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Den Atem verströmen
Manchmal melancholisch: Die Liedermacherin Bettina Wegner wird 75
Singen ist atmen, wusste Ingeborg Bachmann. Doch nur wenige singen so, dass man sie zugleich atmen hört. Normalerweise wäre das auch störend. Nur bei wenigen Ausnahmen gehört das hörbare Atmen mit zum ureigensten Ausdruck. So wie bei Bettina Wegner. Singen ist für sie ein Verströmen des Ich in die Welt. Der inständige Laut, der darauf beharrt, auch leise sein zu dürfen und trotzdem gehört zu werden.
Nicht erst seit Corona wissen wir, was uns alles den Atem verschlagen kann. Davon handeln Bettina Wegners Lieder: Es gibt ein Maß an Luftmangel, der die Seele tötet. Dagegen gilt es anzuatmen, anzusingen. Bettina Wegner wie auch Thomas Brasch, eine Zeit lang ihr Lebensgefährte und Vater ihres Sohnes, waren beide Kommunistenkinder in der DDR. Der Weg schien klar vor ihnen zu liegen: die lichte Zukunft ohne Lüge und Verrat!
Aus dieser Quelle schöpft Bettina Wegners Unbedingtheit bis heute. Wer Lüge und Wahrheit, Treue und Verrat nicht mehr unterscheiden kann, hört auf, Mensch im eigentlichen Sinne zu sein. So streng ist sie von Anfang an, zuerst gegen sich selbst. So ohne Furcht und Zittern – hörbar in ihrer Stimme im Prozess, den der Staat DDR gegen sie führte, weil sie 1968 Flugblätter verteilte, mit Sätzen darauf wie: »Es lebe das freie Prag!«
Sie antwortet einfach und klar, dass sie das tun musste, weil ihr Kind nicht in Verhältnissen aufwachsen solle, die nicht sind, was sie vorgeben zu sein: sozialistisch. Dass man sich zu dem bekennen muss, was man für wahr erkannt hat, mit aller Konsequenz – diese Gewissheit hat sie sich, die heute 75 Jahre alt wird, niemals abhandeln lassen.
Lutz Pehnert versammelt in seinem sehenswerten filmischen Porträt, das er bündig »Bettina« nennt, auch diese frühen Film- und Ton-Dokumente. Sie bezeugen, dass Bettina Wegners Textzeile von »geraden, klaren Menschen«, die ein »schönes Ziel« seien, mit dem Zusatz »denn Menschen ohne Rückgrat haben wir schon zu viel« kein Lippenbekenntnis, sondern so elementar wie der Atem ist.
Wenn man nicht mehr frei atmen kann, muss man gehen. Aber es fiel ihr schwer, die DDR zu verlassen nach der Biermann-Ausbürgerung 1976, die sie empörte. Doch sie hielt auf verlorenem Posten aus, so lange, bis man ihr mit Gefängnis drohte. Da ging sie nach Westberlin und sang auch dort, was sie zu sagen hatte, und nicht, was man von ihr hören wollte: »Aufrecht stehn, wenn andre sitzen, / Wind zu sein, wenn andere schwitzen …« Sie sagt: »Meine Lieder, das bin ich.«
Hass ist ihr erstaunlich fremd. Sie trifft sich auch mit früheren Stasi-Leuten, wenn diese das Bedürfnis haben, offen mit ihr zu reden. Taktieren kennt sie so wenig wie Rechthaberei. Aber streitbar, wehrhaft mit Worten und ironischen Pointen ist sie durchaus. Sie ist alles andere als sentimental, manchmal nur melancholisch. Dennoch nennt sie die DDR, die ihr so übel mitspielte, die einzige Heimat, die sie je besessen habe. Diese blieb ihr Gegenüber, an dem sie sich rieb – und manchmal immer noch reibt, wenn die Erinnerungen in ihr streiten.
Doch der Anspruch an sich als Künstlerin ist nicht verhandelbar. In einem ihrer schönsten Lieder heißt es: »Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen und keiner hört mir zu, lass ich die Gitarre schwimmen und setze mich dazu.« Die Zeit hat gezeigt, dass ihre Lieder immer noch »stimmen«, auch noch in diesen nur scheinbar so ganz anderen Zeiten: »Es sind so viele von uns weggegangen, / ach hätte niemals niemand damit angefangen, / Trauer und Wut, / das hat euch weggetrieben, / Mensch wär’ das schön, ihr wäret alle hier geblieben, / bei euch, bei uns …«
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