Polizeieinsatz im Wrangelkiez: Falsch fixiert

Ende August wurde ein Schwarzer bei einer Polizeikontrolle bewusstlos, die Innenverwaltung gesteht nun Fehler ein

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 21. August verlor ein unbewaffneter junger Schwarzer Mann in Kreuzberg während einer Polizeimaßnahme das Bewusstsein. In einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage von Niklas Schrader und Ferat Koçak von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus gesteht die Innenverwaltung im Namen der Polizei nun Fehler ein, wenn auch nur indirekt.

Das Haus von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bleibt größtenteils bei ihrer früheren Darstellung des Geschehens: Der Kontrollierte sei demnach unbekleidet über die Straße getorkelt, in Sorge um seinen Gesundheitszustand hätten vier Beamte der Brennpunkt- und Präsenzeinheit (BPE) die Feuerwehr für medizinische Hilfe alarmiert. Weil Bubacar G. gegenüber den Polizeikräften »körperlich und verbal aggressiv« geworden sei, hätten die Beamten ihn »gefahrenabwehrend« am Boden fixiert. 

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik - aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin - ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

G. hingegen hatte »nd« berichtet, er habe an der Falckensteinstraße, Ecke Wrangelstraße an den Straßenrand gepinkelt, als die BPE-Einheit ihn wegen Drogen durchsuchen will. »Also habe ich meine Tasche abgenommen. Dann haben sie mich angegriffen«, so der 24-Jährige. Die Polizisten hätten ihn an den Händen gepackt, »aber meine Hand ist gebrochen und ich habe eine große Wunde dort«. Dann sei er zu Boden geworfen worden.

Was dann passiert, ist in einem Video eines Beistehenden zu sehen, das »nd« vorliegt. Ein Beamter kniet klar erkennbar auf dem unteren Nacken des Betroffenen – bis dieser das Bewusstsein verliert. Diese Art der Fixierung »mithilfe des Knies auf Brust, Rücken oder Nacken« ist laut Innenverwaltung »nicht Bestandteil der polizeilichen Ausbildung«. Warum die Beamten einen anscheinend nicht standardmäßig vorgesehenen Griff gegen Bubacar G. anwenden, wundert die Linke-Politiker Schrader und Koçak. »Es ist nicht nachvollziehbar, wie diese Situation mit einer hilflos wirkenden Person in einem gesundheitsgefährdenden Fixierungsgriff enden konnte«, schreiben sie in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Ein weiterer Polizist kniet auf G.s Unterschenkeln und zieht für einen kurzen Moment seinen Elektro-Taser, ein dritter sogar seine Schusswaffe. Dass bei einem Einsatz gegen eine unbekleidete und vermutlich betrunkene Person lebensgefährliche Waffen ins Spiel kommen, begründet die Polizei weiterhin mit der »Ansammlung von umherstehenden Personen, die sich im Laufe der Zeit zunehmend emotionalisierten«. In der ursprünglichen Darstellung berichtete die Polizeipressestelle auf nd-Nachfrage sogar, ein Fahrrad sei in Richtung der Beamten geworfen worden. Davon ist in der aktuellen Antwort keine Rede mehr, ein Fahrrad sei lediglich »zu Boden geworfen« worden.

Folgt man dem Bericht eines Augenzeugen, übertreibt die Innenverwaltung damit weiterhin. David von der Initiative Wrangelkiez United beobachtete den Einsatz und berichtete »nd«, dass nur eine einzige Person rumgeschrien hätte. Die übrigen Anwesenden hätten die Maßnahme kritisiert und Alarm geschlagen, als Bubacar ohnmächtig wurde, »aber alle haben Abstand gehalten«. »Die Begründung für das Ziehen von Schusswaffen bleibt nebulös und überzeugt nicht«, kritisieren auch Niklas Schrader und Ferat Koçak. »Deeskalation sieht anders aus.«

Konsequenzen für die am Einsatz beteiligten Beamten gab es bislang nicht. Die Innenverwaltung schreibt, es lägen »keine Anhaltspunkte für die Einleitung dienstrechtlicher Konsequenzen vor«. Stattdessen läuft ein Ermittlungsverfahren gegen G. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Schrader und Koçak fordern gründliche Aufklärung, etwa durch den Polizeibeauftragen Alexander Oerke, an den sich G. gewandt hat. Oerke teilt auf nd-Anfrage mit, dass er die Polizei um Stellungnahme gebeten habe und Bodycam-Aufnahmen der Beamten gesichert bei der Staatsanwaltschaft lägen. Mehr könne er derzeit nicht sagen.

Der Vorfall wirft prinzipielle Fragen zu den sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten (KBO) auf. Im Wrangelkiez und den vier weiteren KBOs kann die Polizei verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen. Die Straftaten, die sie schlussendlich zur Anzeige bringt, betreffen fast ausschließlich Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und Delikte im Bereich des Aufenthalts- und Asylgesetzes. Immer wieder berichten Schwarze Menschen von Racial Profiling.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.