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Fußballerinnen im Aufbruch
Eine neue Studie verspricht der Bundesliga goldene Zeiten
Es war noch eine Dreiviertelstunde bis zum Anpfiff, da wurden am vergangenen Sonntagnachmittag die ersten Autofahrer an der Ludwig-Landmann-Straße ungeduldig. An der Abzweigung zum Parkplatz am Brentanobad im Frankfurter Stadtteil Rödelheim ging es nur im Kriechtempo weiter. Grund für das hohe Verkehrsaufkommen: Das Heimspiel in der Frauen-Bundesliga von Eintracht Frankfurt gegen den 1. FC Köln. Als kurz vor Spielende die Zuschauerzahl von 2735 auf der Videowand aufleuchtete, brandete Applaus auf.
Die Zeiten sind nicht allzu lange her, da verloren sich im Stadion am Brentanobad meist nur 1000 Getreue zu den Partien des 1. FFC Frankfurt, der als reiner Frauenverein kaum mehr lebensfähig war. Die Fusion mit Eintracht Frankfurt im Jahr 2020 erwies sich als Glücksfall. Die Fußballerinnen unter dem Adler-Dach bieten ein Live-Erlebnis der anderen Art: guter Sport, aber kleiner, familiärer und billiger.
Nicht nur der Zuspruch der Fans steigt stetig, auch das Interesse von Sponsoren und Medien. Das Interesse wird befördert von Spielerinnen wie Laura Freigang, die in der Popularität gegenüber den männlichen Stars kaum mehr weit zurückstehen. Bei Instagram folgen der Frankfurter Torjägerin mehr als 120 000 Menschen, sie wird immer öfter auf der Straße, an der Uni, im Café erkannt. »Das ist total schön. Es gibt eine Wahrnehmung, die ich nie erwartet hätte. Die positive Entwicklung merke ich jeden Tag«, sagt die 24-Jährige. Sie gibt sich nahbar und bodenständig, ist intelligent und witzig. Eine echte Sympathieträgerin des Klubs – und ein frisches Gesicht des Fußballs.
Freigang ist erst durch die Europameisterschaft so richtig bekannt geworden. 100 Tage ist es jetzt her, dass Deutschland das Finale im Wembley-Stadion gegen England bestritt. Der achtfache Europameister verlor – und hatte doch auf dem heiligen Rasen viel gewonnen: Die Herzen in der Heimat. Die mit ihrer Ehrlichkeit und Natürlichkeit punktenden Frauen haben den Männern vor deren WM in Katar vorgemacht, wie sich mit guten Leistungen und authentischen Charakteren die Gunst des Publikums erobern lässt.
Anders als bei der Heim-WM 2011 soll diesmal ein Vermächtnis für den deutschen Fußball der Frauen bleiben. Und die Indizien verdichten sich, dass ein nachhaltiges Interesse entsteht. Holger Blask, Geschäftsführer des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), beobachtet einen »Imagewandel«. Die Frauen sind nicht mehr das fünfte Rad am Wagen, sondern ein Antriebsmotor. Der Chefvermarkter weiß, dass die gesellschaftlich stärkere Gewichtung von Themen wie Vielfalt und Diversität zwar hilft, »aber das kann nicht allein der Treiber sein«. Grundvoraussetzung sei immer noch guter Sport, insistiert Blask.
Sonst wäre zum Eröffnungsspiel dieser Saison in der Frankfurter Arena zwischen der Eintracht und Bayern München kaum eine neue Rekordkulisse von 23 200 Fans zustandegekommen. Gleiches gilt für die 22 000 Zuschauer jüngst beim Spitzenspiel zwischen dem VfL Wolfsburg und dem FC Bayern. In München treten Lina Magull, Klara Bühl und Co übrigens zum Heimspiel in der Champions League am 7. Dezember gegen den FC Barcelona das zweite Mal in der Vereinsgeschichte in der großen Arena an. Endlich reitet auch die mit Abstand wichtigste deutsche Vereinsmarke die Welle mit.
An allen zwölf Standorten der Bundesliga ist das Interesse gestiegen, teilweise deutlich. So übertrifft der Zuspruch an den ersten sieben Spieltagen mit 119 286 Besuchern alle Erwartungen: Schon jetzt sind es knapp 11 000 mehr als in der gesamten Vorsaison. Der Zuschauerschnitt liegt aktuell bei 2840, in der Vorsaison waren es gerade mal 840.
Nun hat eine am Montag vom DFB herausgegebene Studie der Sportmarketing-Agentur »Two Circles« die neuen Perspektiven untersucht. Das Prognosemodell verheißt goldene Zeiten. Demnach werden zur Saison 2031/32 insgesamt eine halbe Million aktive Spielerinnen beim DFB gemeldet sein, aktuell sind es 187 000. In der Bundesliga spielen dann 16 DFL-Klubs, also Lizenzvereine, aktuell sind es acht. 60 Spiele finden vor mehr als 10 000 Zuschauern statt. Der Besucherschnitt soll auf 7500, der Gesamterlös um das Siebenfache auf 130 Millionen wachsen. Für die Studienleiterin Bettina Baer sind das keine träumerischen Ziele. »Das bezieht sich alles auf Fakten. Das Produkt kann was und ist attraktiv.« Dafür gebe es klare Marktsignale, so die ehemalige Schweizer Nationalspielerin.
Auch Doris Fitschen, die DFB-Gesamtkoordinatorin Frauen im Fußball und frühere Managerin der DFB-Frauen, sagt: »Wir sind auf einem sehr guten Weg. Die Bereitschaft, in den Frauenfußball zu investieren, steigt extrem. Wir müssen jetzt dranbleiben.« Und Christian Keller, der Geschäftsführer des 1. FC Köln, betont: »In Zukunft wird man am Mädchen- und Frauenfußball nicht vorbeikommen. Wenn sich Klubs ganzheitlich und divers aufstellen möchten, dann können sie nicht einfach eine wichtige Zielgruppe, die in etwa die Hälfte der Gesellschaft ausmacht, auslassen.« Laut der Studie gibt es 40 Millionen Fußballinteressierte in Deutschland, von denen 19 Millionen den Fußball der Männer und Frauen verfolgen.
Das ist die Gruppe, auf die der neue Fernsehvertrag für die Frauen-Bundesliga zielt. Ab der nächsten Saison teilen sich ARD, ZDF und Sport1 zusammen mit den Bezahlplattformen DAZN und Magenta ein breites Angebot an Live-Spielen und Zusammenfassungen. Rund fünf Millionen Euro kommen so pro Saison zusammen. Zum Vergleich: Die 3. Liga der Männer bekommt fünfmal so viel Geld. Dennoch sind die Frauen mit dem Abschluss zufrieden, denn mehr Fernsehpräsenz gilt nun mal als Schlüssel für mehr Sichtbarkeit.
Claudia Neumann gibt sich nicht ganz so zuversichtlich. Die ZDF-Kommentatorin sieht zwar, dass »das gesellschaftliche Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit auch im Fußball enorm gestiegen ist«, aber aus ihrer Sicht stimmt die Richtung nicht: »Große Stadien und die vielen TV-Live-Angebote als Kern der neuen Fernsehverträge sehe ich kritisch, weil mir einfach nicht klar wird, an wen sich dieses Angebot richten soll. Speziell junge Menschen schauen immer weniger 90 Minuten Live-Spiele außerhalb der großen Turniere.«
Neumann – Mitglied der Frauen-Initiative »Fußball kann mehr«, die sich für vielfältige Belange der Fußballerinnen und für mehr Frauen im Fußball einsetzt – wäre ein »Kontrast zum unnahbaren, durchgestylten Kommerz-Fußball der Männer« lieber. »Nie war die Chance größer, den Frauenfußball als Alternative anstatt als Kopie des Männer-Profifußballs zu kreieren.«
Wenn demnächst wegen der Männer-WM in Katar die Stadien in Deutschland rund zwei Monate verwaist sind, sollen die Frauen diese Leerstelle besetzen. »Ich glaube schon, dass da eine Chance drin liegt, dass viele Fans Fußball live vor Ort sehen wollen«, glaubt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Ihr Team reist nun just zu zwei Freundschaftsspielen in die USA. Die DFB-Auswahl spielt erst in der Nacht auf Freitag in Fort Lauderdale, dann am Sonntag in Harrison gegen die Weltmeisterinnen. Die Bundestrainerin spricht von »zwei coolen Spielen«.
Und doch laufen die Übertragungen zu später Stunde lediglich im Livestream von ARD und ZDF. Die 54-Jährige spürt an solchen Details, dass der Weg noch weit ist: »Die Entwicklung geht in die richtige Richtung, aber wir haben noch viel zu tun. Und wir müssen unsere guten Leistungen aufrechterhalten.« Denn zum nächsten Großereignis ist es nicht mehr lange hin: Bei der WM in Australien und Neuseeland im kommenden Sommer will Deutschland um den Titel spielen. Noch schwieriger wird es, wieder Massen vor den Fernseher zu locken, weil die Spiele wegen der Zeitverschiebung am Vormittag laufen. Eine Nationalspielerin wie die Frankfurterin Freigang bekommt trotzdem heute schon leuchtende Augen: »Die WM ist unsere nächste Riesenchance.«
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