Mut und Musik

Preise für Zivilcourage und Verständigung verliehen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Axel Grafmanns und seine drei Kollegen vom Hilfsverein »Wir packen‹s an« auf die Bühne gebeten werden, legen sie ihre Jacken ab. Demonstrativ tragen sie T-Shirts mit dem Slogan »Abschiebezentrum BER verhindern« auf Brust und Rücken. Ein Blumenstrauß sei ja ganz schön, lieber wäre ihnen, wenn Innenminister Michael Stübgen (CDU) auf das geplante Abschiebezentrum am Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld verzichte, so die Vereinsvertreter.

Am Montag werden in der Potsdamer Staatskanzlei Bänder für Mut und Verständigung verliehen. Der Verein »Wir packen‹s an«, der Hilfstransporte organisiert, erhält einen Sonderpreis. Er nutzt die Gelegenheit für eine politische Aktion. »Ich war 89 auch auf der Straße«, versucht Vereinsvorstand Axel Grafmanns dem Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) ins Gewissen zu reden. Das Abschiebezentrum sei mit den Werten von 1989 nicht zu vereinbaren. Danach gefragt, wann er selbst in seinem Leben Mut beweisen musste, hatte der Politiker zuvor von seiner Zeit in der evangelischen Studentengemeinde in Ostberlin berichtet. Bei den Treffen in den 1980er Jahren habe »die Stasi vor der Tür« gestanden, erzählte Woidke.

»Wir tun uns ein bisschen schwer mit dem Preis«, gesteht Grafmanns. »Wir haben uns entschieden: Wir nehmen ihn an und widmen ihn allen Flüchtlingen.« Die Betonung liegt auf »allen«. Denn Grafmanns fällt eine »krasse Ungleichbehandlung« auf. Er ist nicht der einzige Preisträger, der das anspricht. Seit 1993 vergibt in Reaktion auf rechte Gewalttaten ein Berlin-Brandenburger Bündnis aus Politik, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Landessportbund und Kirchen das Band für Mut und Verständigung. Es ist ein Preis für Zivilcourage. In den Corona-Jahren 2020 und 2021 wurde er nur im kleinen Kreis überreicht. Die Preisträger dieser beiden Jahre werden am Montag auch noch auf die Bühne gebeten, darunter Obiri Mokini aus Potsdam. Er lebte selbst jahrelang in Asylheimen und durfte sich erst nach 15 Jahren in Deutschland sicher fühlen, nicht mehr nach Liberia abgeschoben zu werden. Nun wendet sich Mokini im Namen der Flüchtlinge an Ministerpräsident Woidke und sagt: »Bitte behandelt uns auch wie geflüchtete Menschen aus der Ukraine.«

Im Saal brandet Applaus auf, so wie später bei Grafmanns oder vorher schon bei der Preisträgerin Marianne Ballé Moudoumbou, als sie äußert: »Was wir in Brandenburg nicht brauchen, ist ein Abschiebezentrum. Wir brauchen ein Willkommenszentrum.« Die schwarze Frau lebt in Potsdam und engagiert sich unter anderem im Zentralrat der afrikanischen Gemeinde und in einer panafrikanischen Frauenorganisation gegen Rassismus. Der Grundgedanke ihrer Projekte ist soziale Gerechtigkeit. »Sie versucht immer, den Kühlschrank voll zu machen, wenn jemand kommt«, lobt eine Assistentin. Ein schwarzer Student, der aus dem ukrainischen Charkiv flüchtete, ist ebenfalls schwer beeindruckt von der Warmherzigkeit von Ballé Moudoumbou. Sie selbst warnt mit einem Zitat des Schriftstellers Bert Brecht vor wieder aufkeimendem Faschismus: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.«

Geehrt werden am Montag auch Stephan Jäkel und Ebru Schäfer aus Berlin. Er arbeitet bei der Schwulenberatung und hilft beispielsweise Homosexuellen aus und in Ghana. Er widmet seinen Preis »allen Queers, die unter ungleich schwierigeren Bedingungen in ihren Gesellschaften für Gleichberechtigung kämpfen«. Sie ist dazu erzogen worden, Menschen nicht nach ihrer Herkunft zu behandeln, und sammelt Spenden unter anderem dafür, Flüchtlingskindern Weihnachtsgeschenke zu machen. Anfang 2022 sei für die ukrainischen Flüchtlinge wesentlich mehr gespendet worden als 2015 für die syrischen, erzählt Schäfer. Inzwischen habe die Spendenbereitschaft angesichts der erhöhten Lebensmittel- und Energiepreise nachgelassen.

In der Band von Rainer Max Lingk, die bei der Preisverleihung spielt, singt eine Frau aus dem ukrainischen Mariupol und unter ihren Gitarristen ist ihr junger Landsmann Dima. »Dima versteht leider noch kein Deutsch, ist erst ganz kurz da, spielt aber super Gitarre«, sagt Lingk, der seit 2016 die Musikschule »Estabien« in Ostprignitz-Ruppin leitet und mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft arbeitet. »Musik bringt Licht in das Dunkel von Hass, Gewalt und Unwissenheit«, glaubt Lingk, der am Montag selbst ein Band für Mut und Verständigung erhält.

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