Filme gegen das Vergessen

Die »Jüdische Filmwoche« im Kino Toni in Berlin-Weißensee

  • Niko Daniel
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein gespenstischer Realismus in aller Brutalität: »Professor Mamlock«
Ein gespenstischer Realismus in aller Brutalität: »Professor Mamlock«

Bis Sonntag laufen im Kino Toni in Berlin-Weißensee »Filme gegen das Vergessen«. Das ist der Titel der »Jüdischen Filmwoche«, die hier alljährlich gezeigt wird. Bis auf zwei Ausnahmen sind alle Produktionen aus der DDR. Denn anders als heute allgemein behauptet wird, war die DDR mitnichten ein geschichtsvergessener Staat, der den Terror des Faschismus in erster Linie als die Verfolgung der Kommunisten thematisiert hätte.

Spätestens mit dem Grundlagenwerk »Faschismus, Rassenwahn, Judenverfolgung«, das der marxistische Historiker Kurt Pätzold 1975 vorlegte, gab es eine wissenschaftliche Antisemitismusforschung, die aber anders als der Großteil der heutigen das Profitinteresse des deutschen Kapitals an imperialistischem Krieg und Sklavenarbeit bis zur Vernichtung betonte – was die beteiligten Konzerne und Institutionen erst in den 90er Jahren mittels mühsam auf den Weg gebrachter Betrachtungen der eigenen Geschichte in Zeitlupe begannen nachzuholen.

Zudem war der Antifaschismus in der DDR »ein erinnerungspolitischer Kulturbegriff« (Detlef Kannapin) und als solcher Teil des selbstgestellten Auftrags der Defa, Filme zu produzieren. Als bahnbrechende Werke, die die persönliche Verantwortung des Einzelnen im NS-Staat thematisieren und politisch-moralisch diskutieren, sind hier die beiden Filme »Professor Mamlock« von Konrad Wolf (1961) und »Das zweite Gleis« von Hans-Joachim Kunert (1962) zu nennen.

»Professor Mamlock« läuft am kommenden Samstag um 18 Uhr im Toni. Der Film handelt davon, wie Hans Mamlock (Wolfgang Heinz) als jüdischer Chefarzt einer chirurgischen Klinik nach der Machtübergabe an die Nazis zunehmend Probleme bekommt. Zwar kann er zunächst weiterarbeiten, wird aber genötigt, die Entlassungspapiere seiner jüdischen Kollegen zu unterschreiben. Von den Warnungen seiner Freunde und vor allem seines antifaschistischen Sohnes Rolf (Hilmar Thate) will er so lange nichts hören, bis ihn der neue Nazi-Klinikleiter verhaften und von SA-Männern nach Hause bringen lässt – bezeichnenderweise durch eine Karnevalsfeier hindurch. Ein gespenstischer Realismus in aller Brutalität. Darüber diskutiert dann im Toni die Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa mit Thomas Naumann und Paul Werner Wagner.

Ein spätes Werk der Defa läuft am heutigen Freitag um 18 Uhr: »Die Schauspielerin« von Siegfried Kühn aus dem Jahr 1988. Die Schauspielerin heißt Maria Rheine (Corinna Harfouch) und täuscht einen Selbstmord vor, um weiterhin mit ihrem durch die sogenannten Rassegesetze bedrohten jüdischen Freund Mark Löwenthal (André M. Hennicke), der nicht mehr als Schauspieler arbeiten darf, zusammen sein zu können. Sie gibt ihre Karriere auf und wird eine Jüdin, die unter falschem Namen an Marks Seite bleibt. »Es ist eine unerhörte, eine schier unglaubliche Geschichte«, schrieb damals die »Neue Zeit«, »nichts Sentimentales und Melodramatisches und keine psychologisierenden Motivierungen« über diesen starken Film, den anschließend der Regisseur Siegfried Kühn und die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck besprechen.

Eine beeindruckende Geschichte erzählt auch »Chronik eines Mordes« von Joachim Hasler (1965), der am Sonntag um 18 Uhr läuft. Die Jüdin Ruth Bodenheim (Angelica Domröse) kommt nach Kriegsende als KZ-Überlebende zurück in ihre westdeutsche Kleinstadtund muss erleben, wie der einst für die Deportationen der Juden Verantwortliche zum Bürgermeister gewählt wird, als wäre nie etwas geschehen. Bei seiner Amtseinführung erschießt Ruth ihn und hinterlegt ihre »Wiedergutmachungsakte«, die ihr vom neuen Staat ausgehändigt wurde. Denn sie will kein Geld, sondern Gerechtigkeit und einen Prozess, der die Geschichte offenlegt. Darüber sprechen nach der Vorstellung Paul Werner Wagner und Mirko Wiermann.

Am Sonntagvormittag läuft um 11 Uhr der Dokumentarfilm »Im Himmel unter der Erde« (2011) von Britta Wauer über den unzerstört gebliebenen Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee, auf dem heute noch bestattet wird. Nach der Vorstellung macht die Regisseurin Wauer eine Führung über den Friedhof.

Bis 13.11. Kino Toni, Antonplatz 1, Berlin-Weißensee

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