Twittere es tot!

Durch seine neue Geschäftspraxis könnte Elon Musk Twitter zugrunde richten, warnt Julia Schramm.

  • Julia Schramm
  • Lesedauer: 4 Min.

Elon Musk hat es getan. Er hat den Kurznachrichtendienst Twitter für 44 Milliarden Euro gekauft. Als Mann der Tat liegen auch jetzt schon Vorschläge von ihm vor, wie das Unternehmen, das zuletzt rote Zahlen schrieb, auf Erfolgsspur geraten soll: Alle permanenten Sperrungen von der Plattform sollen zunächst aufgehoben und in Zukunft von einer Art Rat beschlossen werden. Das System, das Twitter sukzessive etablierte, um Hass und Hetze einzudämmen, soll evaluiert und vor allem: verändert werden. Zugunsten der Meinungsfreiheit, wie Musk betont. Außerdem sollen die blauen Haken, bisher eine Auszeichnung für Relevanz außerhalb Twitters, käuflich zu erwerben sein.

Nun ist diese Übernahme aus vielerlei Gründen interessant. Aber Musk hat sich damit selbst ein milliardenschweres Ei gelegt. Oder wie es bei The Verge heißt: Welcome to Hell, Elon. Denn Twitter lebt von denen, die es nutzen. Und vielen von denen hat Musk schon vor längerer Zeit den Krieg erklärt.

Julia Schramm

ist Autorin und Vorstandsreferentin in der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.

Lesen Sie auch: Ein freies Vögelchen namens Twitter – Robert D. Meyer zum Twitter-Kauf durch Elon Musk

Aber von vorne: Twitter besteht seit 2006. Ein soziales Netzwerk, das seinen Durchbruch in Deutschland mit dem Aufstieg und Scheitern der Piratenpartei hatte. Die Plattform etablierte sich schnell als digitales Zentrum für gesellschaftliche Meinungsführer*innen und solche, die es gerne sein wollten. Gemeinsam haben sie alle eins: Sie leben auf der Plattform und das zum Teil seit über einem Jahrzehnt. Das zeigen all die Tweets, die sich trotz Musk zu Twitter bekennen.

Tatsächlich hat Twitter eine enorme Anziehungskraft. Die Plattform lebt davon, dass sich Berühmtheiten und Meinungsführer*innen mit normalen User*innen auseinandersetzen. Sie lebt davon, dass Politiker*innen und Journalist*innen sich unmittelbar kritischer Auseinandersetzung stellen müssen. Dabei werden aktuelle Themen in allen Facetten beleuchtet und seziert. Die blauen Haken sind in diesem Universum essentiell, denn sie zeigen zum einen an, wer außerhalb von Twitter als Bekanntheit gehandelt wird, aber sie strukturieren auch den Diskurs. Ein »Blauhaken« hat Autorität. Diese lässt sich anführen oder angreifen. Dadurch setzt Twitter seit einem Jahrzehnt öffentliche Narrative: Für jede Äußerung (einer Autorität) wird sich auf Twitter jemand finden, der widerspricht. Viele Artikel wurden alleine durch die Wiedergabe von Diskussion auf Twitter geschrieben.

Über Twitter hinaus relevante Autoritäten erfahren so einen ungekannten Gegenwind. Menschen wie Elon Musk sind es aber nicht gewohnt, dass ihnen ohne Konsequenzen widersprochen wird. Deswegen nimmt Elon Musk Twitter ernst. Sehr ernst. Er ist, ähnlich wie Donald Trump vor seiner Verbannung, obsessiv mit dem Diskursuniversum beschäftigt, das auf der einen Seite keinerlei Relevanz für die Mehrheit der Menschen hat und auf der anderen Seite durch den Einfluss auf die Medienlandschaft eben doch. Denn auf Twitter bilden die Meinungsführer*innen ihre Meinung. Es verwundert nicht, dass der narzisstische Milliardär die Plattform in diesem Licht betrachtet, besitzen musste.

Dabei verkennt er vor allem, dass Twitter sich nicht monetarisieren lässt wie etwa Instagram oder TikTok. Weil es über den Austausch verschiedener Menschen funktioniert, von denen ein Teil bereits Macht und Einfluss hat. Und, weil es im politischen Überbietungs- und Konkurrenzwettbewerb eine schlicht unerträgliche Umgebung geworden ist. Sollte Musk die zarten Versuche Hass und Hetze einzudämmen, rückgängig machen, dann wird die Monetarisierung über Werbung komplett verunmöglicht: Wer will schon seine Werbung für seidenes Haare neben Holocaustleugnung stehen sehen?

Die blauen Haken zum Verkauf anzubieten, mag in dieser Logik eine Lösung sein, wird am Ende zwar das undemokratische System der Relevanzbewertung durch Twitter beenden. Der Wert als Statussymbol geht darüber aber verloren – im Gegenteil werden in Zukunft diejenigen mit blauen Haken als Verzweifelte gelten, die Geld ausgeben, um im Internet wichtig auszusehen. Das ist der Anfang in die Irrelevanz. Eine 44 Milliarden teure Irrelevanz.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!