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- Oberbürgermeisterwahl in Rostock
Ein Plattenkind und 16 andere
Am Sonntag wählt Rostock ein neues Stadtoberhaupt. Der Posten ist heiß begehrt
Rostock hat turbulente Jahre hinter sich. Die Coronakrise, die wesentlich daraus resultierende Pleite der MV-Werften, von der auch der Standort Rostock-Warnemünde betroffen war, und das zwischen Stadt und Land schwer umstrittene Aus für die Bundesgartenschau 2025 brachten der Hanse- und Universitätsstadt einiges an Unruhe und bundesweiter Aufmerksamkeit. Die Geschicke der Stadt während dieser Zeit lenkte Claus Ruhe Madsen, als Däne im Juni 2019 von den Bürger*innen in der Stichwahl gegen den Linke-Kandidaten Steffen Bockhahn zum ersten ausländischen Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt gekürt.
Der parteilose, im Wahlkampf von CDU und FDP unterstützte Madsen – Vollbart, markante Brille – wollte frischen Wind in die Stadt bringen, laut Wahlspruch »Rostock bewegen«, die Digitalisierung voranbringen, Bürokratie abbauen und sich »mit voller Hingabe« seinem Amt widmen. Für sein Corona-Management etwa erhielt der Möbelhaus-Unternehmer viel Applaus, war Gast in diversen Talkshows.
Nur: Schon nach drei von eigentlich sieben Jahren Amtszeit war im Juni dieses Jahres schon wieder Schluss mit der vollen Hingabe – zumindest für Rostock. Madsen wechselte als Wirtschaftsminister – und damit erster ausländischer Minister einer deutschen Landesregierung – ins Kabinett des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU).
An diesem Sonntag entscheiden nun rund 172 000 Wahlberechtigte über Madsens Nachfolge. Und haben dabei mit 17 Kandidat*innen – einige Partei- und viele Einzelkandidaten – eine riesige Auswahl. Die wohl auch dafür sorgen dürfte, dass niemand auf Anhieb die notwendige absolute Mehrheit erreicht und es am 27. November in die Stichwahl geht.
Ganz gute Aussichten auf den Chefposten im Rathaus hat wie schon 2019 die Linkspartei, die mit Eva-Maria Kröger eine Rostockerin und Vollblutpolitikerin ins Rennen schickt. Bei einem Wahlsieg wäre sie die erste Frau an der Stadtspitze Rostocks. Die 40-Jährige, die ihre Selbstdarstellung im Internet mit »Plattenkind« überschreibt – sie wuchs im Stadtteil Dierkow auf, in dem in den 1980er Jahren eine Neubausiedlung entstand – und unter dem Motto »Rostock, wir kümmern uns« antritt, ist studierte Politologin, seit 2009 Mitglied der Rostocker Bürgerschaft, dort Vorsitzende der Linksfraktion und seit 2016 auch Landtagsabgeordnete. Für sie sei klar, dass sie »keine neuen Luftschlösser bauen oder neue Pläne für die Schublade machen« wolle – ein kleiner Seitenhieb in Richtung Vorgänger. Stattdessen müsse das umgesetzt werden, was schon lange vorgesehen sei. Darunter: die Sanierung von Schulen und Kitas, neue Sportstätten, günstige Tickets für Bus und Bahn.
Helfen soll dies auch dabei, eines der nach wie vor drängendsten Probleme der Stadt zu lösen: ihre tiefe soziale Spaltung. Wer es sich leisten kann, wohnt in der Innenstadt; wer nicht, in den Großwohnsiedlungen. Stigmatisierung und drastisch ungleich verteilte Lebenschancen inklusive. Ein Phänomen, von dem laut einer Studie aus dem Jahr 2020 in Mecklenburg-Vorpommern auch Schwerin (am stärksten), Greifswald und Neubrandenburg betroffen sind. In all diesen Städten liege der Grad der Segregation demnach deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt.
In einer Forsa-Wahlumfrage für die »Ostsee-Zeitung« vom 21. Oktober (aktuellere Zahlen gibt es nicht) konnte Kröger 26 Prozent auf sich vereinigen. Ebenso viele wie der Chef der Landesbereitschaftspolizei Michael Ebert, der von CDU, FDP und den Unabhängigen Bürgern für Rostock unterstützt wird. Es folgt auf Platz drei die Chefin des Staatlichen Bau- und Liegenschaftsamtes Rostock, Carmen-Alina Botezatu, die für die SPD antritt, mit 16 Prozent. Der AfD-Kandidat Michael Meister kommt in der Umfrage auf neun und die Koordinatorin der Bundesregierung für Maritime Wirtschaft und Tourismus, Claudia Müller (Grüne), auf sieben Prozent.
Mehr als ein grober Fingerzeig in welche Richtung es gehen könnte sind die Zahlen allerdings nicht. Nicht nur, dass die Befragung schon einige Zeit zurückliegt. Zum Zeitpunkt der Umfrage zeigten sich zudem mehr als die Hälfte der Befragten noch unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben wollen – oder gaben an, keine der zur Auswahl stehenden Personen wählen zu wollen.
Wer auch immer letztendlich gewählt wird, dem neuen Rostocker Stadtoberhaupt kommt nicht nur eine große Verantwortung für die Stadt selbst zu. Denn die Entwicklung – negativ wie positiv – der einzigen Großstadt im Nordosten, die auch das wirtschaftliche Zentrum des Landes ist, hat zwangsläufig eine nicht unerhebliche Bedeutung für das direkte Um- wie auch das gesamte Bundesland.
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