Geräumt wird trotzdem

Mit einer psychischen Erkrankung ist es auf dem Wohnungsmarkt zusätzlich schwierig

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zeit in der in Berlin Zwangsräumungen wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt wurden, war kurz.
Die Zeit in der in Berlin Zwangsräumungen wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt wurden, war kurz.

Wer aktuell bei Manuela Proft anruft, hat Schwierigkeiten, sie ans Telefon zu bekommen. Noch eine Wohnungsbewerbung will sie schnell schreiben, sagt die 62-Jährige und fragt, ob sie zurückrufen kann. Es ist eine von unzähligen Bewerbungen, die sie in den vergangenen Tagen verschickt hat, während sie Umzugskartons packte, ohne zu wissen, wohin damit. Am Donnerstag muss sie aus ihrer Wohnung in Friedenau raus.

Ihr Anwalt hat zwar noch versucht, einen Räumungsschutz zu erwirken – vergeblich. Am vergangenen Freitag sei die Ablehnung vom Amtsgericht gekommen. Damit endet ein langer Kampf, den Proft um ihre Wohnung geführt hat. Wie vielerorts in Berlin wurde auch ihr von ihrem Vermieter wegen Eigenbedarfs gekündigt. Das war bereits 2013. Damals hatte sie noch Hoffnung, bleiben zu können. 

Im Kündigungsschreiben hieß es damals, dass ihr Vermieter seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegen wolle. Zwei Wohnungen sollten zusammengelegt werden, damit eine Wohnung mit 145 Quadratmetern entsteht. Gästezimmer, Arbeitszimmer, zwei Bäder: der bisherige Standard des Vermieters eben. Einer von Manuela Profts Unterstützern bezweifelt, dass das jemals das Anliegen war. Er schickt das Bild einer Wohnungsanzeige: Schon 2014 soll die andere wegen Eigenbedarfs gekündigte Wohnung in dem Haus um ein Vielfaches teurer wiedervermietet worden sein: 850 Euro für 45 Quadratmeter.

Doch Manuela Proft will ihren Härtefall vor Gericht geltend machen. Sie ist psychisch erkrankt, bekommt Panikattacken in engen geschlossenen Räumen, meidet Menschenmengen. Ihre Krankheit könne auch in der Zeitung öffentlich gemacht werden, sagt sie. »Selbst mein Vermieter kennt ja mittlerweile alles bis auf das letzte Detail.« 

Drei Gutachter seien vor Gericht gehört worden. Zwei bestätigten die Erkrankung und kamen zu dem Schluss, dass Manuela Proft an ihren Wohnort gebunden sei: Hier ist ihr Arzt, ihr Umfeld; sie kann nicht so einfach aus einem anderen Teil der Stadt dorthinfahren, weil sie sich nicht in öffentliche Verkehrsmittel traut. Auch dass sie nicht in eine kleinere Wohnung ziehen kann, bestätigten sie. Vor dem Amtsgericht habe man noch gewonnen, am Landgericht meinte ein anderer Gutachter, eine kleine Einzimmerwohnung sei durchaus zumutbar, berichtet ihr Anwalt.

Wer Proft danach fragt, hört schon an ihrer Stimme, wie sehr sie die Vorstellung belastet, in eine kleine Wohnung zu ziehen. Dabei geht es ihr keineswegs mehr darum, in der Wohnung zu bleiben, in der sie seit 30 Jahren lebt. Seit Ende April weiß sie endgültig, dass sie ausziehen muss. Seitdem sucht sie in Friedenau nach einer neuen Wohnung. Auch Zusagen hat sie bekommen. Doch Proft bekommt Grundsicherung. Sie braucht eine Bescheinigung, dass das Amt die Miete übernimmt. Inklusive aller Härtefallzuschläge kommt dieses für eine Bruttokaltmiete von höchstens 500 Euro auf, zu wenig für eine Zweizimmerwohnung.

Grundlage dafür ist die Ausführungsverordnung (AV) Wohnen. Zwar werden die Richtwerte immer wieder erhöht, mit der Berliner Mietentwicklung halten diese allerdings nicht Schritt. »Ich bekomme in meinem Wahlkreis immer wieder die Rückmeldung, dass es fast unmöglich ist, eine Wohnung zu finden, die innerhalb der Angemessenheitsgrenzen liegt«, sagt Orkan Özdemir, der für die SPD im Abgeordnetenhaus sitzt und Manuela Proft unterstützt. Mit der Novelle der AV Wohnen zum Januar soll eine Klausel eingeführt werden, mit der Wohnkosten oberhalb der Richtwerte übernommen werden, wenn Wohnungslosigkeit dadurch verhindert oder überwunden werden kann.

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