- Politik
- Ultrarechte Regierung in Italien
Schwere Zeiten für Italiens Papierlose
Unter illegalisierten Geflüchteten wächst die Angst
Der Kampf gegen die »Illegalen« steht seit eh und je ganz oben auf der Liste, die die Ultrarechte in Italien abarbeiten will. Seit sie an der Regierung ist, vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht der eine oder andere Minister dementsprechend äußert. Die Töne sind jetzt zwar »staatstragender« geworden, aber die Substanz bleibt die gleiche. Und die Flüchtlinge, die in Italien leben, sind entsprechend besorgt.
Miriam lebt seit 18 Monaten in Italien. Ihren wirklichen Namen will sie nicht nennen, denn sie kommt aus Afghanistan und hat Angst, dass ihre Verwandten Schwierigkeiten bekommen könnten, wenn man erfährt, dass sie geflüchtet ist. Sie hat politisches Asyl erhalten und fühlt sich in ihrem neuen Land, dessen Sprache sie verzweifelt zu erlernen versucht, eigentlich wohl.
Miriam ist politisch interessiert und hat sich über die neue, die extrem rechte Regierung in Italien informiert. »Für mich und meine Landsleute, die hier leben, wird sich wohl in der nächsten Zeit nichts ändern: Wir sind als Flüchtlinge anerkannt und haben Papiere«, sagt sie. Aber sie betet täglich für die vielen anderen Flüchtlinge, die jeden Tag ihre jeweiligen Länder verlassen müssen und die man jetzt nicht mehr aufnehmen will. »Wo sollen sie denn hin? Man flieht doch nicht, weil man sich gerade langweilt! Die Flucht ist immer eine furchtbare Erfahrung«, sagt sie und erzählt, wie sie, hochschwanger, von den Taliban verprügelt wurde, als sie versuchte, den Flugplatz von Kabul zu erreichen.
Für Tarek (auch der junge Mann aus der Elfenbeinküste möchte seinen echten Namen nicht nennen) sieht die Sache anders aus. Er hat keine Papiere und lebt seit fast einem Jahr praktisch auf der Straße. Ihm wird von verschiedenen humanitären Organisationen geholfen, aber er hat immer Angst, von der Polizei aufgegriffen und ausgewiesen zu werden. »Bisher habe ich noch nicht gemerkt, dass sie verstärkt Jagd auf uns machen«, meint er. »Die meisten Menschen sind freundlich. Aber die Lage könnte sich jetzt verschlechtern. Ich muss noch mehr aufpassen.« Deshalb denkt er verstärkt darüber nach, wie er Italien verlassen und nach Frankreich oder Belgien weiterreisen könnte. Dort hat Tarek Verwandte und hofft, dass er möglicherweise »legalisiert« werden kann.
Während der Wahlkampagne hatte Giorgia Meloni häufig über das »Problem« der Migranten gesprochen. Ihr Rezept: Sie wolle eine Seeblockade rund um die italienischen Küsten errichten. Vielleicht auch, weil man ihr inzwischen klar gemacht hatte, dass dies de facto unmöglich ist und gegen die italienische Verfassung und eine Unzahl von internationalen Gesetzen verstoßen würde, hat sie dieses Thema nach den Wahlen nicht mehr in den Mund genommen.
Heute richtet sich die Politik der Regierung in erster Linie gegen die »ausländischen« Seenot-Rettungsschiffe, die im Mittelmeer Schiffbrüchige aufnehmen. Diese sollen nicht mehr in italienische Häfen einlaufen dürfen und ihre »Fracht« direkt in den jeweiligen Heimathafen bringen.
Auch das ist reine Propaganda und praktisch nicht möglich, da die aufnehmenden Schiffe aus Norwegen oder sogar aus Bangladesch stammen und das internationale Seerecht vorsieht, dass sie »den nächsten sicheren Hafen« ansteuern dürfen.
In der Zwischenzeit wurde aber das Memorandum mit Libyen verlängert, das seit 2017 eine enge »Zusammenarbeit« zwischen der italienischen und der libyschen Küstenwache vorsieht. Faktisch bedeutet das, dass Italien ein Land ohne wirkliche Regierung finanziert und aufrüstet, wo Warlords herrschen und wo – das hat auch die Uno bezeugt – Migranten regelmäßig ausgeraubt, misshandelt und vergewaltigt werden.
»Man wirft im Augenblick nur mit Schlagworten um sich«, meint Stefano Galieni von Rifondazione Comunista (Kommunistische Neugründung), einer der Sprecher der Europäischen Linken für Migration. »Man muss schließlich die eigenen Leute bedienen, die zumindest teilweise wirklich ausländerfeindlich und rassistisch sind.« Die ersten Maßnahmen, die der neue Innenminister Matteo Piantedosi ergriffen hat, richten sich eben deshalb gegen die »fremden« Seenotretter; man will ihnen das Einlaufen in italienische Häfen verweigern, aber »auf keinen Fall gegen die Gebote der humanitären Hilfe verstoßen«, wiederholt der Minister immer wieder. »Schutzbedürftige« wie Jugendliche und Frauen sollen weiter aufgenommen werden.
Dass der »Kampf« gegen die Seenot-Rettungsschiffe nicht viel mehr als Augenwischerei ist, beweisen schon wenige Zahlen. Von den knapp 80 000 Migranten, die ab Januar dieses Jahres in Italien angekommen sind, wurden nur 16 Prozent von diesen Organisationen an Land gebracht. 84 Prozent wurden entweder von italienischen Schiffen gerettet oder kamen mit kleinen Booten direkt an der italienischen Küste an. Das weiß natürlich auch der italienische Innenminister, der aber, wie er zugibt, nach dem Motto »Kleinvieh macht auch Mist« handelt.
Wie wird es in Italien weitergehen? »Alle Umfragen sagen, dass den Italienern derzeit die sogenannte Flüchtlingsproblematik ziemlich egal ist«, betont Stefano Galieni. Wirkliche Sorgen bereiteten die steigenden Lebenshaltungskosten und die hohe Arbeitslosigkeit. »Sollte es der Regierung nicht gelingen, auf diesen Gebieten relativ schnell Ergebnisse zu erzielen, dann wird sie wahrscheinlich auf das zurückgreifen, was wir ›Massen-Ablenklungsmittel‹ nennen.« Dann werde man sich wieder auf die »italienische Identität« besinnen »und vergessen, dass die Migranten schon längst dazu gehören«.
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