Das Gesetz der Straße

Die Straßenverkehrsordnung macht es den Behörden nicht leicht

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

War das schon der Wahlkampf oder schlichtweg Unkenntnis? Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin am Dienstag die Sperrung der Friedrichstraße für rechtswidrig erklärte, hatte Franziska Giffey (SPD) Oberwasser. Es sei nun deutlich geworden, »dass das so nicht mehr weitergeht«. »Es ist ein Urteil gefallen und ich erwarte, dass dieses Urteil zügig durchgesetzt wird«, lautete der Appell der Regierenden Bürgermeisterin an Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne). Jarasch wiederum sagte dann in der »Abendschau« des RBB-Fernsehens: »Ich bin mir nicht sicher, ob Franziska Giffey genau verstanden hat, worum’s bei diesem Urteil ging.«

Das Gericht hatte nämlich nicht über den Verkehrsversuch entschieden, mit dem die Friedrichstraße von Mitte 2020 bis Ende Oktober 2021 autofrei wurde. Auch eine zukünftige Teileinziehung der Straße, mit der die Nutzung der Straße auf bestimmte Fortbewegungsarten beschränkt werden kann und die die Mobilitätsverwaltung beim Bezirksamt Mitte beantragt hat, wurde mit dem Urteil nicht beerdigt. Das Verwaltungsgericht bezog sich auf eine verkehrsrechtliche Anordnung, die seit fast einem Jahr bis zu einer möglichen Teileinziehung den Abschnitt der Straße in der Zwischenzeit weiter für Autos sperrt.

Das Problem ist aber, dass die Straßenverkehrsordnung (StVO) so etwas nur erlaubt, wenn eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs besteht und die Einschränkungen darüber hinaus »zwingend geboten« sind. Allein aufgrund »verkehrsordnungspolitischer Konzeptionen« wie die einer »Flaniermeile« ist es nicht möglich, Autos mithilfe der StVO auszusperren. Die StVO verlangt, dass Verkehrssicherheit mit Blut erkauft wird», sagt Inge Lechner von der aus dem Fahrradvolksentscheid hervorgegangenen Initiative Changing Cities. Es sei kaum zu glauben, dass noch immer Behörden den öffentlichen Raum erst dann den Menschen ohne Benutzung von Autos zur Verfügung stellen dürfen, «wenn zuvor jemand verletzt oder gar getötet wurde».

Die StVO regelt aber lediglich das «Wie» der Straßennutzung, schrieb 2020 schon die damalige Richterin am Verwaltungsgericht Berlin und heutige Verkehrsstadträtin von Mitte, Almut Neumann (Grüne), in einem Beitrag für das Online-Rechtsmagazin «lto». «Es ist jedoch nur die eine Seite der Medaille, wenn es um die rechtlichen Fragen des Verkehrs auf Straßen geht. Denn die andere Seite der Medaille – das »Ob« dieser Nutzung – wird vom Straßenrecht geregelt», so Neumann.

Über dieses wiederum ist es auch ohne das Vorliegen einer konkreten Gefahr möglich, die Benutzung von Straßen aus «überwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls» auf bestimmte Fortbewegungsarten zu beschränken. Über die straßenrechtliche Umwidmung gäbe es deshalb «die große Chance, die Verkehrswende unabhängig von der restriktiven StVO aktiv und zudem rechtssicher zu gestalten und den öffentlichen Raum so neu aufzuteilen», zeigte sich Neumann schon damals überzeugt.

Darauf zielt das aktuell noch laufende Teileinziehungsverfahren ab, das die Friedrichstraße dann dauerhaft zur Flaniermeile machen soll. Die Widmung als öffentliche Straße, frei für die Benutzung durch Autos, soll damit geändert werden. Anders als von der Regierenden Bürgermeisterin gefordert, könnte es gut sein, dass die Friedrichstraße bis dahin auch weiter gesperrt bleibt für den Autoverkehr, falls die Senatsverwaltung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegt und das Urteil nicht rechtskräftig wird. Eine Beschwerde wird aktuell geprüft, hieß es aus dem Haus von Senatorin Jarasch, die wiederum in der «Abendschau» klarmachte: «Für die Verkehrswende bin ich in diesem Senat zuständig.»

Die Verkehrspolitiker der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Kristian Ronneburg und Niklas Schenker wiederum fordern die Senatsmitglieder auf, «konstruktiv an einer
ressortübergreifenden Lösung» zu arbeiten. «Ein Zurück zum Autoverkehr in der
Friedrichstraße ist keine Option und wird keines der strukturellen Probleme lösen», teilen sie am Mittwoch mit. Gleichzeitig betonen sie, dass der Verkehrsversuch und das Agieren der Verwaltung «nicht frei von Fehlern waren». «Zudem muss die Verlagerung des Verkehrs immer
mitbetrachtet werden», so die Linke-Politiker.

Vor dem Verwaltungsgericht hatte eine Gewerbetreibende aus der parallel verlaufenden Charlottenstraße geklagt. In der Charlottenstraße kommt es durch die Durchfahrtssperre in der Friedrichstraße zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen. Mittlerweile ist deshalb angedacht, die Charlottenstraße zu einer Fahrradstraße zu machen und die Friedrichstraße dann auch für den Radverkehr zu sperren.

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