- Politik
- Twitter und Elon Musk
Der reichste Troll der Welt
Nach der Übernahme von Twitter soll die Hälfte der Belegschaft entlassen werden. Während Hassrede auf der Plattform zunimmt, wenden sich erste Werbekunden bereits ab
Elon Musk hat Twitter gekauft. »Nein!«, »Doch!« – »Ohh!«, kommt einem der zum Kult gewordene Dialog des Schauspielers Louis de Funès in den Sinn. Die Entwicklung bahnte sich an, als Musk im Frühjahr zum größten Aktionär des Kurznachrichtendienstes aufgestiegen war und dann das Unternehmen ganz übernehmen wollte. Wegen angeblich falscher Zahlen über Fake-Accounts versuchte er wenig später, sich wieder aus dem Geschäft herauszuwinden, doch ohne Erfolg. Nach der Zahlung von 44 Milliarden Dollar leitet der reichste Mensch der Welt nun nicht mehr nur die Unternehmen Tesla und SpaceX, sondern eben auch Twitter. Mit dem Umbau des Unternehmens begann Musk unmittelbar, nachdem er sich zum »Chief twit« ernannt hatte. Zu den Ersten, die ihren Posten verloren, gehörte Vijaya Gadde. Als Chefjuristin galt sie im vergangenen Jahr als treibende Kraft hinter dem dauerhaften Ausschluss des Ex-Präsidenten Donald Trump von der Plattform. Im weiteren Verlauf kündigte Musk der restlichen Chefriege, löste den Verwaltungsrat auf, setzte sich selbst als alleinigen Verantwortlichen an die Spitze des Unternehmens und nahm es von der Börse. Zudem will er mehr als die Hälfte der über 7000 Mitarbeitenden entlassen.
Die radikalen Maßnahmen haben unmittelbare Auswirkungen auf das Geschehen auf der Plattform. Musk selbst bezeichnet sich zwar als einen Verfechter absoluter Meinungsfreiheit – auch wenn er in der Vergangenheit kein Problem damit hatte, diese für allzu kritischen Stimmen einzuschränken. Statt der für Soziale Medien essenziellen Moderation von Inhalten lautet sein Credo: Gesagt werden darf, was den nationalen Gesetzgebungen entsprechend erlaubt ist. Das hat zur Folge, dass bereits jetzt eine regelrechte Welle von Hassrede Twitter überschwemmt. Allein die Verwendung rassistischer Begriffe stieg innerhalb einer Woche um 1700 Prozent, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Zudem sollen Mitarbeitende aus der »Trust and Safety«-Abteilung des Unternehmens derzeit keine Sanktionen mehr gegen Nutzende verhängen können, wenn diese gegen die Regeln bezüglich Hassrede und Falschinformationen verstoßen. Das dürfte insbesondere im Hinblick auf die anstehenden Midterms in den USA in der kommenden Woche von Bedeutung sein. Schließlich ist Twitter im Vorfeld wichtiger Wahlen schon immer ein Ort gewesen, an dem versucht wurde, die Meinungsbildung mithilfe der Verbreitung von Fake-News zu beeinflussen.
Musk muss Wege finden, mit Twitter Geld zu verdienen
Obgleich Musk ein Vermögen von mehr als 200 Milliarden Dollar besitzt, finanzierte auch er den Twitter-Deal nicht aus der Portokasse. Vielmehr musste er sich Banken und Investoren ins Boot holen sowie eigene Tesla-Anteile veräußern. Hinzu kommt, dass Twitter sich an der eigenen Übernahme mit 13 Milliarden Dollar neuer Schulden beteiligen musste, deren jährliche Zinsen auf über eine Milliarde geschätzt werden. Wohl gemerkt für ein Unternehmen, das in den vergangenen 16 Jahren seines Bestehens nicht gerade durch seine Profitabilität glänzte. Um künftige Verluste nicht aus der eigenen Tasche begleichen zu müssen, muss Musk Wege finden, mit Twitter Geld zu verdienen. Ein erster Vorstoß kam beim Großteil der Nutzenden nicht gerade gut an. Die sogenannten blauen Haken, die häufig Accounts von Politiker*innen, Journalist*innen oder Musiker*innen zieren und die Echtheit der Profile garantieren, sollen künftig acht Dollar im Monat kosten – und von jedem genutzt werden können, statt wie bislang als eine Art Kennzeichnung für vertrauenswürdige Quelle zu fungieren.
Neben umstrittenen Versuchen zur Monetarisierung ist es aber vor allem Werbung, auf die auch der neue Eigentümer setzt – immerhin speisen sich bislang 90 Prozent der Einnahmen daraus. Bereits kurz nach der Übernahme versicherte Musk in einem Brief an die Werbewirtschaft, dass die Plattform sich unter seiner Riege nicht zu einer »krawalligen Hölle« entwickle, »wo alles ohne Konsequenzen gesagt werden kann«. Wie wenig Vertrauen die Adressaten des Briefes in einen Eigentümer setzen, der selber gerne mal Verschwörungstheorien teilt und aus seinen rechtslibertären Ansichten keinen Hehl macht, zeigen indes die Reaktionen großer Werbekunden. Während sich die Autohersteller General Motors und Volkswagen bereits vollständig von der Plattform zurückgezogen haben, gab IPG, einer der größten Werbekonzerne der Welt, eine Empfehlung an seine Kunden ab, vorerst keine Werbung mehr auf Twitter zu schalten.
Reichweitenstarke Accounts ziehen sich zurück
Den Journalisten Matt Pearce erinnert der Vorgang an aus der Medienbranche bekannte Übernahmen. In der »Los Angeles Times« schreibt er: »Twitter ist die werbeabhängige Printzeitung, die von Private Equity aufgekauft wurde, nun ihre Schulden bedienen muss und deren erste Aufgabe darin besteht, die Immobilien zu verkaufen, Personal zu entlassen, die Abokosten zu erhöhen und bei all dem zu hoffen, dass die Kernkundschaft nicht merkt, dass alles schlimmer als zuvor ist.«
Während ein Teil besagter Kernkundschaft den Versuch wagt, auf alternative und nicht-kommerzielle Plattformen wie Mastodon umzusteigen, bleibt die Frage, was Musk selber mit Twitter überhaupt vorhat. Einer internen Studie zufolge, aus der die Nachrichtenagentur Reuters zitiert, hat die Plattform mit ihren weltweit 238 Millionen Nutzenden nämlich bereits seit Beginn der Pandemie damit zu kämpfen, dass die Zahl sogenannter heavy tweeters abnimmt. Accounts mit großer Reichweite, die mehrmals in der Woche Tweets absetzen. Das Brisante: Diese machen zwar weniger als zehn Prozent der monatlichen Twitter-Nutzenden aus, generieren aber 90 Prozent des gesamten Inhaltes auf der Plattform und sorgen damit für die Hälfte des weltweiten Umsatzes.
Twitter als Mittel zur Super-App »X«
Nach der Übernahme schrieb Musk, er habe Twitter nicht gekauft, um damit mehr Geld zu verdienen. Vielmehr lautete seine Begründung: »Ich tat es, um der Menschheit zu helfen, die ich liebe.« Jenseits solcher Sprüche hat er als Ziel ausgegeben, den Jahresumsatz des Unternehmens bis 2028 auf über 26 Milliarden zu steigern. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag dieser bei fünf Milliarden. Als wahrscheinlich gilt, dass der Kurznachrichtendienst ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur sogenannten Super-App »X« ist, von der Musk schon häufiger sprach und mit der er auf westlichen Märkten eine Lücke schließen möchte. Als Vorbild dient ihm das chinesische WeChat – eine App mit 1,2 Milliarden Nutzenden, die für Werbekunden von großem Interesse ist, weil sie vielfältige Möglichkeiten unter einem Dach vereint: darunter Dienstleistungen, Nachrichten, Spiele sowie eine eigene Chat- und Bezahlfunktion.
Um Elon Musk hat sich in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Fantum entwickelt, in dessen Kreisen den Milliardär eine gewisse Aura des Unfehlbaren umgibt. Ob die Massenproduktion von Elektroautos oder die künftige Besiedlung des Mars – vieles, was zunächst als Hirngespinst daherkam, scheint durch den 51-Jährigen plötzlich machbar. Neben dem finanziellen ist es vor allem ein gewisses Grundvertrauen in seine unternehmerische Verbissenheit, das sich zu einem wichtigen Markenzeichen entwickelt hat. Doch mit der Twitter-Übernahme könnte er eben dieses aufs Spiel gesetzt haben. Denn er wird die Plattform nicht zu einem Ort der absoluten Meinungsfreiheit machen können, ohne damit wichtige Werbekunden zu verprellen. Gleichzeitig wird ihm eine wie auch immer gestaltete Regulierung aus den Reihen seiner eigenen Anhänger immer als Schwäche ausgelegt werden.
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