzen zu müssen, dass es auch in diesem Berufsfeld tagtäglich Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gibt.

Bei der Diskussion, die von Saraya Gomis, Staatssekretärin für Vielfalt und Antidiskriminierung, moderiert wird, kommen neben Alewa zahlreiche Vertreter*innen von Gruppen zu Wort, die sich im Gesundheitswesen häufig weder repräsentiert noch angemessen versorgt sehen. »Diskriminierung findet in allen Lebensbereichen und somit auch im Bereich Gesundheit statt«, sagt auch Gomis.

Die Gründe sind neben struktureller Diskriminierung von schwarzen Menschen, Migrant*innen sowie trans oder nichtbinären Menschen, die sich nicht ausschließlich ein Geschlecht zuschreiben lassen wollen, auch darin zu suchen, dass Medizin ein Berufsfeld ist, zu dem nicht alle Menschen gleichberechtigt Zugang haben. Diese Tatsache spiegelt sich dann auch im Verhältnis zwischen Ärzt*in und Patient*in wider.

Obwohl die Gesundheitsversorgung denjenigen Menschen, die als Patient*in in eine Praxis oder ein Krankenhaus kommen, Sicherheit und ein Gefühl des Aufgehobenseins vermitteln soll, sind die Erfahrungen vieler ganz anders. So erlebten laut einer der wenigen zu dem Thema verfassten Studie 70 Prozent nichtbinärer und trans Menschen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt Gewalt in medizinischen Einrichtungen, erklärt Melina Ulique, Ärztin und Gynäkologin in Weiterbildung. Bei einer Umfrage in Großbritannien unter 3500 schwarzen Frauen, die schwanger waren und Kinder im Krankenhaus zur Welt brachten, berichteten 42 Prozent von Rassismus im Zusammenhang mit ihrer Behandlung.

Mit fatalen Folgen: Viele Menschen verzichten in Anbetracht solcher Erfahrungen auf ärztliche Versorgung. Vor dem Hintergrund des ärztlichen Berufsethos ist das eine Entwicklung, die es unbedingt zu verhindern gilt. Auch deshalb steht die Diskussion unter dem Titel »Professionalität und Alltagsrassismus – wie passt das zusammen?«. Arewa gibt direkt die Antwort darauf: »Gar nicht. Das ist ein Widerspruch in sich.« Dies betreffe natürlich nicht nur, aber ganz besonders die Medizin.

Für das Jahr 2021 hat die Antidiskriminierungsstelle des Landes Berlin 5000 gemeldete Fälle angegeben. »5000 zuviel«, findet Arewa. Dazu komme eine weitaus höhere Dunkelziffer. Arewa und die Fraktion Gesundheit der Ärztekammer wollen eine unabhängige Melde- und Beschwerdestelle auch für das Gesundheitswesen in der Hauptstadt. Dies sei bei einer »so sensiblen Interaktion« unerlässlich, erklärt die Ärztin. »Und glauben Sie mir, auch wenn es immer um Minderheiten geht, wir sprechen hier nicht von wenigen Menschen: 25 000 Geflüchtete allein in Gemeinschaftsunterkünften, 300 000 Menschen in Berlin mit einem Behinderungsgrad von mindestens zehn Pozent und etwa ebensoviele LGBTIQ.« Jeder einzelne Mensch dieser scheinbar Wenigen, die eigentlich ganz viele seien, verdiene »eine sehr gute, professionelle Behandlung«.

Das Ziel, eine Stelle zum Thema Diskriminierung im Gesundheitswesen einzurichten, wird auch von Saraya Gomis unterstützt. »Hierfür müssen wir zunächst Betroffenen und Expert*innen zuhören und Wissen sammeln, um eine adäquate Anlaufstelle ausschreiben zu können«, so die Staatssekretärin.

Wie Gomis spricht sich auch Melina Ulique für professionelle Standards aus, die im Zweifel verpflichtend geprüft werden. Sie müssten zugleich Eingang in medizinische Curricula finden. Es könne nicht sein, dass es Patient*innen obliege, im Rahmen ihrer medizinischen Behandlung »Bildungsarbeit zu leisten«, betont die feministische Medizinerin.

»Es ist anstrengend und es kann wehtun«, sagt Sara Arewa. »Ich muss mich täglich als Ärztin hinterfragen.« Aber dieser »Muskelkater« ließe sich auch als gutes Zeichen werten, denn am Ende sei es wie beim Sport: »Wenn nach der fünften Runde die Waden brennen, ist die Trainerin zufrieden und sagt: ›Jetzt geht es erst richtig los!‹«

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